Beton wird gleichermaßen geliebt wie gehasst. Schwärmen die Architekten vom freundlichen Grau, so tönt vielen anderen eher Gerhard Polt im Ohr: "Kaum graut der Morgen, siehst du ihn schon - Beton, Beton." Die Allgegenwart des Baustoffs hat nicht nur Auswirkungen aufs Stadtbild. Auch unsichtbare Folgen des Beton-Booms rücken allmählich ins Bewusstsein: Die Zementindustrie bläst jährlich mehr Kohlendioxid in die Atmosphäre als die gesamte Luftfahrt. Und noch dazu gibt es keinen anderen Bereich in der Industrie, der so schnell wächst.
Die Hersteller wissen um das Problem. Die Vereinigung der europäischen Zementhersteller (Cembureau) äußerte schon 2005: Ja, die Prozesse emittieren viel Treibhausgas. Doch ändern kann man daran leider nichts. Damals herrschte die Angst vor den CO2-Zertifikaten. Wären sie so umgesetzt worden wie geplant, wäre die Zementindustrie wohl aus Europa abgewandert. Der Emissionsrechtehandel wurde industriefreundlicher eingeführt, die Hersteller blieben - aber mit ihnen auch die Auswirkungen fürs Klima.
Vorerst zumindest. Denn Wissenschaftler um Dr. Peter Stemmermann, der die Abteilung Mineralogie und Analytik am KIT leitet, haben einen möglicherweise entscheidenden Durchbruch zu einer klimafreundlicheren Herstellung des Bindemittels vorgestellt. Sie besteht aus einem Zement, der auf denselben Rohstoffen basiert wie der seit über hundertfünfzig Jahren übliche Portlandzement - der aber nur halb so viel CO2in die Atmosphäre entlässt.
Sechs Jahre Arbeit bis zum Pilotmaßstab
Als die Forscher das Celitement getaufte Produkt aus der Laboranlage geholt hatten, fing die Arbeit jedoch erst an. Zwei Jahre später wurde das Patent erteilt, 2009 folgte die Ausgründung als eigenständige GmbH mit dem Industriepartner Schwenk. 2010 war der Grundstein für eine Anlage im Pilotmaßstab auf dem Gelände des KIT-Campus gelegt, und vergangenes Jahr wurde sie schließlich in Betrieb genommen. "Wir waren schon ganz schön flott unterwegs", meint Celitement-Geschäftsführer Dr. Hanns-Günther Mayer - eine vollständige Produktneuentwicklung von der verfahrenstechnischen Entdeckung bis zum Demomaßstab kann in der Prozessindustrie schließlich auch gern einmal zehn Jahre dauern.
"Um ein Produkt ressourcen- und energieeffizienter zu machen, hilft es, zu wissen, wie es eigentlich entsteht", sagt Stemmermann zum Forschungsansatz. Beton aus herkömmlichen Zement wird durch einen Calciumoxid-reichen Kleber zusammengehalten. Als Nebenprodukt entstehen etwa 50 Prozent weitere Calciumoxid-haltige Verbindungen. Die Herstellung des Calciumoxids aus Kalkstein ist bei der Zementherstellung für Energieverbrauch und CO2-Emission entscheidend. Zur Herstellung benötigt Celitement ebenso wie Portland-Zement Kalkstein - allerdings nur etwa ein Drittel der Menge, die im ersten Schritt ebenfalls auf über 1.000 °C erhitzt werden muss. Entscheidend ist aber der zweite Schritt, und der findet nicht im Drehrohrofen, sondern in einem Autoklaven statt - bei nur 200 °C. Dabei entsteht ein Zwischenprodukt, das mit Sand zum neuartigen Bindemittel vermahlen wird. Beim Abbinden im Beton entsteht dann ausschließlich der gewünschte Kleber.
Ein Vorteil des KIT-Verfahrens gegenüber anderen Zement-Neuentwicklungen sind die traditionellen Rohstoffe. Da gebe es einige konkurrierende Entwicklungsprojekte, "die auf exotische Rohstoffe setzen, diesen Aspekt aber nicht so deutlich kommunizieren", meint Stemmermann. "Wir verfolgen dagegen einen Ansatz mit bekannten und in der Industrie eingesetzten Rohstoffen - und mit Technologie, die schon großtechnisch im Einsatz ist", erklärt Mayer. Eine Möglichkeit ist, Celitement-Anlagen zunächst parallel in bestehende Zementwerke zu integrieren, was die Marktentwicklung entscheidend vereinfachen könnte. Auch bei der Qualität der wichtigsten Zutat, dem Kalkstein, bietet Celitement Vorteile gegenüber Portlandzement. Denn Kalkstein ist in der Reinheit, die für konventionellen Zement gebraucht wird, gar nicht so verbreitet vorhanden. "Wir können für unser Verfahren wesentlich unreineren Kalk nehmen", erklärt Stemmermann.
Für die Pilotanlage in Karlsruhe ist die Rohstoffbeschaffung ohnehin kein Problem - denn hier werden bislang nur maximal 100 Kilogramm Zement an einem Tag hergestellt. In diesem Maßstab soll vor allem die Machbarkeit demonstriert werden. Für Serienuntersuchungen muss außerdem ein homogenes Produkt in ausreichender Menge vorhanden sein. Der Scale-up der jetzigen Anlage in den industriellen Maßstab sei kein Problem mehr, betonen die Forscher vom KIT. Als nächster Schritt schwebt ihnen eine Industrieanlage mit 30.000 bis 50.000 Jahrestonnen Kapazität vor. "Die wird mit höchster Wahrscheinlichkeit beim Industriepartner Schwenk entstehen", erläutert Mayer die wichtige Referenz. Denn "es ist nicht sinnvoll, in den Markt zu gehen, ohne einen großtechnischen Betrieb getestet zu haben."
Interesse am Prozess haben alle Marktteilnehmer
Der bisherige Weg dorthin war ungewöhnlich. Üblicherweise werden Produkte bis zu einer gewissen Marktreife mit einem Industriepartner entwickelt - über Lizenzen, Kooperationsverträge oder auf sonstigen Wegen. Bei Celitement hingegen wurde die Forschung um das Team von Dr. Stemmermann hausintern finanziert. "Damit konnten die Kollegen soweit forschen, dass am Schluss die Patente angemeldet waren und man schon mit einem fertigen Produkt an potenzielle Industriepartner herangehen konnte", betont Mayer. Damals haben sich die Karlsruher nicht nur an Schwenk gewandt, sondern an verschiedene Unternehmen. Denn die Celitement GmbH strebt langfristig vor allem die Vermarktung des Verfahrens an alle Interessenten an. Neugierig sind viele: "In den letzten zwei, drei Jahren gab es keine namhafte Zementfirma, die nicht hier angeklopft hat", erinnert sich Stemmermann.
Wer dann hereingelassen wird, staunt nicht schlecht über den Erfindungsreichtum der Karlsruher. Auf dem riesigen Campus des KIT geht das vergleichsweise kleine Celitement-Gebäude fast unter. Denn die Pilotanlage ist extrem platzsparend gebaut. Auf zwei Ebenen stehen Shuttle-Dosierer, Autoklav, Kammerfilterpresse und Leitstand. Beheizt wird aus Platz- und Sicherheitsgründen mit Thermalöl. Die Rezeptur kommt statt durch einen Turm mit Fallstrecken per Aufzug in den Autoklaven. "Wir haben viel in die Automatisierung investiert - das ist weniger personalintensiv", erklärt Mayer.
Die nächste Herausforderung ist die Auswahl der richtigen Mühle, denn die bei der Laboranlage genutzten kleinen Labormühlen lassen sich nicht einfach hochskalieren. Aktuell stehen noch einige Testmahlungen an, die das Team bei Dienstleistern vornehmen lässt. Selber beschäftigen sich Stemmermann und seine Kollegen derzeit vor allem mit der Prozessanalytik und der Prozessführung für das Verfahren. Ziel ist dabei, Regelparameter zu entwickeln, bis eine konstante Produktqualität erreicht ist, wie sie von der Industrie gefragt ist.
Peter Stemmermann schwebt für die Zukunft eine Inline-Prozesssteuerung vor, über die auf variable Rohstoffqualitäten reagiert werden kann. "Das heißt, der Kunde gibt seine Rohstoffe in einer großen Bandbreite auf - und die Maschine mischt sich zusammen, was sie braucht." Einfacher kann CO2-Sparen wohl kaum sein.