Der Riesenmanta, eine Rochenart aus der Familie der Teufelsrochen, bewegt sich mittels wellenförmiger Schwingungen seiner Flossen durch die tropischen Ozeane. Der bis zu 8 m lange und 7 m breite Meeresbewohner kann bis zu 2 t wiegen und ernährt sich unter anderem von Zooplankton, das er aus dem Wasser filtert. Dafür verfügt er in seinem Inneren über ein ausgeklügeltes System, mit dem er die Kleinstlebewesen vom Wasser trennt.
Dieses Filtersystem nimmt sich Tim Robertino Baumann für die Separation von Mikroplastik aus Flüssigkeiten zum Vorbild. Der 26-jährige Doktorand an der Universität Bielefeld beschäftigt sich seit fast zwei Jahren damit, diese Methode aus der Natur zu übertragen. Er ist zusätzlich Technologie-Scout im Transferprojekt InCamS@BI, dem Innovation Campus for Sustainable Solutions der Hochschule Bielefeld und der Universität Bielefeld.
Die Idee für seine Forschung hat Baumann aus einer wissenschaftlichen Publikation aus den USA, doch die Forscher dort haben ihren Ansatz bisher nicht weiter verfolgt. Baumann sah mehr Potenzial als seine amerikanischen Kollegen – und konnte in seinem Projekt „Bluewater“, wie er seine Masterarbeit nannte, zeigen, dass die Methode funktioniert. Jetzt will er die Filter optimieren.
Größte Mikroplastikquelle: Kleidung
Als Mikroplastik werden feste und in Wasser unlösliche Partikel und Fasern bezeichnet, die aus synthetischen oder biologischen Polymeren bestehen und häufig mit Additiven versetzt sind. Ihr Durchmesser beträgt 1 μm bis 5 mm. Auf der in der Regel rauen Oberfläche der Partikel können sich auch Kontaminanten wie pathogene Erreger oder Toxine anlagern. Da Mikroplastik mit herkömmlichen Filtermethoden durch Kläranlagen nicht erfasst wird, ist es mittlerweile fast überall nachgewiesen: in landwirtschaftlich genutzten Böden, Klärschlämmen, Meeres- und Flusswässern, der Atmosphäre, im Schnee, in arktischem Eis und der Tiefsee.
Beim Mikroplastik im Meer lässt sich feststellen, dass 35 Prozent der Partikel aus synthetischer Kleidung kommen, 28 Prozent vom Reifenabrieb und 24 Prozent aus städtischem Feinstaub. Der Rest entspringt unter anderem Straßenmarkierungen, Schiffsbeschichtungen und Kosmetik.
Insbesondere, wenn Textilien gewaschen werden, können sich Partikel und Fasern lösen und so ins Wasser gelangen. Laut Umweltbundesamt geraten bis zu 2.000 Kunstfasern aus Fleece-Kleidungsstücken pro Waschgang über Fließgewässer in die Meeresumwelt. Um dem entgegenzuwirken, könnten Verbraucher zum Beispiel weniger schleudern, die Textilien weniger heiß waschen und vermeiden, Fleece-Stoffe mit „harten“ Kleidungsstücken wie Jeans zu waschen.
Am größeren Hebel sitzt in dem Kontext jedoch die Industrie. Sie könnte – wie in Frankreich ab 2025 vorgeschrieben – Waschmaschinen mit Mikroplastikfiltern anbieten. Doch dafür braucht es eine sehr gut funktionierende Technik.
Sekundäres Mikroplastik: Gefahr für Mensch und Tier
Das Projekt InCamS@BI, in dem Baumann zusätzlich zu seiner Promotion tätig ist, ist interdisziplinär ausgelegt und hat sich auf die Optimierung der zirkulären Wertschöpfungskette – insbesondere im Hinblick auf Kunststoffe – spezialisiert. Mikroplastikfilter passen thematisch dazu, da Mikroplastik oft ein Enderzeugnis von Kunststoffen ist – und dessen Wiederbeschaffung ist nicht trivial.
Werden Kunststoffprodukte nicht fachgerecht entsorgt, enden die Produkte schlimmstenfalls in der Umwelt und degradieren hier zu Mikroplastik. So entstehende Partikel werden als sekundäres Mikroplastik bezeichnet. Im Gegensatz dazu wird primäres Mikroplastik bereits klein hergestellt und beispielsweise in Kosmetika oder Scheuermitteln eingesetzt.
Laut der Weltgesundheitsorganisation WHO hat Mikroplastik Auswirkungen auf das Verdauungs-, Atemwegs-, Herzkreislauf- und Fortpflanzungssystem, auf Nieren, Leber und Schilddrüse. Da es weder chemisch in Wasser gelöst, noch biologisch abgebaut werden kann (außer von speziellen Bakterien oder Pilzarten), verweilt Mikroplastik sehr lange im Kreislauf und lagert sich im Laufe der Zeit in und um Zellen sowie an zellulären Bestandteilen an. Dies ist besonders kritisch, wenn sich am Kunststoff angelagerte Toxine und Erreger oder schädliche Additive herauslösen und so zu Entzündungen führen.
„Ohne gezielte Versuche der Rückgewinnung bleibt Mikroplastik im Wasser und stellt ein totes Ende im Kunststoffkreislauf dar“, erklärt Baumann. „Mit zielgerichteter Grundlagenforschung jedoch kann dieser Teil des Kreislaufs geschlossen und durch den anschließenden Transfer von der Forschung in die Industrie übertragen werden. So können wir Probleme direkt am Ansatz lösen.“
Vom Manta inspiriert: System aus Kanälen und Lamellen
Der Anfang der Filterentwicklung war für Baumann am schwierigsten. „Ich habe so viele Materialien ausprobiert, mit verschiedenen Klebemethoden gearbeitet, bin einem Fehler nach dem anderen auf den Grund gegangenen – das war oft sehr frustrierend“, erinnert er sich. „Aber dann kam dieser eine Tag nach neun oder zehn Monaten Arbeit, an dem ich bei meiner damaligen Mentorin Dr. Martina Viefhues im Büro saß, richtig demotiviert, weil nichts geklappt hat. Sie riet mir, weiterzumachen, war immer optimistisch. Ich bin dann also zurück ins Labor – und auf einmal hat es funktioniert. Ich war sprachlos und sehr glücklich.“
Die Filter, die er hergestellt hat, ähneln einem Kanalsystem: Zwischen einem eigens hergestellten und geformten Silikon und einer Glasplatte befindet sich der Strömungskanal, durch den das mit Mikroplastik versetzte Wasser von einer Seite mit 10 bar Druck – vier- bis fünfmal so viel wie in einem Autoreifen – gepumpt wird. Die Partikel wandern geradeaus durch den Kanal und landen zusammen mit etwas Wasser im „Waste“-Behälter. Das restliche, reine Wasser, sucht sich einen anderen Weg, und zwar links und rechts der Mitte um eine Art Lamellen herum. Aufgrund des Drucks fließt es nicht wieder zurück, sondern in ein zweites Gefäß, den „Filtrat“-Behälter.
Am PC fertigt Baumann zunächst ein Modell an und simuliert den Wasserdurchfluss. Wenn am Computer alles funktioniert, startet er die reale Produktion. Das bedeutet, er erstellt zunächst eine Maske, mit der er einen sogenannten Masterwafer mittels Photolithographie erzeugt. Dadurch entsteht ein negatives Relief der Struktur, das mit weichem Silikon abgeformt wird. Das Material mischt der Wissenschaftler selbst an.
Anschließend wird das Silikon zurechtgeschnitten, gestanzt und mit einem speziellen Verfahren auf ein Glas geklebt, das Plasmaoxidation genannt wird. Danach kann das eigentliche Experiment losgehen: Mit hohem Druck wird die Probe durch den Filter getrieben. Sie besteht aus Wasser, das mit Mikroplastikpartikeln versetzt ist. Zum Schluss wird die Partikelkonzentration der Filterausgänge, also der „Waste“ und das „Filtrat“, miteinander verglichen.
Weniger Druck: Filtereinsatz im Haushalt
Aktuell können mit der Methode etwa 81 Prozent der Partikel aus der Probe gefiltert werden. Die beiden Behälter (sauber und verunreinigt) sind nach den Versuchen stets ungefähr gleich voll. 25 ml Flüssigkeiten werden pro Minute durch den Filter „gejagt“.
In Zukunft möchte Baumann zeigen, dass die Technik auch mit einem geringeren Wasserdruck funktioniert. Denn: Im Haushalt fließt das Wasser in der Regel mit etwa 2,5 bar, also nur einem Viertel dessen, was er aktuell in den Experimenten nutzt. Sein zusätzliches Ziel ist es, noch mehr sauberes Wasser zu erhalten.
Mittlerweile hat Baumann Unterstützung im Labor: Ioannis Gkekas schreibt zurzeit seine Bachelorarbeit bei ihm. Gkekas verändert verschiedene Parameter im Filter, passt zum Beispiel die Lamellenform an oder variiert die Abstände. „Die Forschung hier ist cool, weil viel Potenzial in den Filtern steckt“, sagt er. „Ich habe mir die Arbeit bewusst ausgesucht, weil die Belastung unserer Umwelt mit Mikroplastik gesellschaftlich einfach relevant ist.“
Ausblick: Anwendung in Klär- und Aufbereitungsanlagen
Baumann ist überzeugt: „In diesem Job muss man einsehen: Alles beginnt mit einem Problem und endet mit einem neuen.“ Wenn das Filtersystem mit verbesserten Eigenschaften im Labor funktioniert, muss die Technik natürlich den Weg in die Anwendung schaffen. Baumanns Traum ist es, so lange an den Filtern zu forschen, bis sie tatsächlich in Kläranlagen, Wasch- oder Spülmaschinen, Wiederaufbereitungsanlagen oder als Eingangsfilter für Hauswasserleitungen eingesetzt werden können. „Vielleicht gründe ich dann ja auch ein Unternehmen, wer weiß?“, überlegt er.
Sein großes Ziel: eine gute und günstige Lösung für den Masseneinsatz zu entwickeln, bei der der Durchsatz möglichst hoch ist und eine große Bandbreite von Partikelgrößen extrahiert wird. Können in Zukunft auch Teilchen im kleinsten Mikrometerbereich gefiltert werden, sind Anwendungen abseits von Mikroplastik denkbar, zum Beispiel als Trinkwasserfilter gegen Mikroorganismen.
Für Baumann bis heute faszinierend: „Die Natur liefert oft die Lösung für Probleme, die sie betrifft.“ Ohne das Vorbild der Riesenmantas wäre die Forschung vielleicht gar nicht auf diese Idee gekommen. Denn wenn Baumanns Filter irgendwann eingesetzt werden können und weniger Mikroplastik in die Meeresumwelt gelangt, profitieren nicht nur die Menschen – sondern auch die Riesenmantas.