Branchenreport Kunststoffe Formbar und beständig

publish-industry Verlag GmbH

Bild: BASF
21.01.2015

Kunststoff hat hervorragende Eigenschaften. Man kann ihn compoundieren, beschichten, kleben, gestalten. Seine Modifizierbarkeit und die vielen möglichen Fertigungstechnologien machen ihn zum idealen Werkstoff in Medizintechnikprodukten. Da von ihnen Leben abhängen können, werden an Kunststoffe in diesem Bereich ganz besondere Anforderungen gestellt. P&A hat exklusiv recherchiert und Unternehmen wie die BASF, Kraiburg TPE und Ensinger befragt.

Sponsored Content

Die Herstellung von Kunststoffen, die in der Medizintechnik zum Einsatz kommen, unterscheidet sich von der Verarbeitung anderer Polymere. „Bei vielen Anwendungen kommt es darauf an, dass die Kunststoffe keine Verunreinigungen aufweisen“, sagt Jörg Franke, Pressesprecher von Ensinger in Nufringen. Das auf Thermoplaste spezialisierte Unternehmen fertigt deshalb mehrere Produktlinien der Compounds und Halbzeuge in Reinräumen. Um bei der Extrusion von Kunststoffplatten und -rundstäben das Eindringen von Partikeln zu vermeiden, setzt Ensinger Überdruckbelüftungen ein. Die Reinluft gelangt turbulenzarm in den Reinraum und entweicht auf der gegenüberliegenden Fläche aus dem Raum. Vor allem die sensiblen Arbeitsbereiche und Maschinen dürfen nicht kontaminiert werden. Im zentralen Fertigungsraum, in dem die Extruder stehen, herrscht deshalb ein höherer Luftdruck als in den angrenzenden Zonen des Reinraumsystems. „Durch den Überdruck ist sichergestellt, dass der Staub nur aus dem Fertigungsraum heraus strömen kann, nicht aber hinein“, sagt Franke. „Durch die konstanten und kontrollierten Verarbeitungsbedingungen kann Ensinger garantierten, dass über eine definierte Grenze hinaus keine Fremdpartikel ins Endprodukt gelangen.“

Die medizintechnischen Anwendungsbereiche der aus den Spezialcompounds und Halbzeugen hergestellten Endprodukte sind vielfältig. Bauteile aus PEEK werden beispielsweise für Endoskope, Pumpen, Gehäuse, Dialysezubehör und chirurgische Werkzeuge eingesetzt. Neben der Biokompatibilität müssen die Kunststoffe deshalb noch anderen hohen Ansprüchen gerecht werden. Als Beispiele nennt Franke eine sehr gute Beständigkeit gegenüber Reinigungs- und Desinfektionsmitteln und gegenüber den gängigen Sterilisationsverfahren wie zum Beispiel Heißdampf, Heißluft, Ethylenoxid oder Gammastrahlen.

Federndes POM für „Haut-Stretcher“

Außergewöhnliche Produkte erfordern außergewöhnliche Werkstoffe. Etwa der Skin Stretcher – eine Vorrichtung, mit der die Haut bei der Behandlung von großflächigen Wunden nach Operationen oder Unfällen verschlossen wird und die aufwändige Hauttransplantationen in vielen Fällen überflüssig machen soll. Für ihn wählte der Hersteller Bio Wim in Freiburg im Breisgau einen Polyoxymethylen-Kunststoff (POM) von der BASF. „Er überzeugt vor allem durch seine mechanischen Eigenschaften, das heißt die Kombination von hoher Steifigkeit und Festigkeit mit ausgezeichneten Rückstellverhalten beziehungsweise Federeigenschaften, die von großer Bedeutung für die Federkomponente des Bauteils ist“, sagt Peter-Martin Pietak, Anwendungsentwickler für technische Kunststoffe bei der BASF. Die geringe Reibung der Bauteile aus POM erleichtere die Anwendung. Gleichzeitig erfülle der Werkstoff die mechanischen Anforderungen und lasse sich gut im Spritzguss verarbeiten.

Doch das reicht noch nicht. Zum Servicepaket gehören anwendungstechnische Unterstützung und die verbriefte Absicht, keine Änderungen der bei der FDA in den USA hinterlegten Kunststoffrezeptur vorzunehmen. Damit ein Kunststoff für medizinische Anwendungen zugelassen wird, ist eine komplexe Dokumentation notwendig. Abhängig von Dauer und Art des Kontakts mit Blut oder der Haut muss die Biokompatibilität nachgewiesen werden. Diese beschreibt die Verträglichkeit eines Materials mit dem Gewebe beziehungsweise dem physiologischen System des Patienten. Der Kunststoff oder dessen Abbauprodukte dürfen keine toxischen Produkte freisetzen oder allergische Reaktionen hervorrufen.

Eine weitere Herausforderung ist es, innerhalb eines bestimmten Zeitrahmens eine gleich bleibende Zusammensetzung der Kunststoffcompounds zu garantieren. Das ist wichtig, weil die von den Arzneimittelbehörden erteilten Zulassungen nur gültig sind, solange das Produkt nicht verändert wird. In der Kunststoffindustrie sind Veränderungen der Zusammensetzung eines Kunststoffs sonst die Regel. Martin Geissinger, Produktentwickler bei Kraiburg TPE, einem führenden Hersteller thermoplastischer Elastomermischungen, sagt: „In der Automobiltechnik etwa gibt es Austauschrohstoffe, das heißt man kann dasselbe Produkt mit Rohstoff A oder B produzieren. So etwas gibt es in der Medizintechnik nicht.“ Dank entsprechender Lagerhaltung garantiere Kraiburg TPE die Lieferbarkeit jedes Produkts in unveränderter Zusammensetzung für 24 Monate. „Selbst dann, wenn ein Zulieferer ein Produkt verändert, bekommt unser Kunde also immer noch das gewohnte und zugelassene Produkt.“ Die Dokumentation von Änderungen - das sogenannte change control - wird sehr ernst genommen. „Wir informieren unsere Kunden, wenn ein Zulieferer auch nur geringe Veränderungen vornimmt, etwa einen anderen Katalysator verwendet. Der Kunde sieht durch uns durch bis zu unserem Lieferanten.“

Gummiartiges Material ohne Vulkanisierung

Worin liegen die Vorteile thermoplastischer Elastomere (TPE) gegenüber Materialien wie Kautschuk und Silikon? „Es handelt sich um Produkte mit gummiartigen Eigenschaften, die aber wie ein Kunststoff verarbeitet werden“, so Geissinger. „Die Vorteile für den Kunden liegen in der Fertigung und oft auch im Preis. Der Kunststoff wird heiß in eine Form gespritzt und dann abgekühlt. Bei chemisch vernetzten Elastomeren ist es andersherum: Das Material wird kühl in eine Form eingespritzt und dann vulkanisiert. Dabei sind die Zykluszeiten deutlich länger. Zusätzlich müssen bei anderen Elastomeren, zum Beispiel bei vielen Silikonen, oft zeitaufwendig flüchtige Bestandteile ventiliert werden. Unsere Kunden aus dem Bereich der pharmazeutischen Verpackungen sind froh, dass die Reinheit unserer Materialien die Reinheit ihres Produktes unterstützt.“

Ein weiterer Vorteil eines thermoplastischen Elastomers sei die Möglichkeit des Zweikomponenten-Spritzgusses: „Es wird erst die Hartkomponente gefertigt, diese dann in eine neue Kavität umgesetzt; dann kann ohne Vorbehandlung oder Kleber ein TPE aufgebracht werden, der auf dem Träger haftet“, so Geissinger. Ein einfaches Beispiel hierfür sei die Zahnbürste mit ihrem harten weißen Griff und einer weichen Auflage aus TPE. Ein weiterer Vorteil: Da TPE ein Kunststoff ist, lasse er sich leicht über Masterbatche einfärben.

Eine Materialeigenschaft, an deren Verbesserung die Forscher von Kraiburg arbeiten, ist zum Beispiel die Medienbeständigkeit: Zur Zeit sei die Grenze bei 134 °C. Auch die bessere Wiederverschließbarkeit von Septen ist ein Thema, ebenso wie der Wunsch, Barriereeigenschaften zu erzielen – das ist wichtig, wenn es darum geht, Material gasdicht zu machen, damit etwa in Verpackungen kein Sauerstoff eindringt.

Bildergalerie

  • Bild: BASF

  • Bild: BASF

  • Bild: Ensinger

  • Bild: Ensinger

  • Bild: Ensinger

  • Dr. Martin Geissinger ist Produktentwickler bei Kraiburg TPE. Für die Medizintechnik muss der Hersteller von Thermoplasten zwei Jahre lang die identische Qualität garantieren.

    Dr. Martin Geissinger ist Produktentwickler bei Kraiburg TPE. Für die Medizintechnik muss der Hersteller von Thermoplasten zwei Jahre lang die identische Qualität garantieren.

Verwandte Artikel