Istanbul verfügt nach Sudokwo in Südkorea und vor dem amerikanischen Los Angeles über die zweitgrößte Mülldeponie der Welt. Die Anlage mit dem Namen Odayeri wurde 1996 eröffnet und Ende 2017 stillgelegt. Nach 21 Jahren Betrieb lagern auf einer Fläche von hundert Hektar 50 Millionen Tonnen Abfall. Durch den bakteriologischen und chemischen Abbau der organischen Inhaltsstoffe des Mülls entsteht das sogenannte Deponiegas. Werden keine Maßnahmen zur Beseitigung eingeleitet, kann es zu gefährlichen Explosionen führen.
Förderung aus 437 Bohrlöchern
Der Energieerzeuger Ortadoğu Enerji kann aus den dort gelagerten 50 Millionen Tonnen Abfall in den nächsten 25 Jahren aber Strom produzieren: Derzeit sind 32 Gasturbinen im Einsatz, die 33 MW/h erzeugen. Das entstehende Methangas der Deponie wird über 437 Bohrlöcher per Vakuum aus etwa 28 m Tiefe gefördert und mit separaten Rohren zu Gasverteilern respektive Sammelstellen transportiert. An jede der 68 Sammelstellen sind acht bis zwölf Bohrlöcher angeschlossen.
Für einen störungsfreien Betrieb ist vor allem die Überwachung des Kondenswasserstands und des Gasdrucks wichtig. Bevor die Anlage auf die Funklösung Radioline von Phoenix Contact umgerüstet wurde, mussten die Werte täglich von Servicemitarbeitern überprüft werden. Aufgrund ihrer großen Anzahl war es jedoch nicht möglich, alle Sammelstellen rechtzeitig zu kontrollieren, um sofort Abweichungen zu erkennen. In der Folge verstopften Leitungen, was zu einem hohen Wartungs- und Instandhaltungsaufwand und somit zu Produktionsausfällen führte. Erst durch die kontinuierliche Überwachung des Systems via Radioline können frühzeitig Maßnahmen ergriffen werden, bevor es zu Problemen und damit Produktionsverlusten kommt.
Datenübertragung in rauer Umgebung
Zwischen dem Kontrollraum und der am weitesten entfernt befindlichen Sammelstelle sind rund 2,7 km zu überwinden. Über eine derart lange Strecke erweist sich eine Verkabelung als unmöglich. Das Areal ist zudem in die Zonen 0 bis 2 aufgeteilt, steht also unter Explosionsgefahr. Deshalb kam nur eine drahtlose Lösung mit geringem Stromverbrauch in Frage, die mit Solarzellen versorgt werden kann.
Die Radioline-Module lassen sich in
Zone 2 einsetzen und verfügen ferner über einen weiten Spannungsversorgungsbereich von 19 bis 30 V. Die 2,4-GHz-Variante kann darüber hinaus weite Strecken bis fünf Kilometer überbrücken. Außerdem überträgt das Funksystem sowohl I/O-Signale als auch serielle Daten und ist daher vielseitig nutzbar. Die zugrunde liegende Funktechnologie Trusted Wireless sorgt selbst in rauer Industrieumgebung für eine zuverlässige Kommunikation – und das unabhängig vom Protokolltyp.
Hierbei lassen sich insgesamt vier Modi umsetzen: I/O- und serieller Datenmodus sowie PLC/Modbus-RTU-Modus und PLC/Modbus-RTU-Dualmodus. Die Radioline-Funktionsbausteine für PC Worx, Step 7 und TIA-Portal erlauben darüber hinaus die einfache I/O-Integration in die Steuerungsebene.
„Der hohe Wasserstand hatte die Leitungen verstopft, sodass das Gas an der Stelle nicht abgeführt werden konnte“, berichtet der zuständige Projektmanager Serkan Çakmak. „Die Folgen waren erheblich: Um den Fehler beheben zu können, mussten die Leitungen freigelegt werden, was hohe Kosten und Produktionsausfälle nach sich gezogen hat. Deshalb sind die Erkenntnisse über den richtigen Vakuumdruck wichtig. Nach der Auswertung der vorhandenen Daten haben wir uns dafür ausgesprochen, zunächst fünf Sammelstellen, an denen kritische Werte ermittelt worden waren, zu überwachen. Mit dem Radioline-System von Phoenix Contact ist hier die richtige Entscheidung getroffen worden.“
Der Gasdruck wird mit Drucktransmittern und der Wasserstand mit einem Schwimmer gemessen. Die drei aufgenommenen Analogsignale werden über das Radioline-System von den Sammelstellen an den Kontrollraum weitergeleitet. Die zu kontrollierenden Sammelstellen verteilen sich in einem Umkreis von 2,7 km. Daher ist das Radioline-System in Form einer Mesh-Netzwerkstruktur aufgebaut worden. Zur Überwindung der Höhenunterschiede in der hügeligen Landschaft umfasst eine Station eine Repeaterfunktion.
Adresseinstellung der Stationen per Rändelrad
Ein im Kontrollraum installiertes Dashboard zeigt die Signale live und grafisch an. Sie werden ferner überwacht und geloggt. Ist ein kritischer Wert erreicht, erfolgt eine Alarmierung der Servicemitarbeiter, die dann weitere Maßnahmen einleiten. Ein rund einen Kilometer entfernt gelegenes Unternehmen bezieht Gas von Ortadoğu Enerji. Die Zählerdaten über den Verbrauch werden ebenfalls per Radioline übertragen. Dazu ist das bestehende System einfach um eine zusätzliche Station erweitert worden.
Auf die Frage, warum sich Ortadoğu Enerji für Radioline entschieden hat, antwortet Projektmanager Murat Çetindemir: „Einer der Gründe lag in der einfachen Inbetriebnahme. Wir konnten die individuelle Adresse jeder Station mit einem Rändelrad problemlos einstellen. Das System verfügt darüber hinaus über eine intuitive, anwenderorientierte Konfigurationssoftware. Außerdem waren uns die Einsetzbarkeit der Funkmodule in explosionsgefährdeten Bereichen wie der Zone 2 sowie die Spannungsversorgung mit einem Solarpanelsystem wichtig. Radioline erfüllt alle diese Anforderungen. Ansonsten haben uns die Mitarbeiter von Phoenix Contact in diesem Projekt immer gut unterstützt. Schon als wir das erste Mal über das Projekt diskutierten, hörten sie uns genau zu und halfen uns bei der Erarbeitung der optimalen Lösung. Auf dieser Basis werden wir auch in zukünftigen Projekten mit Phoenix Contact zusammenarbeiten.“