Im Oktober 2011 startete in Kourou eine modifizierte russische Sojus-Rakete. An Bord hatte sie die beiden ersten voll funktionsfähigen Satelliten des europäischen Leuchtturmprojektes Galileo. Das neue Satellitennavigations-System soll in der Endausbaustufe ab dem Jahr 2019 aus 30 Satelliten im Orbit, zwei Bodenkontrollzentren und einer Reihe von weltweit verteilten Überwachungs- und Monitorstationen bestehen. Der Start der nächsten beiden Satelliten ist für dieses Jahr vorgesehen. Bis 2014 soll die Konstellation auf 18 Satelliten anwachsen und Galileo den Betrieb aufnehmen.
Friedliche Koexistenz der Systeme
Das bedeutet aber nicht, dass GPS in Zukunft in Europa nicht mehr genutzt wird. „Unsere aktuellen Navigationsgeräte sind auf die Nutzung von GPS ausgelegt und werden diesen Dienst auch nach dem Start von Galileo weiter nutzen können“, beruhigt Johannes Angenvoort, Geschäftsführer des europäischen Forschungs- und Entwicklungsstandorts von Garmin, alle, die sich jetzt ein Navigationsgerät kaufen wollen. „GPS, Glonass - das russische Satellitennavigationssystem - und Galileo werden auch in Zukunft koexistieren; nach heutigem Ermessen ist nicht davon auszugehen, dass Galileo eines der anderen Systeme vollständig verdrängen wird.“ Im Gegenteil, gerade durch die Kombination von GPS- und Galileo-Signalen wird die Positionsbestimmung noch genauer und es entstehen neue Einsatzbereiche für die Satellitennavigation, betont Johannes Angenvoort.
Höhere Anforderungen an die Hardware
Auf den ersten Blick haben GPS und Galileo viele �?hnlichkeiten: Beide Navigationssysteme beruhen auf dem gleichen technischen Prinzip der Verwendung von so genannten bandgespreizten Signalen, wie Dr. Günter Heinrichs, Head of Customer Applications bei IFEN, erläutert. Das Unternehmen bietet eigene Satellitennavigations-Signal-Simulatoren an und betreibt die Galileo-Testinfrastruktur in Berchtesgaden: „Beide Systeme verwenden das CDMA Code-Multiplex-Verfahren zur direkten Bandspreizung, basierend auf so genannten pseudozufälligen Spreizcodes, im englischen Pseudo Random Noise oder PRN genannt.“ Allerdings unterscheiden sich die PRN-Codes beider Systeme. Außerdem sendet Galileo in größeren HF-Bandbreiten. So verwendet Galileo im Unterschied zu GPS beim kostenlosen wie auch beim kommerziellen Dienst Memory Codes als PRN-Codes, die im Empfangsgerät nicht, wie bei GPS, erst durch Schieberegister in Echtzeit erzeugt werden, sondern bereits im Speicher des Empfängers abgelegt sind. Zudem ist für den Empfang des offenen Galileo-Dienstes die doppelte HF-Bandbreite im Empfangsgerät notwendig - bei Galileo sind das 4,092 MHz gegenüber 2,046 MHz bei GPS. �?hnliches gilt auch für den Empfang für zivile sicherheitskritische Anwendungen. Daraus resultieren dann auch die entsprechenden technologischen Anforderungen an die Galileo-Empfangsgeräte. „Hinzu kommt, dass bei einer kombinierten Positionierung mittels GPS und Galileo in einem Empfangsgerät optimalerweise die doppelte Anzahl von so genannten physikalischen Kanälen gegenüber heutigen GPS Empfangsgeräten zur Verfügung stehen sollte, um gleich viele Satelliten von beiden Navigationssystemen empfangen zu können“, so Dr. Heinrichs. „Dies bedeutet letztendlich eine etwas umfangreichere Hardware, mit zumeist einem etwas größeren ASIC, für das kombinierte GPS/Galileo-Empfangsgerät. Zudem verlangen die höheren HF-Signalbandbreiten auch höhere Abtastraten bei den zu verwendenden Analog-Digital-Konvertern.“
Besserer Empfang, höhere Genauigkeit
Doch wo liegen genau die Vorteile von Galileo? „Zunächst gibt es den politischen Effekt, dass Europa eine Unabhängigkeit von den Konkurrenzsystemen erreicht“, so Frank Henkel, Head of Integrated Circuits and Systems bei IMST. Das Unternehmen forscht und entwickelt schwerpunktmäßig in den Gebieten Funktechnik sowie Mikroelektronik und hat langjährige Erfahrung bei der Entwicklung von Empfängern für GNSS-Signale. „Galileo wird aber besser empfangbar sein, da mit größerer Sendeleistung gearbeitet und die Verfügbarkeit durch die höhere Anzahl an Satelliten zusätzlich gesteigert wird“, erklärt Henkel weiter.
Gerade bei sicherheitskritischen Anwendungen bietet Galileo einen großen Vorteil, wie Dr. Günter Heinrichs betont: „Durch die hohe HF-Empfangsbandbreite von mehr als 51 MHz des Empfangsgeräts bei der Galileo-E5-Frequenz ergibt sich eine außerordentliche Robustheit dieses Signals in Bezug auf Mehrwegefehler, die von heutigen GPS-Signalen nicht geboten wird. Diese Robustheit führt letztendlich zu einer erhöhten Positionsgenauigkeit und einer verbesserten Signalintegrität bei Umgebungsbedingungen mit starker Mehrwegeausbreitung, wie z. B. in Innenstädten.“
Dementsprechend sieht Heinrichs Vorteile des Galileo-Systems bei Anwendungen, die eine hohe Positionsgenauigkeit und bzw. oder eine hohe Signalintegrität auch unter harschen Empfangsbedingungen verlangen. „Generell muss man jedoch sagen, dass für die meisten Anwender der größte Nutzen von Galileo in einer kombinierten Verwendung mit dem heutigen GPS liegen wird. Denn durch die dann im Empfangsgerät zur Verfügung stehende doppelte Anzahl von Satelliten verbessert sich die Verfügbarkeit der Signale immens und damit einhergehend die Positionsgenauigkeit, insbesondere in den Situationen, wo durch Abschattung nur ein eingeschränkter Empfang der Signale möglich ist.“
Navigation für Fußgänger
Eine derartige Anwendung wird zurzeit im Forschungsprojekt NAPA entwickelt. Hierbei wollen bis zum Jahr 2013 eine Reihe von Instituten und Unternehmen, darunter auch IMST als Projektkoordinator und Garmin, einen Empfänger entwickeln, mit dem Fußgänger ihren Standort bis auf einen Meter genau lokalisieren können. Johannes Angenvoort von Garmin: „Damit können Fußgänger exakt über Zebrastreifen gelotst werden. Durch die genauere Positionsbestimmung kann auch die Sicherheit gesteigert werden: So könnten Autofahrer in nicht einsehbaren Verkehrsbereichen vor Personen an der Fahrbahn gewarnt werden.“ Das ist sicher noch Zukunftsmusik, aber bereits Mitte 2012 soll es einen ersten Prototypen eines Empfängers geben, der die Anforderungen an die Fußgängernavigation erfüllt. „Ein üblicher GPS-Navigationsempfänger hat eine Auflösung 15 bis 30 m, was für die Navigation mit dem Auto in vielen Fällen ausreicht“, beschreibt Frank Henkel von IMST die Besonderheiten dieser Anwendung. „Für den Fußgänger ist aber auch wichtig zu wissen, auf welcher Straßenseite man sich befindet, und er sollte auch auf dem Gehsteig und nicht daneben positioniert werden. Das heißt, es wird eine Auflösung von kleiner als 3 m notwendig, wie wir sie in NAPA angepeilt haben.“
Ein derartiges Fußgänger-Navigationsgerät stellt auch an die Elektronik besondere Anforderungen: Da es für den Massenmarkt konzipiert ist, legen die Entwickler viel Wert auf höchste Integration und möglichst geringe Leistungsaufnahme. „So wird der Empfänger ein SoC sein, der den analogen Empfangsteil und das digitale Basisband auf einem Chip vereint. Zudem wird darauf geachtet, dass nur eine minimale Anzahl externer Bauelemente nötig ist“, berichtet Henkel. In der hohen Empfindlichkeit eines derartigen Empfängers sieht er allerdings die größte Herausforderung, die noch schwieriger wird in urbanen Umgebungen mit ihren Häuserschluchten und den damit verbundenen Problemen wie Abschattung und Mehr-Wege-Ausbreitung. Frank Henkel weiter: „Zusätzlich entstehen durch das SoC-Konzept weitere Herausforderungen, da Einstreuungen aus dem Digitalteil den Empfang für den hochfrequenten Analogteil schwieriger gestalten. Und schließlich sollen nun zwei Frequenzbänder gleichzeitig zu empfangen sein, um die vollen Möglichkeiten von Galileo nutzbar zu machen, ohne dass sich beide Empfangspfade gegenseitig beeinflussen.“