Mehr Betriebssicherheit mit individueller thermischer Schaltschrankbetrachtung Individuelle Betrachtung bitte beim Kühlkonzept!

Friedrich Lütze GmbH

Die Umgebungstemperatur ist der Faktor, der den notwendigen Kühlbedarf eines Schaltschrankes am stärksten beeinflusst. Daher sollte dieser Einflussfaktor möglichst realitätsnahe bewertet werden, um ein nachhaltiges und energieeffizientes Kühlkonzept ableiten zu können.

Bild: iStock, Marina Demeshko
03.07.2024

Viele Schaltschrank- und Anlagenplaner betrachten den Nachweis der zulässigen Erwärmung gemäß den Vorschriften als reine Pflichtaufgabe, ohne in der Planungsphase das Kühlkonzept zu berücksichtigen und den Schaltschrank bedarfsgerecht auszulegen. Die Auswirkungen einer falschen Schaltschrankplanung sind jedoch unangenehm: Überdimensionierte Kühlsysteme, erhöhte Betriebskosten, ineffiziente Ressourcennutzung und potenzielle Risiken für die Betriebssicherheit können die Folge sein.

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Für viele Schaltschrank- und Anlagenplaner stellt der Nachweis der zulässigen Erwärmung gemäß DIN EN 61439 eine reine Pflichtaufgabe dar. Dabei könnte in der Planungsphase noch Einfluss auf das Kühlkonzept und den Aufbau eines Schaltschrankes genommen werden. Hier liegt jedoch ein klassisches Stakeholder Problem vor: Planung und Betrieb einer Anlage liegen in unterschiedlichen Händen. Der Anlagenplaner hält sich strikt an die im Lastenheft festgehaltenen Vorgaben. Die Vorgaben zur thermischen Auslegung sind vom Auftraggeber in der Regel jedoch nicht individuell abgestimmt, sondern werden pauschal verfasst. Und allein schon aus Haftungs- und Gewährleistungsgründen wird ein Anlagenplaner eher eine Überdimensionierung des Kühlsystems in Kauf nehmen, als eine potenziell riskante Veränderung am Kühlsystem vorzunehmen. Zumal die Anlagenplaner nicht die Energie- und Instandhaltungskosten der Anlage tragen. Doch wo genau liegt nun das Problem?

Jedes Lastenheft enthält eine Angabe zur Umgebungstemperatur, der ein Schaltschrank ausgesetzt ist. Praxisübliche Werte liegen bei 35 bis 40  °C. Eine Diskussion über die Sinnhaftigkeit dieser Angaben ist – basierend auf der langjährigen Erfahrung der Autoren – oft zwecklos. Bedienen wir uns an dieser Stelle an einem Beispiel aus dem Alltag: Bei den meisten Menschen stößt man auf wenig Widerspruch, wenn man die Übertragbarkeit des Wetterberichts von einem Ort auf einen anderen – oft auch nur wenige Kilometer weit entfernten – Ort anzweifelt. Schließlich eignen sich wenige Themen so gut eine Konversation zu starten wie eine Diskussion über die Unzuverlässigkeit des Wetterberichtes. Genauso weithin akzeptiert ist der Umstand, dass das Wetter die Temperaturen in der eigenen Wohnung sowie deren Heiz- und Kühlbedarf hochgradig beeinflusst. Kein gebäudeenergetischer Planer wird das Heiz- oder Kühlsystem eines Gebäudes auslegen ohne dessen geografische Lage, Größe, Bauform oder energetischen Standard zu kennen. Wie kommt es dann, dass dies alles vergessen scheint, wenn der Sachverhalt auf industrielle Fertigungshallen und Schaltschränke übertragen wird? Im Grunde lässt sich die ganze Problematik auf einen Aspekt reduzieren: Sicherheitsdenken. Anders als bei der Behaglichkeit in der eigenen Wohnung, schwingt beim Thema Schalschrankkühlung immer die Angst vor einem kostenintensiven Anlagenausfall mit. Dass eine individuelle Schaltschrankbetrachtung, ein nachhaltiges Kühlkonzept und die Erhaltung der Betriebssicherheit nicht im Widerspruch zueinander stehen, soll im Folgenden anhand eines Praxisbeispiels gezeigt werden. 

Zunächst einmal sollte der Einfluss der Umgebungstemperatur auf die Schaltschrankinnentemperatur geklärt werden. Wird einem Schaltschrank nicht aktiv ein Wärmestrom mittels eines Kühlgerätes oder eines Wärmeübertragers entzogen, so ist dessen mittlere Innentemperatur in sehr guter Näherung linear von der Temperatur der Schaltschankumgebung abhängig. Praxisüblich wird hier oft ein mittlerer Wärmedurchgangskoeffizient von 5.5 W/m2K angenommen. Für einen freistehenden Standschrank (2m x 1m x 0,8 m) entspricht dies etwa einem Wärmeübertragungsvermögen durch freie Kühlung von 44 W pro 1 K Temperaturdifferenz zur Umgebung. Dieser Sachverhalt ist keineswegs pauschal auf einen beliebigen Schaltschrank zu übertragen, bietet jedoch einen ersten Anhaltswert. In der Überschlagsrechnung implizit enthalten sind bereits zwei Maßnahmen zur thermischen Ausbesserung: die gesamte Fläche des Schaltschrankes (außer dem Boden) ist an der Wärmeabgabe des Schaltschrankes an die Umgebung beteiligt und im Schaltschrank liegen annähernd homogene Temperaturen vor. Dies ist zum Beispiel durch den Einsatz des kanallosen Verdrahtungssystems AirSTREAM und der AirBLOWER Lüfter möglich. Außerdem kann die Realitätsnähe der Berechnung verbessert werden, wenn der Schaltschrank statt in eine Zone in mehrere Zonen unterteilt wird, wie es das überarbeitete Wärmesimulationstool AirTEMP 2.0 bietet. Aber welche Umgebungstemperatur sollte jetzt angenommen werden, wenn zuvor die Realitätsnähe von pauschalen Vorgaben von 35 bis 40 °C in Abrede gestellt wurde? 

Wichtig zu bemerken ist, dass die Umgebungstemperatur, der ein Schaltschrank ausgesetzt ist, über ein Jahr hinweg veränderlich ist. Zudem ist der thermische Versagensprozess eines elektrischen Bauteils im Detail komplex. Eine detaillierte quantitative Betrachtung ist an dieser Stelle nicht möglich, deshalb wird in diesem Artikel qualitativ argumentiert. Hier kann eine Analogie zum Versagensprozess von mechanischen Bauteilen gezogen werden. Die Temperatur entspricht dabei der mechanischen Spannung (oder Kraft) die auf ein Bauteil wirkt. Im Alltag tritt ein mechanischer Defekt oft nicht durch ein einmaliges statisches Ereignis ein, sondern resultiert aus vielen vorangegangen dynamischen Belastungen. So ist es auch bei dem thermischen Versagen von elektrischen Bauteilen in Schaltschränken. Ähnlich zur Dauerfestigkeit von mechanischen Bauteilen, wird die Lebensdauer von elektrischen Bauteilen neben dem absoluten Wert der Temperatur, auch von der Frequenz und Amplitude von Temperaturschwankungen beeinflusst. Wichtig ist damit neben einer Maximalbetrachtung der Umgebungstemperatur vor allem auch die im Mittel vorliegende Umgebungstemperatur und deren Schwankung. Um den jahreszeitlichen Verlauf der Umgebungstemperatur zu quantifizieren, wurde über mehrere Jahre hinweg eine Langzeitmessung im Feld durchgeführt. Mittels autonomer Datenlogger wurde die Umgebungstemperatur in einer Fertigungshalle über mehrere Jahre hinweg aufgezeichnet. Abbildung 1 zeigt die Ergebnisse der Messungen für das Jahr 2022. Dabei handelt es sich um einen Standort in Mitteldeutschland. Es soll keinesfalls die Aussage aufgestellt werden, dass die gewonnen Erkenntnisse allgemein gültig sind. Das Stichwort lautet hier individuelle Schaltschrankbetrachtung. In ihrer Gesamtheit decken sich die gewonnen Messdaten aber mit den Erkenntnissen, die durch vergleichbare Praxismessungen in den letzten Jahren gewonnen wurden. 

Die Auswahl des Messortes erfolgte basierend auf mehreren Kriterien. Es handelt sich um eine großindustrielle Fertigungshalle, die bereits einige Jahrzehnte alt ist. Das Gebäude selbst weist einen niedrigen Energieeffizienzstandard auf. Teile des Daches sind mit Fenstern ausgestattet, so dass durch die solare Einstrahlung die Halle zusätzlich aufheizen kann. Außerdem kann durch große Hallentore, die für Logistikverkehr regelmäßig geöffnet werden, ein Luftaustausch mit der Umgebung erfolgen. Außerdem befinden sich in der unmittelbaren Umgebung der untersuchten Anlage weitere Fertigungslinien, die potenziell ebenfalls Wärme abstrahlen und die Umgebung aufheizen. Zusammenfassend handelt es sich damit um einen Aufstellort, in dem im Sommer sehr hohe Temperaturen und im Winter vergleichsweise kalte Temperaturen erwartet wurden.  

Überraschende Ergebnisse

Entsprechend überraschend waren die Messergebnisse. Im Jahr 2022 gab es am Aufstellort einen heißen Sommer mit Tagen bis zu 40 °C und einen kalten Winter mit bis zu -10 °C kalten Tagen. Über das Jahr hinweg stellte sich in der Fertigungshalle jedoch eine vergleichsweise konstante Temperatur mit durchschnittlich 20 bis 25 °C ein. Maximalwerte von etwa 30 °C wurden nur an sehr wenigen Tagen im Jahr in der Halle erreicht. Gleiches gilt für den Winter: trotz wetterbedingt niedriger Außentemperaturen fiel die Hallentemperatur typischerweise nicht weit unter 20 °C. Letzteres ist plausibel dadurch zu begründen, dass die Halle selbst durch ihr großes Luftvolumen eine hohe Wärmekapazität hat und die Abwärme diese aufheizt. Nicht in den Abbildungen zu erkennen ist der typische Tag-Nacht-Rhythmus, der sich täglich einstellte. Typischerweise schwankt die Umgebungstemperatur täglich in einem Bereich von 5 K.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass entgegen den Erwartungen auch im Sommer maximal Schaltschrankumgebungstemperaturen von 30 °C aufgetreten sind. Basierend auf der rechnerischen Abschätzung für einen Einzelschrank, die zuvor angestellt wurde, können damit auch im Hochsommer noch 440 W an Verlustleistung abgeführt werden. Unter der Voraussetzung, dass im Schaltschrank ein homogenes Temperaturfeld vorliegt und maximal 40 °C zulässig sind. Liegt die Verlustleistung über diesem Wert, kann ein Kühlgerät vorgesehen werden. Dabei reicht aber vermutlich eine der kleinsten Leistungsklassen aus, um die Betriebssicherheit der Anlage zu garantieren. Wie bereits oben erwähnt ist neben der absoluten Temperatur im Schaltschrank auch das dynamische Verhalten maßgeblich. Taktet ein Kühlgerät dabei mit einer Taktzeit von wenigen Minuten, kann dies zum einen die Lebenserwartung des Kompressors negativ beeinflussen, genauso werden aber auch elektrische Bauteile im Kaltluftstrom wiederkehrenden Temperaturschwankungen ausgesetzt. Diese wirken sich genau wie absolute Temperaturerhöhungen negativ auf die Lebenserwartung aus. 

Ein Aspekt, der den Autoren auch immer wieder auffällt, ist die Betrachtung der maximal zulässigen Umgebungstemperatur von einer anderen Perspektive aus. Schaltschränke sind in der Regel oft nahe von Arbeitsplätzen in der Fertigung angeordnet. Entsprechend §3 der Arbeitsstättenverordnung sind bei Temperaturen von mehr als 30 °C am Arbeitsplatz vom Arbeitgeber zusätzliche Maßnahmen zur Hitzeregulierung zu ergreifen. Ab 35 °C kann nicht mehr gearbeitet werden, außer es werden dieselben Maßnahmen wie an Hitzearbeitsplätzen (zum Beispiel Gießerein) ergriffen. Die Autoren haben noch nicht beobachtet, dass an einer Fertigungslinie zusätzliche Maßnahmen entsprechend der Arbeitsstättenverordnung ergriffen wurden. Gerade in Betrieben mit einer starken Gewerkschaft erscheint es unwahrscheinlich, dass der Arbeitgeber dieser Pflicht nicht nachkommt. Daher erschient es den Autoren plausibel, 30 °C als praxisübliche Obergrenze für die Temperatur in Fertigungshallen anzusehen. 

Fazit

Die Autoren haben eine empirische Studie zu den jahreszeitenabhängigen Temperaturverhältnissen in einer Fertigungshalle durchgeführt. Die gemessenen Temperaturen lagen deutlich unter den initialen Annahmen des Betreibers der Fertigungsanlage. Über das Jahr hinweg unterlag die Temperatur in der untersuchten Fertigungshalle nur geringen Schwankungen und bewegte sich im Bereich von lediglich 20 bis 25 °C. Die Autoren planen weitere Messungen, um festzustellen, ob es sich hierbei um einen Einzelfall handelt oder dieser Umstand systematisch auftritt. Die Umgebungstemperatur ist der Faktor, der den notwendigen Kühlbedarf eines Schaltschrankes am stärksten beeinflusst. Daher sollte dieser Einflussfaktor möglichst realitätsnahe bewertet werden, um ein nachhaltiges und energieeffizientes Kühlkonzept ableiten zu können.

Bildergalerie

  • Das kanallose Verdrahtungssystems AirStream von Lütze sorgt für ein homogenes Klima im Schaltschrank.

    Das kanallose Verdrahtungssystems AirStream von Lütze sorgt für ein homogenes Klima im Schaltschrank.

  • Durchschnittswerte: Vergleich der Hallentemperatur und des Wetters für das Jahr 2022 

    Durchschnittswerte: Vergleich der Hallentemperatur und des Wetters für das Jahr 2022 

    Bild: Lütze

  • Maximalwerte: Vergleich der Hallentemperatur und des Wetters für das Jahr 2022 

    Maximalwerte: Vergleich der Hallentemperatur und des Wetters für das Jahr 2022 

    Bild: Lütze

  • Minimalwerte.: Vergleich der Hallentemperatur und des Wetters für das Jahr 2022 

    Minimalwerte.: Vergleich der Hallentemperatur und des Wetters für das Jahr 2022 

    Bild: Lütze

  • Michael Bautz, Produktmanager Cabinet Friedrich Lütze

    Bild: Lütze

  • Daniel  Haag, M.Sc. (Institut für Gebäudeenergetik, Thermotechnik und Energiespeicherung, Universität Stuttgart)

    Daniel  Haag, M.Sc. (Institut für Gebäudeenergetik, Thermotechnik und Energiespeicherung, Universität Stuttgart)

    Bild: Lütze

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