Zwischen 2018 und 2022 deutliche Rückschritte in der Digitalisierung Industrie 4.0: Rückschritt statt Revolution? Wie deutsche Betriebe den Anschluss verlieren

Digitale Revolution oder Evolution? Auf den Spuren des rückläufigen Fortschritts der Industrie 4.0.

Bild: iStock, MicroStockHub
23.12.2024

Die digitale Revolution der Industrie 4.0 verläuft in Deutschland schleppender als erhofft. Während kleine und mittlere Unternehmen zunächst Fortschritte erzielten, zeigt eine neue Analyse des Fraunhofer ISI: Seit 2018 hat sich die Entwicklung verlangsamt – teilweise gibt es sogar Rückschritte. Vor allem die Pandemie hat die digitale Transformation gebremst. Welche Faktoren spielen eine Rolle und wie können Unternehmen aus der Stagnation herauskommen?

Wie entwickelte sich die Industrie 4.0 (I4.0) am Produktionsstandort Deutschland in den vergangenen Jahren? Welche Unternehmen konnten digitale Fortschritte erzielen und wo gibt es Nachholbedarf? Die nun vorliegende Veröffentlichung des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschnung ISI bietet für Industrie, Politik und Öffentlichkeit einen Blick auf die Entwicklung der Industrie 4.0 in Deutschland seit 2015. Die Studie beruht auf Analysen von drei Wellen der Erhebung Modernisierung der Produktion des Fraunhofer ISI. Die Auswertungen machen deutlich: Es lässt sich von einer I4.0-Evolution sprechen, keinesfalls von einer Revolution.

I4.0 ist seit über einem Jahrzehnt als Zukunftsvision richtungsweisend für das Verarbeitende Gewerbe in Deutschland und auch jenseits dieser Hightech-Vision ist die Digitalisierung der Produktion eine zentrale Herausforderung für alle Industriebetriebe. Die nun vorliegende Veröffentlichung bietet einen Einblick in die Entwicklung der I4.0-Readiness Deutschlands. Dafür werden auf Basis der Erhebung Modernisierung der Produktion die Ergebnisse von 2015, 2018 und 2022 analysiert und mithilfe des neuen ISI-Industriepanels, das diese drei Erhebungswellen miteinander verknüpft, Schlussfolgerungen gezogen. Dabei zeigt das Industriepanel ein eher verhaltenes Digital-Wachstum des letzten Jahrzehnts auf.

Aufhebung der digitalen Kluft zwischen KMU und großen Betrieben bis 2018

Zunächst hatten sich die vormals weniger digitalisierten Betriebe und Branchen überdurchschnittlich verbessert. Die kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU) hatten von 2015 bis 2018 große Fortschritte hinsichtlich der Digitalisierung gemacht und gegenüber größeren Betrieben deutlich aufholen können. Mit Hilfe des I4.0-Readiness Index des Fraunhofer ISI, der auf sieben digitalen Produktionstechnologien und deren Einteilung in drei separate Technologiefeder basiert, wird aber deutlich, dass dieser Trend in den letzten Jahren nicht beibehalten werden konnte. Als prozentualer Anstieg tritt der Unterschied der beiden jeweiligen Indexwerte zum Ausgangswert 2015 noch deutlicher hervor: Das Wachstum der KMU hatte 2018 zunächst bei 12 Prozent im Vergleich zum Ausgangsjahr 2015 gelegen. Seither ist deren digitaler Fortschritt jedoch deutlich rückläufig und lag zuletzt lediglich bei 5 Prozent.

„Die Aufhebung der digitalen Kluft zwischen den KMU und den großen Betrieben konnte sich nicht fortsetzen“, so Dr. Christian Lerch, Leiter des Geschäftsfelds Industrieller Wandel und neue Geschäftsmodelle. Er erläutert: „Während sich der Abstand zu den großen Unternehmen bis 2018 verringerte und sie einen Anschluss an die Führungsgruppe gefunden hatte, verlangsamte sich das Tempo dieser technologischen Entwicklung jedoch deutlich. 2022 waren es dann insbesondere große Betriebe, die verstärkt auf einen Ausbau ihrer digitalen Produktion setzten.“

Stagnation und Trendwende durch Corona-Krise

Diese Stagnation führt das Team des Competence Centers Innovations- und Wissensökonomie auf die COVID-19-Krise mit ihren Lockdowns und einhergehenden Produktionseinschränkungen ab dem Frühjahr 2020 zurück. Aufgrund schwächerer Umsätze zeigten sich gerade KMU weniger investitionsfreudig, was wiederum einen geringeren Modernisierungsgrad des Produktionsequipments zur Folge hatte. Großunternehmen konnten aufgrund ihrer besseren Ressourcenausstattung die Folgen der Lockdowns besser überwinden und der Digitalisierung auch während der Krise eine höhere Aufmerksamkeit schenken.

Mit den neuen Panelanalysen des Fraunhofer ISI wird darüber hinaus deutlich, dass der Rückgang der Dynamik auch darin begründet ist, dass ein relevanter Anteil an KMU nicht nur keinen Fortschritt in ihrer I4.0-Readiness realisierte, sondern vielmehr zwischen 2018 und 2022 deutliche Rückschritte in der digitalen Ausstattung zu verzeichnen hat. Damit weisen die Analysen auf eine Besonderheit von Digitalisierung in der Produktion hin: „Mehr als klassische analoge Technologien erfordern digitale Lösungen auch nach ihrer Implementierung kontinuierliche Anpassungen, gezielte Maßnahmen und Investitionen. Diese waren von KMU nicht immer zu leisten“, so Christian Lerch.

Weitere Erkenntnisse auf Basis der Indexwerte etwa mit Blick auf die Branchen des Verarbeitenden Gewerbes sowie eine detaillierte Erläuterung der einzelnen Elemente und Einstufungen des I4.0-Readiness-Index bietet die Publikation „(r)Evolution 4.0: auf den Spuren des rückläufigen I4.0-Fortschritts, Nummer 82 der Mitteilungen aus der ISI-Erhebung Modernisierung der Produktion“.

Seit 1993 führt das Fraunhofer ISI regelmäßig die Erhebungen zur Modernisierung der Produktion durch. Die Erhebung erfasst aller drei Jahre eine repräsentative Stichprobe in der Größenordnung von 1.600 Betrieben des gesamten Verarbeitenden Gewerbes. Mit ihrer umfassenden und faktenbasierten Konzeption erlaubt die Umfrage detaillierte Analysen zur Modernität und Leistungskraft der Betriebe des Verarbeitenden Gewerbes.

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