Prozessautomation Logistikautomation – heute und morgen

Die Förderung von Paletten oder kleineren Fördergütern wie Kartons und Behältern ist altbekannt. Diese Fördertechnik wird meist über SPS gesteuert

Bild: SSI Schäfer
14.09.2015

Eines der bedeutendsten Themen der Lager- und Distributionstechnik ist die Entwicklung der Logistikautomation. Doch was verbirgt sich dahinter?

Die Bandbreite der Antworten reicht vom Einsatz eines Computers zum Bestands- und Auftragsmanagement bis zum automatischen Kommissionier-Roboter. Die vorherrschende Definition aber lautet: Logistikautomation bedeutet die Nutzung von automatisierten Einrichtungen oder Maschinen für Vorgänge im Lager. Angetriebene und von einer Steuerung kontrollierte Fördertechnik fällt in diese Kategorie, ebenso ein automatisches Regalbediengerät für ein Hochregallager, ein Schachtkommissionier-Automat oder ein Roboter für das automatische Depalletieren von Artikeln im Wareneingang. Auch bei weiterhin vielen manuellen Tätigkeiten im Lager sprechen wir von Lagerautomation, wenn Teile der Einrichtungen oder Maschinen über automatische Steuerungen betrieben werden.

Automatisierung beim Fördern

Altbekannt ist die klassische – meist über SPS gesteuerte – Fördertechnik für Paletten oder kleinere Fördergüter wie Kartons oder Behälter. Weitere typische schienen- oder streckengebundene Vertreter von automatisierter Fördertechnik sind Elektrohängebahnen und andere Formen der Hängefördertechnik, insbesondere aus der Fashion-Logistik. Allen gemeinsam ist das Prinzip der Steuerung über Blöcke, Staupositionen etc., wobei die Sensorik überwiegend aus Lichtschranken beziehungsweise -tastern besteht. So wird festgestellt, ob eine Position belegt oder frei ist. Was sich an dieser Position befindet, wird dabei überwiegend durch Scannen von Barcodes am Fördergut festgestellt, oder durch Wegverfolgung ab einer Position, bei der das Fördergut identifiziert wurde. An diesen Grundprinzipien hat sich in den vergangenen Jahrzehnten wenig geändert. Weder der prognostizierte intelligente Förderer hat bisher nennenswerte Bedeutung erlangt noch ist die Ablösung des Barcodes durch RFID-Tags erfolgt.

Neben der aus physischen, schienenartigen Strecken aufgebauten klassischen Fördertechnik haben inzwischen die selbstfahrenden Förderer einen festen Platz in der Lagerlogistik eingenommen. Hierbei handelt es sich im Wesentlichen um Abwandlungen des bereits in den 80er/90er-Jahren bekannten Prinzips der fahrerlosen Transportsysteme (FTS) aus der Fertigungslogistik. Wobei sich die Abwandlungen sowohl auf unterschiedliche Größen der Fahrzeuge beziehungsweise des Förderguts beziehen als auch auf die Fahrzeug-Aufbauten.

Durch die Vielzahl der verwendeten Techniken reicht der ökonomisch sinnvolle Bereich der automatisierten Förderung inzwischen von weniger als 50 Transporten pro Stunde und Strecke bis hin zu über 5.000 Transporten pro Stunde. Wobei die Strecke sowohl physisch direkt über eine Förderlinie abgebildet ist oder virtuell eine Fahrstrecke für ein FTS zwischen zwei Punkten im Lager beschreibt. Bei der Automatisierung der Fördertechnik gibt es zwei Ebenen der Steuerung. Zum einen die eigentliche Maschinensteuerung. Dies bezieht sich auf die Steuerung der maschinenartigen Elemente der Fördertechnik selbst, also etwa die Funktionen eines Drehtellers in der Palettenfördertechnik oder die Steuerung von Hub und Riemenantrieb eines Riemenausschleusers in der Karton- und Behälterfördertechnik. Insbesondere im Bereich der Kleinladungsfördertechnik erfahren Mikroprozessorsteuerungen immer breitere Verwendung.

Die zweite, darüber angeordnete Steuerungsebene betrifft den Materialfluss. Hierfür gibt es zwei unterschiedliche Steuerungsarchitekturen. Viele Hersteller setzen auf einen Materialflussrechner oberhalb der SPS-Ebene und halten dafür die SPS-Ebene selbst recht schlank. Der andere Ansatz ist die Implementierung der Materialflusslogiken direkt in der SPS-Ebene. Letzteres ermöglicht es, auf den Materialflussrechner zu verzichten, indem Teile seiner Funktion nach unten in die SPS verlagert werden und ein Teil dem übergeordneten Lagerverwaltungssystem (LVS oder WMS, Warehouse Management System) beziehungsweise ERP-System (Enterprise Resource Planning) übertragen wird.

Beide Architekturansätze haben sich in der Praxis bewährt. Viele Hersteller bevorzugen aber die Verwendung einer Materialflussrechnerebene. Auch wenn es immer noch Materialfluss‑rechner heißt, ist es inzwischen meist gar keine eigenständige physische Einheit mehr, sondern eine Software, die auf einem gemeinsamen Server mit der Lagerverwaltung und anderen Funktionen betrieben wird. Zudem erlaubt die Abbildung auf der IT- oder Serverebene größere Freiheiten bei Art und Umfang der Funktionen des Materialflussrechners. Auch wenn heutige SPS leistungsfähiger als vor 10 oder 15 Jahren sind, so liegen immer noch Welten zwischen Speichervermögen und Rechenleistung im Vergleich zu einem serverbasierten Materialflussrechner. Je größer und komplexer die fördertechnische Aufgabe ist, desto wirtschaftlicher und leistungsfähiger ist im Vergleich ein klassischer Materialflussrechner.

Automatisierung beim Lagern

Wenn Lagern automatisiert ist, sprechen wir auch von Lagermaschinen: Geräten, die ein Lager- oder Fördergut automatisch ein- und auslagern. Klassische Vertreter sind die Regalbediengeräte, bekannt von sowohl der Paletten- als auch der Karton- und Behältertechnik. Zunehmend ergänzt durch Systeme, die Hoch- und Horizontalachse mit jeweils getrennten Funktionseinheiten bedienen. Hierbei handelt es sich um sogenannte Shuttle-Systeme, bei denen ein Shuttle horizontal entlang einer Lagerebene verfährt und ein oder mehrere Lifte die vertikale Achse bedienen.

Die bisher genannten Lagermaschinen verwenden statische Regale, nur die Lagermaschinen bewegen sich. Bei Karussellagern oder Lagerliften ist hingegen auch das Lagergut in Bewegung. Darüber hinaus gibt es noch weitere Bauformen und Nischenapplikationen. An dieser Stelle soll es aber gar nicht um eine vollumfängliche Darstellung aller Ausprägungsformen von Lagermaschinen gehen. In der Automationstechnik wird eine Lagermaschine nach folgenden Haupt-Kriterien ausgewählt:

  • a) Geeignet für die Eigenschaften des Lager- beziehungsweise Förderguts.

  • b) Erfüllt die Durchsatzanforderungen.

  • c) Liefert im verfügbaren Bauvolumen die benötigten Stellplätze.

  • d) Ist unter den vorgenannten Kriterien die günstigste Lösung.

Das bedeutet, die eine richtige Lagermaschine gibt es nicht. Je nach Anwendungsfall erweist sich eine bestimmte Technik als optimal. So sind zum Beispiel die Karusselle mit rund 250 Doppelspielen je 1.000 Lagerplätze die schnellsten Lagermaschinen, bei den Kosten pro Lagerplatz sind sie aber anderen Lösungen unterlegen. Da der Durchsatz von vielen Kriterien wie Anzahl Gassen, Gassenhöhe, Anzahl der Lifte etc. abhängt und so häufig schwer direkt vergleichbar ist, hat sich die Kenngröße von „Doppelspielen pro tausend Lagerplätze“ (DS/kLP) als eine sinnvolle Einheit für den Vergleich unterschiedlicher Systeme erwiesen.

Was die Technik der Automatisierung betrifft, muss zwischen den leichten Shuttles für Kleinladungsträger und den sonstigen Lagermaschinen unterschieden werden. Aufgrund der geringen Masse in Kombination mit entsprechenden Zutrittskonzepten sind für Shuttles im Normalfall keine sicheren Steuerungen erforderlich. Deshalb ist in diesem Zusammenhang die Mikroprozessorsteuerung vorherrschend.

Bei fast allen anderen Lagermaschinen sind nach Maschinenrichtlinie sichere Steuerungen erforderlich. Denn selbstverständlich muss auch im Wartungsfall die Sicherheit und Unversehrtheit der Mitarbeiter gewährleistet werden. Deshalb kommen hier fast ausschließlich SPS-Steuerungen mit integrierten, sicheren Regel- und Sensorikschaltungen zum Einsatz.

Automatisierung beim Kommissionieren

Nach wie vor ist die Kombination von menschlicher Hand, Auge und Verstand unerreichbar in Bezug auf Flexibilität und Leistung beim Kommissionieren. Entsprechend gering ist hier bisher der Einfluss der Automatisierung. Der älteste und bisher immer noch erfolgreichste Vertreter der automatischen Kommissionierung ist der Schachtautomat. Wegen seiner charakteristischen Form wird er auch A-Frame genannt. Der typische Anwendungsbereich des A-Frames sind kleine, meist schachtelartige Artikel mit einer Gängigkeit von 50 bis 350 Stück am Tag. In Kombination mit zirka drei bis fünf Auswürfen pro Sekunde und Schacht sowie der Verwaltung von Auftragsfenstern auf einem Sammelband verlangt dieses Gerät nach einer ausgeklügelten Steuerung. Genau genommen war der A-Frame mit diesen Anforderungen einer der Treiber für den Einzug der Mikroprozessorsteuerungen in der Lagerlogistik bereits in den 80er-Jahren.

Insbesondere in Zusammenhang mit den immer besser und preisgünstiger werdenden Bildverarbeitungstechniken beginnt der zunehmende Einsatz der Robotik in der Lagerautomation. Inzwischen hemmen weder die Kosten der Geräte noch die Leistung der Bildverarbeitung oder Steuerung eine stärkere Verbreitung. Als echter Hemmschuh erweist sich hingegen bisher noch die Greiftechnologie. Wie eingangs erwähnt, ist hier die Kombination aus menschlicher Hand und Auge noch unschlagbar.

Über Roboter und A-Frame hinaus, konzentriert sich die Automatisierung beim Kommissionieren auf Benutzerführung über Anzeigen beziehungsweise Zeiger, Sprachanweisungen oder tragbare Bedienterminals bis hin zur automatisierten Zugriffsdetektion. Angewandt wird es bei Arbeitsplätzen von Person-zur-Ware und Ware-zur-Person, sowie der Materialandienung bei Ware-zur-Person Arbeitsplätzen. Ohne Zweifel ist die Kommissionierung das Gebiet der Lagerautomation mit der breitesten und dynamischsten Weiterentwicklung der Automationslösungen.

Sonstige Automatisierung im Lager

Die sonstige Automatisierung auf gleichem Niveau zu behandeln wie die vorangegangen drei Bereiche Fördern, Lagern und Kommissionieren würde den Rahmen dieses Fachbeitrags sprengen. Zu weit gefächert sind die weiteren Anwendungsfälle, in denen inzwischen eine Automatisierung im Lager Einzug gefunden hat. Egal ob das automatische Depalletieren und Vereinzeln im Wareneingang, das Aufrichten oder Verschließen von Kartons bei der Kommissionierung, dem Stapeln und Entstapeln von Behältern, dem Wiegen und Kontrollieren des Förderguts bis hin zur Produkterkennung und Qualitätsprüfung; überall ist inzwischen die Automatisierung allgegenwärtig. Aber was zeichnet die Logistikautomation von morgen aus?

An dieser Stelle möchte ich einige Vorhersagen für die künftige Entwicklung wagen. Ableiten möchte ich diese aber nicht von einem Blick in die Glaskugel, sondern von klar nachvollziehbaren Technologietrends:

  • Weiterhin stetiger Zuwachs an Rechenleitung bei den Mikroprozessoren bei gleichzeitig rasch sinkenden Kosten.

  • Steigendes Leistungsvermögen der Bildverarbeitung bei ebenfalls rasch sinkenden Kosten.

  • Moderne Unterhaltungs- und Kommunikationselektronik ist ein starker Treiber für gleichzeitige Leistungssteigerung und Kostensenkung der hierfür verwendeten Technologien. Interessant sind hierbei aus Sicht der Lagerautomation insbesondere die Sensorik, Miniaturisierung sowie Datenübertragungstechnologien.

  • Roboter sind inzwischen eine Commodity, das heißt gekennzeichnet durch geringe Kosten, reife Technologie und gute Verfügbarkeit.

Neben den Technologietrends spielen natürlich auch die Anforderungen der Zukunft an Lager beziehungsweise Distributionslogistik eine Rolle. Zugegeben ist hier die Prognose ungleich schwieriger als bei der Entwicklung der Technologie. Dennoch scheinen mit gewisser Sicherheit die folgenden Anforderungen eine Rolle zu spielen:

  • Wandelbare Distributionszentren, da Produktlebenszyklen und Trends im Konsumentenverhalten immer kurzlebiger werden.

  • Steigende Kosten der menschlichen Arbeit und in einigen Regionen kombiniert mit Arbeitskräftemangel oder steigendem Altersdurchschnitt.

  • Weiter voranschreitende Urbanisierung in den Schwellenländern in Kombination mit steigendem Konsum erfordert angepasste Distributionskonzepte.

  • Weiterer Anstieg des E-Commerce.

Es mag verwunderlich klingen, aber daraus ergibt sich meiner Ansicht nach nicht der Trend zu intelligenten, agentenbasierten Systemen für sämtliche Funktionen eines Distributionslagers. Ja, wir werden flexiblere, leichter zu konfigurierende und wandelbare Systeme benötigen. Erfahrungen aus anderen Branchen zeigen uns allerdings, dass der Schlüssel hierzu nicht in der technologischen Hochrüstung aller Komponenten liegt. Vielmehr werden die hier folgenden Ansätze die Lagerautomation der Zukunft prägen:

  • Standardisierte Schnittstellen, insbesondere in der Kommunikation und Sensorik. Denn darauf baut auch eine weitere Technologie für flexible, wandelbare Systeme.

  • Plattformen und Standards für IT-basierte Funktionen. Hiermit sind modulare, logische Funktionsbausteine gemeint, die im Sinne des "Software-as-a-Service"-Konzepts zusammengefügt und (re-)konfiguriert werden.

  • Der Einsatz der Robotik wird zunehmen, aber den Menschen nur teilweise verdrängen. Das "lights-out" Distributionszentrum wird es geben, aber nur für vereinzelte Anwendungsfälle.

  • Die Bildverarbeitung wird nicht nur in der Produktidentifikation und damit sowohl bei Qualitätssicherung und Kommissionieren eine stärkere Rolle spielen, sondern auch konventionelle Sensorik auf der Maschinensteuerungsebene teilweise verdrängen.

Unklar erscheint, ob in diesem Zusammenhang die Branche die nötigen Standards und Technologien gemeinsam über entsprechende Gremien definieren wird oder ob eher erfolgreiche, große Anbieter durch die Akzeptanz und Verbreitung der entsprechenden Produkte und Lösungen die de-facto Standards kreieren werden.

Bildergalerie

  • Shuttle-Systeme, bei denen ein Shuttle horizontal entlang einer Lagerebene verfährt und Lifte die vertikale Achse bedienen, dienen der Automatisierung beim Lagern.

    Shuttle-Systeme, bei denen ein Shuttle horizontal entlang einer Lagerebene verfährt und Lifte die vertikale Achse bedienen, dienen der Automatisierung beim Lagern.

    Bild: SSI Schäfer

  • Palettier-Roboter übernehmen das automatische Depalletieren und Vereinzeln im Wareneingang, das Aufrichten oder Verschließen von Kartons bei der Kommissionierung.

    Palettier-Roboter übernehmen das automatische Depalletieren und Vereinzeln im Wareneingang, das Aufrichten oder Verschließen von Kartons bei der Kommissionierung.

    Bild: SSI Schäfer

  • Selbstfahrende Förderer haben inzwischen einen festen Platz in der Lagerlogistik eingenommen.

    Selbstfahrende Förderer haben inzwischen einen festen Platz in der Lagerlogistik eingenommen.

    Bild: SSI Schäfer

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