Wenn neue Produkte auf den Markt kommen sollen, zählt vor allem eines: Schnelligkeit. Für Betreiber steht daher bei der Planung einer neuen oder dem Umbau einer bestehenden Anlage meist die technische Machbarkeit des Verfahrens im Vordergrund. Prozesse nach detaillierten Kostengesichtspunkten zu optimieren, erfolgt aber gerade in der Spezialchemie häufig erst Stück für Stück im laufenden Betrieb. Wird ein neues Verfahren wirtschaftlich bewertet, werden Apparate und deren Prozessparameter in der Regel nach bekannten Heuristiken überschlägig dimensioniert und auf Basis dieses Designs die Kosten je nach geforderter Genauigkeit ermittelt. Die Heuristiken beziehen sich allerdings nur auf das Design einzelner Apparate und berücksichtigen meist keine Rückführungen oder Verschaltungen mit einer komplexen Abhängigkeit der Variablen voneinander. Auch Sonderwerkstoffe werden beim heuristischen Ansatz meist nicht betrachtet.
Beispiel eines überprüften Verfahrens
Bei einer bestehenden Anlage wird im Prozess eine Säure verunreinigt. Um sie wieder verwenden zu können, setzte der Betreiber bisher ein kostenintensives Edukt zur chemischen Neutralisation ein. Dies hatte allerdings hohe Betriebskosten zur Folge. Der Kunde beauftragte daher den Dienstleister InfraServ Knapsack, die technische Machbarkeit mehrerer Verfahrensvarianten zu überprüfen und deren Wirtschaftlichkeit im Rahmen eines Conceptual Designs zu bewerten. Als verfahrenstechnische Alternative zur derzeitigen Aufreinigung stand eine Destillation verknüpft mit einer anschließenden Absorption im Fokus. Aufgrund der zu erwartenden großen Anzahl von Freiheitsgraden durch die Kombination der beiden Reinigungsschritte erschien den Planern die Entwicklung eines wirtschaftlichen Verfahrensdesigns allein auf Basis von einschlägigen Erfahrungswerten wenig erfolgversprechend. Sie entschieden sich daher für ein anderes Vorgehen.Zunächst wurde die technische Machbarkeit des neuen Verfahrens in bewährter Weise mit Hilfe eines thermodynamischen Modells geprüft. Dabei kam die Software Aspen Plus zum Einsatz. Im konkreten Modell ergaben sich je nach Variante bis zu 14 verschiedene Freiheitsgrade, darunter beispielsweise die Anzahl der Trennstufen, das Rücklaufverhältnis, der in der Kolonne eingestellte Druck, aber auch stoffliche Verluste über den Abgasstrom oder die Menge des Waschmediums für die Absorption. Zudem zeigten sich starke Wechselwirkungen der Freiheitsgrade untereinander. Damit schied die Variation der Freiheitsgrade nach dem Prinzip von Trial and Error von vornherein aus, da diese Methode aufgrund des hohen Aufwands in der Regel nur bei wenigen Freiheitsgraden mit geringer Abhängigkeit voneinander sinnvoll ist. Nach Prüfung der technischen Machbarkeit wurde die Wirtschaftlichkeit des Verfahrens deshalb durch Einsatz eines mathematischen Optimierers ermittelt, der auf das thermodynamische Modell zurückgriff. Dazu stellten die Planer eine Kostenfunktion für das gesamte Verfahren auf, die sowohl Investitions- als auch Betriebskosten berücksichtigte: Gesamtkosten = Betriebskosten + (Investitionskosten/Amortisationszeit). In die Investitionskosten flossen sowohl die Apparatekosten für Wärmetauscher, Kolonnenmäntel als auch Kolonneneinbauten ein. Weitere Kosten, beispielsweise für Messtechnik, Montage und Bau wurden auf Basis der Apparatekosten hochgerechnet und in die Formel einbezogen. Die Betriebskosten setzten sich aus Energiekosten, Kosten für den zugesetzten Reaktanten sowie Kosten für Stoffverluste im Verfahren und für die Entsorgung zusammen.
Apparatedesign mathematisch optimieren
Für die Optimierung des Apparatedesigns sowie der Prozessparameter hinsichtlich minimaler Gesamtkosten untersuchten die Planer mehrere technische Varianten mit unterschiedlichen Verschaltungen. Dazu nutzten sie den mathematischen Optimierer von Aspen Plus. Zunächst wurden darin alle notwendigen Randbedingungen definiert und festgelegt, von welchem Startpunkt, in welchem Spektrum und in welchen Schrittweiten sich der Optimierer bewegen sollte. Nach Definition der Vorgaben ermittelt das Optimierungstool vom Startpunkt aus weitgehend automatisch den Weg zum Optimum. Allerdings können sich während des Vorgangs Konvergenzprobleme ergeben, die eine weitere Feinjustierung notwendig machen. Das globale Minimum verifizierten die Planer zusätzlich, indem sie dem Optimierer in mehreren Durchläufen unterschiedliche Startwerte vorgaben. Bei einer zeitaufwendigen manuell gesteuerten Suche nach einem Optimum kann es dagegen aufgrund des stichpunktartigen Vorgehens vorkommen, dass zwar eine verbesserte Lösung, nicht aber das eigentliche Optimum gefunden wird. Auch im Beispielfall zeigte sich erst durch die mathematische Optimierung eine wirtschaftlich attraktive Variante mit entsprechender Betriebsführung. Durch den optimierten Verfahrensaufbau sind nun Einsparungen in einer Größenordnung möglich, die weder Kunde noch Planer erwartet hätten. So lassen sich die Betriebskosten durch die optimale Variante um rund 75 Prozent reduzieren. Dabei amortisieren sich die notwendigen Investitionskosten bereits nach drei Jahren. Für Betreiber und Planer bedeutet es zunächst einen zusätzlichen Zeit- und Kostenaufwand, eine Kostenfunktion aufzustellen. So rechnen die Planer von InfraServ Knapsack je nach Komplexität des Verfahrens mit fünf bis zehn Manntagen für den Aufbau der Kostenfunktion, die Datensammlung und die Berechnung der Daten in einem bestehenden Modell. Der Einsatz eines solchen Optimierers ist daher nach den Erfahrungen des industriellen Dienstleisters bei kontinuierlichen Prozessen sinnvoll, wenn die Gesamtkosten unter Berücksichtigung von Betriebs- und Investitionskosten minimiert werden sollen.
Effizienter Einsatz hängt vom Verfahren ab
Dies ist insbesondere der Fall, wenn Apparate in teuren Spezialwerkstoffen ausgeführt werden müssen oder der Verlust beziehungsweise die Entsorgung von Edukten oder Produkten hohe Kosten verursachen. Außerdem ist der Einsatz eines Optimierers bei der Verschaltung von Apparaten mit starker Abhängigkeit voneinander interessant, wie beispielsweise bei der simultanen Betrachtung von Reaktor- und Trennsequenzen oder Rückführungen. Bei umfangreicheren Verfahren wird die Abbildung der Kostenfunktion im Optimierer zunehmend anspruchsvoller und damit zeitintensiver. Dabei lässt sich zwar das Einsparpotenzial durch den Einsatz mathematischer Optimierer nicht vorab abschätzen, der Aufwand für die Optimierung zahlt sich jedoch auch bei kleinen Verbesserungen umso eher aus, je höher die Kosten für den Bau oder den Betrieb der betrachteten Anlage sind. Neben der genauen Berechnung des Kostenoptimums bietet die Abbildung der Kostenfunktion im Optimierer gegenüber dem iterativen Vorgehen noch einen weiteren Vorteil: �?ndern sich im Laufe des Conceptual Designs einzelne Randbedingungen, so können sie in kürzester Zeit in die Funktion einfließen. Neue Ergebnisse stehen damit schnell zur Verfügung.
Das günstigste Design
Mit vielen gängigen Heuristiken lässt sich zwar die Wirtschaftlichkeit eines Anlagenentwurfs in erster Näherung überprüfen, den Anforderungen eines kostenoptimalen Designs werden sie jedoch nicht immer gerecht. Mit den mathematischen Optimierungstools der Simulationsprogramme können Planer die Gesamtkosten eines Prozesses dagegen zuverlässig - im Rahmen der Gültigkeit der Kostenfunktion - ermitteln. Dabei rechnet sich der zusätzliche Aufwand insbesondere bei kontinuierlichen Verfahren bestehend aus Apparateverschaltungen mit starken Abhängigkeiten voneinander, wie sie unter anderem bei Rückführungen vorliegen.