Der Bus kommt an den gewünschten Abholungsort und zwar genau dann, wenn man ihn braucht. Was wie ein Traum für jeden Nutzer des öffentlichen Personennahverkehrs klingt, könnte schon bald in der baden-württembergischen Stadt Schorndorf Wirklichkeit werden: Im Zuge des Projekts „Reallabor Schorndorf“ arbeiten Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) gemeinsam mit Partnern an einem bedarfsorientierten, digital gestützten Buskonzept. Es soll ohne feste Haltestellen auskommen und den Nahverkehr an die individuellen Ansprüche der Nutzer anpassen. Gemeinsam mit dem Zentrum für Interdisziplinäre Risiko- und Innovationsforschung (Zirius) der Universität Stuttgart, der Hochschule Esslingen, der Stadt Schorndorf, dem Verkehrs- und Tarifverbund Stuttgart (VVS) sowie Knauss Linienbussen wollen die DLR-Forscher in den nächsten drei Jahren schrittweise das Buskonzept entwickeln, in einem Pilotversuch umsetzen und auswerten. Anlässlich der feierlichen Übergabe des Förderbescheids für das Reallabor Schorndorf am 1. Februar 2016 erklärte die baden-württembergische Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kunst, Theresia Bauer: „Mit Gottlieb Daimler hat Schorndorf bereits einen großen Pionier der Mobilität hervorgebracht. Nun kommt mit dem ‚ÖPNV ohne Haltestellen‘ wieder Visionäres aus der ‚Daimlerstadt‘. Über digitale Lösungen sollen Busse effizient ausgelastet werden und direkt zum Fahrgast kommen. Ein Vorhaben, das Umwelt, Fahrgäste und Verkehrsaufkommen massiv entlasten könnten – rundum ein smartes und zeitgemäßes Konzept.“
Als Mittelstadt im Ballungsraum Stuttgart steht Schorndorf exemplarisch für eine Raumstruktur, die in Baden-Württemberg weit verbreitet und deren prägendes Merkmal der Pendelverkehr zwischen Zentrum und Umland ist. Vor allem außerhalb der Hauptverkehrszeiten wird der öffentliche Nahverkehr oft als zu wenig flexibel empfunden. Gleichzeitig wünscht sich die Bevölkerung mehr Einfluss auf die Verkehrsplanung. Hier setzt das Reallabor Schorndorf an: Ein individuell abrufbares Quartiersbussystem soll die Hauptverkehrsverbindungen in Zeiten schwächerer Nachfrage flexibel ergänzen. „Da wir für das Quartiersbussystem auf feste Haltestellen, Linien und Fahrpläne verzichten, quasi Busfahren on Demand anbieten, ergeben sich ganz neue Herausforderungen, zum Beispiel was die Kommunikation zwischen Fahrgast, Busfahrer und Leitstelle betrifft“, beschreibt Matthias Klötzke, Projektkoordinator des Reallabors Schorndorf und DLR-Wissenschaftler im Bereich Verkehr. Fahrgäste sollen per Smartphone-App, Heimcomputer oder Telefon ihre Fahrtwünsche übermitteln können. Auf der Empfängerseite benötigen Busfahrer wie Leitstelle entsprechende Anwendungen und Nutzeroberflächen, um Fahrtenwünsche auszuwerten und umzusetzen. Dieses neue Bedienkonzept soll zunächst entwickelt und im Zuge eines Pilotversuchs voraussichtlich im Jahr 2018 erprobt werden. Auf Basis dieser Ergebnisse werden sich die Wissenschaftler auch über innovative Fahrzeugkonzepte Gedanken machen, die den Anforderungen eines bedarfsorientierten Buskonzepts am besten gerecht werden: Größe, Zahl der Sitzplätze und Innenraumgestaltung werden dabei ebenso einfließen wie Fragen nach der geeigneten Antriebstechnologie, dem Energieverbrauch und Emissionen.
Der Aspekt der Partizipation bildet einen weiteren Forschungsschwerpunkt des Reallabors. Von Anfang an sollen die Schorndorfer Bürger und kommunalen Gremien in die Arbeit der Wissenschaftler einbezogen werden, beispielsweise mittels öffentlichen Informationsveranstaltungen, Befragungen, Testnutzern und Mobilitätswerkstätten. Auf diese Weise wollen die Projektpartner das vorhandene Wissen der Bürger nutzen, Wünsche und Anforderungen erfassen und umsetzen sowie die Akzeptanz und Transparenz des Projekts fördern.
Das „Reallabor Schorndorf: Zukunftsweisender Öffentlicher Verkehr – Bürger-orientierte Optimierung der Leistungsfähigkeit, Effizienz und Attraktivität im Nahverkehr (Boolean)“ ist eines von sieben Forschungsprojekten, die gefördert vom baden-württembergischen Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst zukunftsfähige Lösungen für Herausforderungen in Ballungsräume erproben. In den Reallaboren stoßen Wissenschaftler zusammen mit Kommunen, Unternehmen und Bürgern Veränderungen in der Stadt an und untersuchen diese. Das Reallabor Schorndorf erhält eine Förderung von rund 1,2 Millionen Euro über eine Projektlaufzeit von drei Jahren.