„Es gibt nur noch zwei innovative Formen von Motorsport: Die eine ist die Formel 1, die andere die Formula Student.“ Gesagt hat diesen Satz kein geringerer als Formel-1-Legende Ross Brawn. Und dieser eine Satz reicht aus, um die Ziele und den Ehrgeiz einer Vielzahl von Studenten Jahr für Jahr zu erklären. In über 500 Hochschulen auf der ganzen Welt wird in Teams hart und leidenschaftlich dafür gearbeitet, diesen Satz mit Inhalt zu füllen und Grenzen zu überwinden.
Mit seiner Aussage trifft Ross Brawn exakt den Nerv dieser Veranstaltung. Die Formula Student Electric (FSE) ist eine Serie von internationalen Events, die angehenden Ingenieuren die Chance bietet, in interdisziplinären Teams einen eigenen Rennboliden zu designen und zu konstruieren. Dabei muss das Gesamtpaket eines Teams stimmen. Innerhalb eines Events ist nicht nur die Schnelligkeit des Boliden ausschlaggebend. Auf der einen Seite geht der Elektro-Rennbolide bei den Events nicht nur einmal auf die Strecke, sondern muss eine Vielzahl dynamischer Disziplinen (Dynamics) absolvieren. In vier unterschiedlichen Disziplinen werden verschiedene Fahrer den Boliden so schnell und akkurat es geht über die Strecke jagen. Auf der anderen Seite bedeuten statische Disziplinen (Statics) die Ausarbeitung eines passenden Businessplans, Design-Reports sowie einer Kostenanalyse.
Ein noch junges, aber umso erfolgshungrigeres Team, stellt die Universität Bremen seit 2012 mit Bremergy Racing. Der erste Elektrobolide kam 2014 bei der Formula Student Germany in Hockenheim auf die Strecke. Für den ersten Nachfolger wählte Bremergy die risikoreiche Variante einer neuen strategischen Ausrichtung. So wurden beträchtliche Neuerungen und Innovationen realisiert. Der Neue trägt den Namen
„BreMo15“ und verkörpert die vereinte Ingenieursarbeit des circa 50-köpfigen Teams. Dabei folgt er dem Leitbild von
Bremergy, eine hocheffiziente und smarte Lösung für einen Elektrorennwagen darzustellen.
Keine Seifenkiste
Schon zu Beginn der Saison, im September 2014, fingen die Planungen in einem eng getakteten Zeitplan an. Zwar werden Komponenten von Unterstützern und Sponsoren bezogen, Konzeptionierung, Entwicklung und Fertigung der Komponenten ist allerdings die alleinige Arbeit der Studenten. Dabei wurde das Konzept von Grund auf neu gestaltet. Schon rein äußerlich ist der BreMo15 mit seinem Vorgänger kaum zu vergleichen. Wo im Jahr davor noch ein Stahlrohrrahmen die Grundlage bildete, entstand aus Faserverbundstoffen das von Bremergy selbst entwickelte Monocoque aus kohlenstofffaserverstärktem Kunststoff. Auch dank des Technologiestandortes Bremen konnten die Studenten Partner für das Projekt aus der Luft- und Raumfahrt gewinnen, um diese Ideen realisieren zu können. So zeigt sich der neue Bolide nicht nur äußerlich in neuem Gewand, sondern bringt auch mit 220 kg deutlich weniger auf die Waage als der BreMo14 (280 kg).
Zeitgleich verbirgt sich hinter dem Fahrersitz aber auch eine ganze Reihe von Neuerungen. Neu sind auf der einen Seite die zwei verbauten Elektromotoren, die im Gegensatz zum BreMo14 sogar mit 136 kW Leistung mehr als von der FSE maximal erlaubten 80 kW (109 PS) Leistung über die Räder auf die Straße bringen könnten. Das entstandene Masse-Leistungs-Verhältnis von 1,19 kg/PS ist somit deutlich besser als das des Bugatti Veyron SuperSport. Gesteuert werden die Motoren vom eCUBE, einem selbst entwickelten Inverter, der eines der Prunkstücke des BreMo15 ist. Dabei wurden nicht nur Platinen für die Steuerungen selbst entworfen und die Hardware montiert, sondern auch die Software passend geschrieben. Der Effekt ist eine weitere Gewichtsreduktion von circa
35 Prozent gegenüber anderen, gekauften Lösungen bei gleichzeitig perfekter Anpassung an die Anforderungen des
BreMo15. So vermag es der Rennwagen potenziell bei voller Ausnutzung der Leistung von 0 auf 100 km/h innerhalb von 3,42 Sekunden zu bringen. Ein Wert, der Begriffe wie „Elektroflitzer“ oder „Seifenkiste“ in sehr weite Ferne rücken lässt.
Hüter der Effizienz
Wie auch bei straßenzugelassenen Fahrzeugen ist eines der größten Probleme die Ausnutzung der Batterie, die Reichweite – und nicht zu vergessen – die Effizienz. Eine Analogie zu den Rennboliden der Formula Student Electric lässt sich hier problemlos feststellen. Die wohl am meisten gefürchtete Disziplin ist der Endurance-Lauf. Dabei gilt es, den Boliden unter Rennbedingungen 22 km lang durch einen Parcours zu steuern. Für diese Herausforderung hat sich Bremergy auch in Sachen Batterie neu orientiert. Zu beachten ist, dass Energiespeicher bei FSE-Teams in der Regel um die 25 Prozent des Gewichts ausmachen – eine Größe, dessen potenzielle Degression enorme Vorteile mit sich bringen könnte.
Folglich wurde auch das Herzstück des Autos neu entwickelt. Eingebettet in ein komplett überarbeitetes Konzept für den Akkumulator, liefert die Batterie bessere Kenndaten als das Vorgängermodell. Eine 10 Prozent größere Kapazität von
7,2 kWh steht einer gleichzeitigen Gewichtsreduktion von circa 20 Prozent gegenüber. Dabei liefert die Batterie auf Lithium-Kobaltdioxid-Basis eine nominelle Spannung von 400 V. Eingefasst werden die Elemente in einem wasserstrahlgeschnittenen und laserverschweißten Aluminiumgehäuse, wodurch bessere Toleranzen gewährleistet werden können.
Daneben musste das neue Konzept natürlich auch den Aspekt Sicherheit berücksichtigen. Durch innovative Busbar-Connections werden die einzelnen Stacks seitlich in den Akkukasten hineingeschoben. Das Ergebnis ist ein formschlüssiger Einbau der Stacks, bei nur einem Freiheitsgrad. So wird erst auf den letzten Millimetern die Verbindung der einzelnen Stacks zum Akkumulator-Modul hergestellt. Auch gewährleistet ist, dass keine Berührungen von offenen Kontakten entstehen können, da, sobald der Stack nicht formschlüssig sitzt, der komplette Stromkreislauf unterbrochen wird. Trotz alledem sind die einzelnen Stacks auch bei hohen Querbeschleunigungen aufgrund der Sicherungen stabil und beständig. Natürlich setzt dies eine besondere Genauigkeit bei der Fertigung voraus. Gewährleistet wird dies unter anderem durch Isolationsgehäuse und andere Bauteile, die das Bremergy Racing Team mittels 3D-Drucks eigens entwickelte.
Ebenso ist in diesem Konzept das Batterie-Management-System (BMS) als elementarer Baustein verankert. Dabei fungiert das BMS als eine Art Hüter der Batterie. Für eine Zwischenkreisspannung von 400 V müssen die einzelnen Zellen eines Batteriestacks in Reihe geschaltet werden. Problematisch wird dabei der Umstand, dass schon bei der Fertigung der einzelnen Zellen kleine Schwankungen bei den Kapazitäten auftreten können. Das BMS ermöglicht die intelligente Steuerung beim Auf- und Entladen einzelner Zellen innerhalb der Stacks durch „passives Balancing“, um die volle Kapazität der Traktionsbatterie ausnutzen zu können. Ohne dies würden Kapazitätsverluste, Effizienzeinbußen sowie gefährliches Überladen einzelner Zellen bei gleichzeitig unvollständigem Laden anderer Zellen die Folge sein – ein Risiko, das es zu verhindern gilt.
Auch schützt das BMS vor Gefährdungen der Batterie, wie durch Visualisierung des aktuellen Ladungsstands (State of Charge, SoC) oder der Einschätzung des Zustandes respektive der Alterung der Batterie (State of Health, SoH). Ferner sind gerade für Rennboliden der FSE Sicherheitsaspekte, wie die exemplarische Überwachung der Temperaturen einzelner Zellen, für spätere Auswertungen von enormer Bedeutung. Auch wird es so möglich, Echtzeitmessungen ebenso wie eine spätere Auswertung der Daten vorzunehmen, um das Maximum aus der Batterie und letztendlich aus dem Rennboliden herauszuholen. Den hohen Sicherheitsstandards ist hier ebenfalls entsprochen, da bei „Operationen“, wie beispielsweise Wartungen am BMS, das Akkugehäuse von oben geöffnet werden kann, aber gleichzeitig keine Berührungen mit HV-Schnittstellen möglich sind.
Seit dieser Saison unterstützt das Unternehmen Sensor-Technik Wiedemann (STW) das Bremergy Racing Team mit einem solch hochentwickelten BMS. Das modular aufgebaute PowerMELA mBMS wird so zum zentralen Datenlieferanten der Batterie und zum unverzichtbaren Baustein für den Rennwagen BreMo15. Erst solche Unterstützungen ermöglichen es den Teams der Formula Student, einen Elektroboliden wie den BreMo15 von Bremergy Racing auf die Rennstrecke zu bringen und so den Worten von Ross Brawn Taten folgen zu lassen.