Sich abends gemütlich auf die Couch setzen und den Kindern vorlesen, während der Roboter die Küche aufräumt? Als Pflegekraft wieder Zeit fürs Menschliche und Emotionale haben, weil ein Roboter die schweren und monotonen Arbeiten übernimmt? Bislang sind solche Szenarien Zukunftsmusik. Schließlich werden Roboter vor allem in der Industrie eingesetzt: In Form starrer Roboterkonzepte, die auf Kraft und Präzision getrimmt sind und sehr aufwändige Sicherheitskonzepte brauchen, um Menschen nicht zu gefährden.
Die menschennahe Robotik weiter voranzutreiben, haben sich die Forscher des Fraunhofer IWU zum Ziel gesetzt. „Roboter für menschennahe Anwendungen generieren ganz andere Anforderungen als in der Industrie, wo man die Arbeiter gezielt schulen kann“, sagt Linda Weisheit, Wissenschaftlerin am Fraunhofer IWU. „Sollen Roboter im Alltag eingesetzt werden, müssen sie zum einen sicher sein, zum anderen auch vom Erscheinungsbild her passen.“ Während in Japan humanoide Roboter erwünscht sind, stoßen Ähnlichkeiten mit Menschen in Europa eher auf Befremdung. Die Forscherinnen und Forscher haben die Designseite daher stets mit im Blick.
Schaltbare Steifigkeit sorgt für Kraft und Sicherheit
Was die Sicherheit angeht, so bietet die Soft-Robotik eine Basis: Sie setzt auf weiche Materialien, die nicht verletzen können. Allerdings können solche Roboter nicht so viele Arbeiten verrichten: Eine volle Kaffeetasse wäre für einen solchen Roboterarm bereits zu schwer.
„Wir arbeiten daher an der Entwicklung neuer Strukturen, die eine schaltbare Steifigkeit haben – die also zwischen steif und weich wechseln können“, erläutert Weisheit. Vom Prinzip gleicht eine solche schaltbare Steifigkeit einer Kaffeepackung: Vakuumverpackt ist sie hart und fest, dringt dagegen Luft ein, wird sie angenehm weich.
Um die Struktursteifigkeit vor allem unter Zugbelastung noch weiter zu erhöhen, kombiniert das Forscherteam sie mit übereinander gelegten Folien. Das Resultat: Durch die Kombination erreicht der Ansatz sowohl gute Zug- als auch Druckbeständigkeit. Durch den Einsatz solcher Strukturkomponenten mit schaltbarer Steifigkeit werden sowohl neue Bewegungs- als auch neue Sicherheitskonzepte möglich.
Was das im Alltag heißen könnte, lässt sich am besten an einem Beispiel verdeutlichen, etwa der vollen Kaffeetasse. Soll der Roboter sie tragen, versteift er seinen weichen Arm teilweise und erhält damit die nötige Kraft. Der feste Zustand ist dabei 300 mal steifer als der weiche, man spricht dabei auch von einem Schaltfaktor 300.
Bei einer drohenden Kollision – etwa durch das zu nahe Herantreten eines Menschen – soll der mechanische Helfer allerdings nicht einfach auf den weichen Zustand umschalten, denn dann würde die Kaffeetasse auf den Boden fallen, auf dem vielleicht gerade das Kleinkind herumkrabbelt und verbrüht werden könnte. Stattdessen soll er eine Ausweichbewegung realisieren.
Roboterarm auf der Hannover Messe
Einen ersten Schritt, näher an das Gesamtsystem Roboter heranzukommen, und eine erste Idee zu geben, wie das Gesamtsystem aussehen kann, haben die Forscher bereits getan: Sie haben entsprechende Strukturkomponenten entwickelt, diese mit Sensorik und Aktorik verbunden sowie mit einer Gestensteuerung kombiniert – in Form eines Roboterarms, der aus drei schaltbaren Segmenten besteht und über eine Seilzug-Aktorik und Gestensteuerung planare Bewegungen ausführt.
Diesen Roboterarm zeigt das Forscherteam auf der Hannover Messe Preview am 16. März 2022 und auf der Hannover-Messe vom 30. Mai bis 2. Juni 2022 am Fraunhofer-Gemeinschaftsstand in Halle 5, Stand A06. „Wir wollen frühzeitig mit Anwendern ins Gespräch kommen und die konkreten Bedarfe ermitteln“, erläutert Weisheit. Denn dann kann das Forscherteam die weiteren Entwicklungen an die Bedarfe angepasst weiter vorantreiben.