Dr.-Ing. Sven R. Schmidt-Rohr ist mit diesem Beitrag im A&D-Kompendium 2020 als einer von 100 Machern der Automation vertreten. Alle Beiträge des A&D-Kompendiums finden Sie in unserer Rubrik Menschen .
Flexible subtraktive Bearbeitungszellen, universale autonome Montageinseln, vernetzt mittels autonomer mobiler Roboter, durch dazwischen über den Äther rauschende Bits immer wieder von unsichtbarer Hand orchestriert und rekonfiguriert: so stellen sich viele das Bild der Fabrik von morgen vor. Gerne wird dabei das Herz und Hirn dieser Operation vergessen: es sind weder die Motoren noch das digitale Netzwerk, sondern abstrakte Algorithmen, komplexe Datenstrukturen und aufwändige Rechenverfahren, die für einen reibungslosen Ablauf sorgen. Ich finde ‚Digitalisierung‘ als Begriff zu breit gefasst, während andererseits ‚künstliche Intelligenz‘ mit ungeschickt weitgreifenden Assoziationen kokettiert.
‚Intelligente Software‘ ist dagegen in meinen Augen eine passende Beschreibung. Dafür gilt Marc Andreessens berühmter Ausspruch: „Software is eating the world“ – dies erreicht nun auch die Produktion. Was ist mit diesem etwas provokanten Satz gemeint? Er sagt aus, dass sich nun der entscheidende Teil der Wertschöpfung, der Innovation, der Differenzierung und damit des Wettbewerbsvorteils in den Bereich intelligenter Software verschiebt.
Da Software im virtuellen Raum stattfindet, kann sie fast ohne Platzverbrauch eine sehr hohe Problemkomplexität abdecken und im Bereich von Millisekunden Veränderungen umsetzen. Daher können mit intelligenter Software manche Problemfelder völlig anders adressiert werden als mit bisherigen mechatronischen Paradigmen des Anlagenbaus.
Roboter werden erst durch Software intelligent
Im konkreteren Fall der Roboter bedeutet dies, dass die Software im Zusammenspiel mit Aktoren und Sensoren – zum Beispiel optischen Sensoren aller Art oder Kraft-Momenten-Sensoren – ein hochflexibles Verhalten des mechatronischen Systems ausprägen kann.
Ein solch ausgestatteter Roboter ist in der Lage auf die von seinen Sensoren erfassten Veränderungen seiner Werkstücke oder in seiner Umgebung mit jeweils maßgeschneidertem Bewegungsverhalten zu reagieren, er kann über die Zeit aus der Erfahrung seiner Tätigkeit lernen, markante Trends oder unerwartete Veränderungen an menschliche Ingenieure melden sowie Erfahrungswissen mit anderen Robotern austauschen. Was vor kurzem noch nach Science-Fiction-Drehbuch klang, ist dank der Fortschritte der letzten Jahre bei intelligenter Software bereits heute hier und dort in Produktionslinien rund um die Uhr Realität.
Der durch intelligente Software nun hochgradig flexible, mit Sensoren ausgerüstete Roboter wird dadurch ein generalistisches mechatronischen System, welches sich agil und rapide an Veränderungen in seiner Umwelt sowie Modifikationen seiner Aufgaben anpasst. Selbstverständlich benötigt man für Aufgaben, die stark unterschiedliche Traglasten oder Reichweiten erfordern, noch unterschiedliche Robotersysteme, jedoch wird das Engineering für neue oder sich verändernde Aufgaben massiv reduziert. Daraus folgt die Verschiebung der zentralen Wertschöpfung in die Softwaresysteme. Auch die entscheidenden Nuancen des Prozess-Know-hows werden nun primär in Software repräsentiert.
Ich finde diese Entwicklung persönlich hochspannend, gerade auch selbst zu erleben, welch fortschrittliche Lösungen heute schon in der Praxis möglich und ökonomisch sinnvoll sind. Die aktuellen gesamtwirtschaftlichen Umbrüche werden nun auch sicher dazu führen, dass dieser Trend in allen Bereichen eine angemessene Einführungsgeschwindigkeit erreicht. Denn eines ist sicher: wer nicht mit dem Trend geht, wird auf der Strecke bleiben!