Testfahrt Pilotanlage für automatisiertes Fahren

Mit dem Intelligent World Drive testet Mercedes-Benz mit einem Erprobungsfahrzeug auf Basis der S‑Klasse automatisierte Fahrfunktionen in der chinesischen Millionenmetropole Shanghai.

Bild: Daimler
26.10.2017

Automatisiertes Fahren kann den Straßenverkehr sicherer machen – vorausgesetzt, die Technik spielt mit. In Ulm entsteht deshalb eine neue Versuchsanlage, die Fahrzeugen die „Augen“ für den Verkehr öffnen soll. Und in China finden den kommenden Monaten automatisierte Testfahrten durch Shanghai statt.

Automatisiertes Fahren kann dabei helfen, die Zahl der Unfälle im Straßenverkehr zu reduzieren. Damit das gelingt, muss die Automatisierungstechnik im städtischen Verkehr noch leistungsfähiger werden, um auch in unübersichtlichen Verkehrssituationen den Überblick zu behalten. Deshalb ist in Ulm eine Versuchsanlage entstanden, bei der die Verkehrsinfrastruktur zur Gewinnung wichtiger Verkehrsinformationen mit speziellen Gerätschaften ausgerüstet werden soll.

Dafür hat der Projektpartner Osram im Ulmer Stadtteil Lehr die Leuchtenmasten einer Kreuzung mit speziellen Kameras und Lidar-Sensoren ausgestattet. Darüber hinaus stellen Wissenschaftler der Universität Ulm drei temporäre Behelfsmasten mit Sensorik für Referenzmessungen auf, inklusive der Traversen zur Kabelführung über die Straße. Der Aufbau beginnt Mitte November, danach wird die Anlage für zwei Jahre in Betrieb genommen. Vernetzt werden die Sensoren und Fahrzeuge unter Einhaltung der Datenschutzvorschriften über ein Testmobilfunknetz von Nokia.

Dem Fahrzeug Sehen beibringen

Die Daten, die mithilfe der Infrastruktursensorik gewonnen werden, dienen den hochautomatisierten Fahrzeugen dabei, einen umfassenden Überblick über die aktuelle Verkehrslage zu erhalten. So können vor allem andere Verkehrsteilnehmer – egal ob Autos, Fahrräder oder Fußgänger – früher erkannt werden. Letztendlich soll dies dabei helfen, den Verkehr flüssiger zu machen und Staus zu vermeiden.

Die technischen Herausforderungen dabei sind hoch: Schließlich müssen die Sensordaten aus der Verkehrsinfrastruktur in Echtzeit verarbeitet werden, um zusammen mit den Sensordaten des Fahrzeuges in ein präzises Umfeldmodell integriert zu werden. Dieses Modell wird vom hochautomatisierten Fahrzeug schließlich zur Manöverplanung genutzt.

Das Herzstück der Anlage ist ein lokaler Server, der über das Mobilfunknetz mit der Infrastruktursensorik und dem Fahrzeug vernetzt ist. Dieser Multi-Access Edge Computing-Server von Nokia ist über ein LTE-Mobilfunknetz im System integriert. Er verrechnet die Daten der Videokameras und Lidar-Sensoren mit Hilfe hochgenauer digitaler Karten aus einem Cloudserver zu dem bereits erwähnten lokalen Umfeldmodell, das wiederum über das Mobilfunknetz an das hochautomatisierte Fahrzeug übermittelt wird.

Die Ulmer Wissenschaftler kümmern sich darum, dass sämtliche Sensordaten auf dem MEC-Server „latenzarm“ fusioniert werden. Denn das Automatisierungssystem braucht Echtzeitinformationen zur Verkehrslage. Ihre Aufgabe ist es, mit möglichst geringem Zeitverzug Informationen zur Position und zum Verhalten von Verkehrsteilnehmern zu gewinnen, die dem automatisierten Fahrzeug die zeitnahe Handlungsplanung erlauben. Außerdem stellen die Ulmer ein Testfahrzeug und sind für die Referenzmessungen verantwortlich, mit deren Hilfe die Leistungsfähigkeit des Systems überprüft werden soll.

Was den Datenschutz betrifft, sind sämtliche Projektpartner an die gesetzlichen Vorschriften zur Wahrung des Rechtes auf Privatsphäre und auf informationelle Selbstbestimmung gebunden. Entsprechende Datenschutzkonzepte wurden erarbeitet und, wo erforderlich, den Landesdatenschutzbeauftragten vorgelegt.

Projektpartner im Überblick

Das Verbundprojekt MEC-View (Mobile Edge Computing basierte Objekterkennung für hoch- und vollautomatisiertes Fahren) wird von Bosch koordiniert und vom BMWi gefördert. Zu den Projektpartnern gehören neben Bosch die Universitäten Duisburg-Essen und Ulm, Daimler, Nokia, Osram, TomTom und IT-Designers. Assoziierter Partner ist die Stadt Ulm.

Automatisiertes Fahren im Härtetest

Während Daimler in Ulm das automatisierte Fahren gewissenhaft angeht, stürzt das Unternehmen sich in China gleich so richtig in den Verkehr: Gegen Zebrastreifen auf der Autobahn, eigene Tempolimits je Fahrspur oder Verkehrsschilder mit chinesischen Schriftzeichen wirkt der Test in der Ulmer Innenstadt vermutlich wie eine Spazierfahrt. Dennoch möchte das Unternehmen in der Metropole Shanghai die Verkehrstauglichkeit automatisierter und autonomer Fahrzeuge unter Beweis stellen.

Im September hatte Mercedes-Benz den Intelligent World Drive gestartet. Nach dem Start in Deutschland wird das Erprobungsfahrzeug, das auf der neuen Serien-Limousine der S‑Klasse basiert, nun bei automatisierten Testfahrten im dichten Verkehr und mit den landesspezifischen Besonderheiten in der chinesischen Millionenmetropole Shanghai erprobt.

Bis Januar 2018 wird sich das Erprobungsfahrzeug unterschiedlichen, komplexen Verkehrssituationen auf fünf Kontinenten stellen und dabei auch die Grenzen aktueller Systeme ausloten. Ziel ist es, für die Weiterentwicklung der Technologien weltweit Erkenntnisse im realen Verkehrsgeschehen zu sammeln. Der Fokus der Testfahrten in Shanghai liegt auf der Bewertung des Fahrverhaltens im extrem dichten Verkehrsfluss mit seinen unterschiedlichen Teilnehmern sowie auf infrastrukturellen Besonderheiten.

Bildergalerie

  • Das hochautomatisierte Fahrzeug der Ulmer Forscher unterwegs in der Ulmer Wissenschaftsstadt

    Das hochautomatisierte Fahrzeug der Ulmer Forscher unterwegs in der Ulmer Wissenschaftsstadt

    Bild: Universität Ulm

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