Materialforschung Und sie fließen doch, die Elektronen!

Einer der „Elektronenflüsse“, die die MPI-Wissenschaftler für ihre Forschung erzeugt haben: Die Strömung erfolgt entlang des lila-Kanals und wird mit Instrumenten untersucht, die mit den blauen, roten, grünen und goldfarbenen Teilen der Vorrichtung verbunden sind. Die Kanalbreite beträgt etwa ein Fünftel des Durchmessers eines menschlichen Haars.

Bild: Max-Planck-Institut für Chemische Physik fester Stoffe Dresden
22.03.2016

Schon als die Elektrizität entdeckt wurde, hatten die Wissenschaftler ein Bild aus dem Alltag vor Augen, dass Elektronen in einem Metall wie Wasser in einem Rohr fließen. Obwohl wir dieses Bild noch immer in der Sprache verwenden (ein elektrischer „Strom“ „fließt“), wissen wir mittlerweile, dass diese Vorstellung eigentlich nicht zutrifft: Die Bewegung der Elektronen wird ständig dadurch gestört, dass sie mit den Atomen zusammenprallen, aus denen das Metall besteht. Der Ablauf dieser elektronischen Fließprozesse ist deshalb nicht annähernd so aufregend wie die von Flüssigkeiten, die wir als Wellen, Wirbel und Turbulenzen beobachten können, wenn wir an einem Fluss sitzen.

Damit „Elektronenflüsse“ existieren können, muss man außergewöhnliche Materialien finden, in denen die Kollisionen der Elektronen mit den Atomen tausendfach schwächer als üblich sind. Obwohl diese Möglichkeit – bekannt unter dem Begriff „elektronische Hydrodynamik“ – vor mehr als fünfzig Jahren theoretisch vorhergesagt wurde, konnte dieses ungewöhnliche Verhalten erst jetzt in einem Material beobachtet werden. In der jüngsten Ausgabe der Zeitschrift Science (Band 351, 4. März 2016), berichten gleichzeitig drei Artikel von experimentellen Erfolgen: Die Gruppen von Philip Kim in Harvard und Andre Geim in Manchester arbeiteten mit Graphen, der Beitrag der Gruppen von Andrew Mackenzie und Philip Moll aus dem Institut (Max-Planck-Institut für Chemische Physik fester Stoffe Dresden) basiert jedoch auf einem Metalloxid.

Das Material PdCoO2, das das Max-Planck-Institut für Chemische Physik fester Stoffe (MPI CPfS) gewählt hat, weist eine erstaunlich hohe elektrische Leitfähigkeit auf. Diese hohe Leitfähigkeit ist ein Indiz für eine sehr geringe Störung der Elektronen durch die Atome in diesem Material und hat uns motiviert, hier nach hydrodynamischen Effekten zu suchen. Dabei haben wir nach einem Phänomen gesucht, das jeder kennt, der in Flüssen baden war: Flüsse fließen am Ufer langsamer als in der Mitte des Flusses. Dieser Effekt entsteht durch den Zusammenstoß der Wassermoleküle mit dem Ufer, dem Rand des Flusses. Auch „Elektronenflüsse“ sollten durch diese Zusammenstöße mit dem „Ufer“, also der Oberfläche eines Drahts, ähnlich beeinträchtigt werden. Um deren Anwesenheit aufzudecken, frästen die Forscher des MPI CPfS sukzessive engere Kanäle in das Material und untersuchten, wie leicht die Elektronen durch sie fließen konnten. Durch Vergleich ihrer Ergebnisse mit theoretischen Modellen hydrodynamischer Effekte konnten sie zeigen, dass sie in der Tat die lange vorhergesagten Elektronenflüsse erzeugen können. Ihre Erkenntnisse setzen neue Maßstäbe bei der Erforschung, wie sich Elektronen in ultrareinen Materialien verhalten. Die in der Strömung des Wassers vorhandene Vielfalt könnte auch für den Fluss von Elektronen beobachtbar sein, und etwas von dieser Reichhaltigkeit könnte eines Tages zur Erfindung von neuen elektronischen Geräten führen.

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