„Jungs glaubt bloß nicht, dass ihr alles berechnen könnt! – Verfahrenstechnik ist eine empirische Wissenschaft!“ Das waren die einleitenden Worte von Herrn Professor Rauthenbach in meiner ersten Vorlesung zur Verfahrenstechnik an der RWTH Aachen in den frühen Achtzigern. – Und mittlerweile, nach einigen Jahren Berufserfahrung, kann ich diese Aussage uneingeschränkt bestätigen: Jeder, der sich beruflich mit Schüttgütern auseinandersetzt, kennt die Herausforderungen, die deren Produktion und Verarbeitung mit sich bringen.
Jedes Produkt hat seine speziellen, stark vom Herstellungsprozess beeinflussten Eigenschaften. Unter dieser Voraussetzung zeigt sich, dass bei der Verarbeitung von Schüttgütern nicht nur die Erfahrung im Umgang mit den entsprechenden Produkten zählt. Vor allem müssen bei der Erarbeitung des Anlagenkonzepts das Fließverhalten, eine potenzielle Verklumpung des Produktes bei der Lagerung, eine Fluidisierung während der Förderung oder auch die Produktzerstörung bei langen Förderwegen bei der Erarbeitung eines Anlagenkonzeptes berücksichtigt werden. Versuche unter realistischen Bedingungen sind durch nichts zu ersetzen.
Vom Versuchsaufbau zum Technikum
Besonders beim Umgang mit natürlichen Rohstoffen oder Zwischenprodukten macht man immer wieder faszinierende Erfahrungen. Wie lassen sich die bestehenden Verfahren und Maschinen verbessern? - Wie kann man vor dem Bau einer Anlage verifizieren, dass die gewählten Komponenten ihre Aufgabe zuverlässig erfüllen werden?
Zunächst handelte es sich beim „Technikum“ der Derichs Verfahrenstechnik noch um einzelne, in der bestehenden Fertigungshalle individuell aufgebaute Versuche. Dies erwies sich auf Dauer aber als sehr aufwendig. Auch ein abgetrennter Raum wurde irgendwann zu klein für unser Unternehmen. So fassten wir im Jahr 2000 den Entschluss in Übach-Palenberg ein spezielles Gebäude zu errichten und zwar in einer Größe, die für ein Unternehmen unserer Größenordnung ungewöhnlich ist: ein Technikum, das nicht nur einzelne Komponenten für Versuchszwecke zur Verfügung stellt, sondern auch die Möglichkeit, sie in einer frei konfigurierbaren Anlagenzusammenstellung zu testen.
Anderthalb Jahre später ging die erste pneumatische Förderung in Betrieb. Die Aufgabe: Ein uns bis dato unbekanntes Produkt sollte über eine längere Strecke gefördert werden. Die Versuche ergaben, dass sich das Produkt nicht mittels einer Druckförderung transportieren ließ. Das Konzept musste geändert werden. Kein positives Ergebnis – dennoch ein wertvoller Erfolg, denn ein teurer Fehlschlag war verhindert worden.
Sukzessive haben wir in den letzten Jahren die Möglichkeiten ausgebaut. Viele Versuchsstände wurden als Abschlussarbeiten in der Mechatroniker-Ausbildung realisiert. So entstand ein zweifacher Nutzen: eine hochwertige Ausbildung, die gleichzeitig die Qualität der Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen verbesserte. Der wissenschaftliche Anspruch wird durch regelmäßig betreute Studien-, Diplom-, Bachelor- und Masterarbeiten eingebracht. Auch unsere dualen Studenten können hier – ohne den Druck eines realen Projektes – erste Erfahrungen sammeln.
Scale-ups und Schneckentypen
Versuchsanlagen lassen sich nutzen, um an verschiedenen Stellen Messwerte aufzuzeichnen und die Steuerungssoftware der beteiligten Aggregate zu optimieren. Dosierversuche mit verschiedenen Gerätegrößen und Schneckentypen sind im Rahmen einer Bachelorarbeit mit Berechnungsverfahren verglichen worden. Ziel war es, direkt den richtigen Schneckentyp zu finden und zu prüfen, ob ein Scale-up von einem kleinen Versuchsaufbau auf eine große Produktionsanlage möglich wäre.
Mittlerweile stehen alle Komponenten unseres Lieferprogramms für Versuche bereit; es wurden temporär sogar ganze Produktionsanlagen projektspezifisch aufgebaut und erfolgreich getestet, um ein neues Verfahren zu prüfen, damit die Produktion in der späteren Realisation beim Kunden wirtschaftlich und störungsfrei läuft. Das jeweilige Testprodukt kann mittels Big-Bag- oder Sack-Entleerstation in eine pneumatische Förderung eingebracht und nach Beendigung der Versuche wieder in Big-Bags abgefüllt werden. Ständig nutzbar sind Siebversuche mit einer Wirbelstromsiebmaschine, Zerkleinerungsversuche mit Klumpen- oder Siebbrechern sowie die Durchführung von kontinuierlichen oder batchweisen Mischprozessen. Wie schnell wird beispielsweise Homogenität erreicht? Wird das Produkt nur gemischt oder auch verändert?
Nahezu alle derzeit gebräuchlichen Varianten der pneumatischen Förderung sind ohne größere Umbauaktionen realisierbar. Saugförderung, Druckförderung – im Dünn-, Mittel- und Dichtstrom sowie als besonders produktschonende Pfropfen-/Impulsförderung mit bis zu 200 m Förderleitung können genutzt werden, um Programmparameter und Einstellungen zu optimieren. Es ist möglich,Einflüsse der Änderungen auf das geförderte Produkt sofort zu beobachten.
Probieren geht über Studieren
Somit hat sich über die Jahre eine Win-win-Situation entwickelt: Der Kunde erhält eine optimal an seine Produkte angepasste Anlage. Gleichzeitig wird das Risiko beim Engineering der Anlage erheblich reduziert. Studenten und Auszubildende werden an realitätsnahen Anlagen ausgebildet und sammeln Erfahrung. Wir kommen an qualifizierten und motivierten betrieblichen Nachwuchs mit einschlägiger Berufserfahrung. Zusammenfassend kann man sagen, dass bei aller Erfahrung oft nur ein Versuch die letzte Sicherheit bietet. Natürlich hat der Aufwand seinen Preis, aber Anlagen, die wir für unsere Kunden bauen dürfen, werden durchschnittlich zwischen zwanzig und dreißig Jahren genutzt. So stellt sich die Frage: Lohnt es sich, am Anfang ein paar Euro zu sparen, um dann dreißig Jahre lang draufzuzahlen? Wir haben die nicht unerhebliche Investition in unser Technikum allerdings noch keinen Tag bereut und die Kunden, die es bereits nutzten, auch nicht.