Heutige Elektrofahrzeugen stellt eine Fahrt zum Beispiel von München nach Ulm mit etwa 150 km vor keine größeren Herausforderungen. Doch für die Rückfahrt ist bei fast allen Elektrofahrzeugen zwingend eine Nachladung des Batteriespeichers erforderlich. Dies sollte bei etwa 4300 öffentlichen Ladepunkten in Deutschland, davon etwa 50 alleine in Ulm, problemlos machbar sein. Es ist aber noch lange nicht jeder dieser Ladepunkte für alle Kunden nutzbar. Die Hindernisse können vielfältig sein:
Findet ein Kunde die Ladesäule an der Position, die seine Smartphone-App oder das Navigationssystem anzeigt?
Wird seine RFID-Karte zur Authentifikation erkannt?
Verläuft der Ladevorgang ohne Zwischenfälle?
Laden aus Kundensicht
Damit das Elektrofahrzeug das Versprechen der individuellen Mobilität einlösen kann, muss eine uneingeschränkte Lademöglichkeit innerhalb der öffentlichen Infrastruktur und im Privathaushalt sichergestellt sein.
Der Prozess des „Ladens“ beginnt dabei bereits mit dem Abschluss eines Nutzungsvertrags zwischen dem Kunden und dem Betreiber der Ladesäulen. Der Vorgang des Ladens erstreckt sich über die Suche nach einer Lademöglichkeit, die Authentifikation an der Ladesäule, das fehlerfreie Übertragen von Energie in den Batteriespeicher bis hin zu einer problemlosen Beendigung des Ladevorgangs und der korrekten Abrechnung.
Die „Interoperabilität“ von Fahrzeugen, Infrastruktur und den Betriebsprozessen spielt dabei eine entscheidende Rolle und ist derzeit weltweit eine Herausforderung für alle Beteiligten. Der Interaktionsraum zwischen Automobilhersteller, Infrastrukturbetreiber und Energieversorger muss lückenlos definiert sein. Heute arbeiten diese „neuen“ Kooperationspartner zwar intensiv in verschiedenen Gremien zusammen und definieren Standards, doch das heutige Implementieren der Standards führt leider zu vielfältigen Problemen.
Ladeabsicherung
Vor diesem Hintergrund führt die P3-Group im Auftrag verschiedener Automobilhersteller sogenannte Ladeabsicherungstests mit Elektrofahrzeugen in ganz Europa, Nordamerika und Asien durch. Ziel der Absicherungsfahrten ist, möglichst realistisch und kundennah bei einer Vielzahl von Ladevorgängen letzte Probleme vor der Markteinführung neuer Fahrzeugmodelle zu identifizieren und abzustellen. Eine hohe Varianz an Ladesäulenbetreibern zu testen, ist essentiell für das Ergebnis. Dabei zeigen sich bereits vor Beginn der eigentlichen Absicherungsfahrt die ersten Herausforderungen:
Vorbereitung
Zur Planung der Testrouten werden in ausgewählten Zielländern verfügbare Ladesäulen identifiziert. Die Angaben in verschiedenen Medien wie zum Beispiel Online-Plattformen, Apps und Navigationsdaten sind allerdings meist von niedriger Datenqualität. Eine Verifikation der Informationen ist daher unerlässlich für das Festlegen einer Route.
Auf die Routenplanung folgt das Beschaffen der Zugangssysteme für die Ladesäulen: je Anbieter ein eigener Vertrag und die entsprechende Authentifizierungs-Hardware (RFID-Karten, Schlüssel, Magnetchips, ...). Allein in Deutschland müssen derzeit 37 Zugänge beantragt werden, um flächendeckend an über 60 Ladesäulenvarianten laden zu können. Für den Kunden ist das nicht akzeptabel.
Durchführung
Während der Testfahrten werden je Lademöglichkeit (öffentlich oder privat) bis zu 100 Test-Cases strukturiert durchgeführt. Dabei werden unter anderem Authentifikation, Mechanik (Stecker, HMI) und Bedienbarkeit der Infrastruktur sowie Fahrzeugfunktionalitäten wie „Timer-Laden“ oder die Vorgabe von Billigstromtarifen überprüft.
Mit Messequipment zur synchronen Datenaufzeichnung an Ladekabel und Fahrzeug-CAN-Bus werden Verläufe von Spannung und Strom sowie die Kommunikation zwischen Ladesäule und Fahrzeug aufgezeichnet, die auf Basis der standardisierten und öffentlichen Protokolle erfolgt. Auffälligkeiten und Fehler können direkt dem Verursacher im Dreiklang von Fahrzeug, Ladesäule und Netz zugeordnet werden. Eine Kausalkette von Einflussfaktoren und Reaktionen bis hin zum letztlichen Fehlverhalten kann abgeleitet werden.
Auswertung
Für die Gesamtanalyse ist das Zusammenspiel mehrerer Kompetenzen aus der Energie- und Batterietechnik, dem Testen von Fahrzeug-Systemen, der Telekommunikation und in den Entwicklungsprozessen der Automobilindustrie nötig. An über 1500 Ladestationen hat die P3-Group so weltweite Erfahrungen gesammelt und Tests ausgewertet.
Laden funktioniert nicht allgemein
Die Ergebnisse sind bislang aus Kundensicht sehr ernüchternd. Etwa zehn Prozent aller Ladeversuche weltweit wurden ungewollt beendet oder konnten erst gar nicht gestartet werden. Ladeabbrüche aufgrund von Authentifikations-/Kommunikationsfehlern (CP/PLC-Signale), falschen Fahrzeug-CAN-Botschaften oder plötzlichen netzbedingten Spannungseinbrüchen waren bei den weltweiten Ladeversuchen keine Seltenheit.
Auch die Komfort-Funktion „Timer-Laden“ wurde oftmals von den Ladesäulen nicht korrekt erkannt. Die Ladesäulen schalteten nach etwa 30 Minuten ab, ein Laden entsprechend des Fahrerwunsches war nicht möglich. So kann sich der Kunde nicht sicher sein, ob er wirklich zur gewünschten Zeit losfahren kann.
Probleme auch in der „Modellregion“
Die Probleme betreffen nicht nur einzelne Ladesäulen. In einer länderübergreifenden „Modellregion“ fanden wir beispielsweise keine einzige Ladesäule, die normkonform mit dem Fahrzeug kommunizierte. Trotz bestehender Kooperationen konnte in dieser Modellregion an keiner Säule geladen werden.
Auch in Shanghai war die Ladesituation ungenügend. An keiner öffentlichen Ladestation konnte ein Ladevorgang erfolgen: Ein Zugang für Privatpersonen wird nur per Sondergenehmigung erteilt. Aber auch bei vorliegender Sondergenehmigung war Laden nicht möglich, da 70 Prozent der Säulen defekt oder nicht betriebsbereit waren oder nicht kompatible Stecker verwendeten.
Die Ladesäulen negativ beeinträchtigen kann aber auch die Qualität des Stromnetzes. In der Nähe eines italienischen Bahnhofs kam es unregelmäßig zu plötzlichen Ladeabbrüchen. Die Analyse zeigte: Beim Ein- und Ausfahren von Zügen wurde die Sinus-Netzspannung (50 Hz) an der Ladesäule derart verzerrt, dass hochfrequente „Ripples“ das Kommunikationssignal zwischen Fahrzeug und Ladesäule (6 V/1000 Hz) teilweise auf den vierfachen Soll-Wert steigen ließen.
Kein Ladeabbruch bedeutet nicht zwingend einen reibungslosen Ladeablauf. Bei zirka 60 Prozent der Ladevorgänge wurden Abweichungen zu Soll-Werten auf Netz-, Infrastruktur- oder Fahrzeugseite festgestellt. Dies sind beispielsweise Abweichungen in der Kommunikation, die aber aufgrund großzügig gewählter Signalgrenzen ausgeglichen werden.
Diese Fehler führen zwar oft zu keinen direkten Kundenbeanstandungen. Eine „unsaubere“ Implementierung der Standards sollte aber unbedingt vermieden werden. So wurden zum Beispiel Verstöße gegen die Norm beim Abschalten der Ladespannung festgestellt. Zur Sicherheit für den Kunden muss das Kabel auch bei kurzzeitiger Trennung des Ladekabels vom Fahrzeug nach 100 ms stromfrei sein. Dieser Wert wurde in der Realität häufig überschritten.
Wir brauchen eine Clearing-Stelle
Alle Akteure müssen zusammenarbeiten, um die Probleme für den Kunden gemeinsam zu lösen. Denn aus Kundensicht wird deutlich, dass trotz fortlaufender Standardisierung von allen Beteiligten noch viele kooperative Entwicklungsaufwände zu erbringen sind. Standards sind richtig und funktional. Jedoch ist die Absicherung der Implementierung unter realen Bedingungen bei einer „n x m“-Kombinatorik aus Fahrzeugen und Ladesäulen bislang unzureichend.
Mit steigender Anzahl an Fahrzeugen im Markt muss zudem die Informationsweitergabe und Fehlerabarbeitung grundlegend geregelt werden. Wen kontaktiert der Kunde bei einem Ladefehler? Den Fahrzeughersteller, den Hersteller der Ladesäule, oder doch den Betreiber der Infrastruktur? Eine neutrale Clearingstelle zum Abarbeiten und Zuordnen dieser Fehler an die verursachenden Akteure ist essentiell. Auf Basis der Ergebnisse und den Erfahrungen der Ladeabsicherungen sind drei Leitansätze ausschlaggebend:
Inhaltliche Qualität der Daten: Gesicherte Basisinformationen zu Position und Eigenschaften der Ladesäule (Stecker, Betreiber, …). Zudem wird es für die Kunden mit zunehmender Anzahl an Elektrofahrzeugen im Markt wichtiger, eine Echtzeit-Rückmeldung verfügbarer Ladesäulen zu erhalten – frei oder besetzt?
Authentifikation und Abrechnung: Ein international einheitlicher Zugang zur Ladeinfrastruktur muss sichergestellt werden. Für einen privaten Endkunden ist eine Urlaubsfahrt mit einem EV derzeit kaum realisierbar. Hier sind zwingend Roaming-Verträge analog der Mobilfunkindustrie zwischen den Ladesäulenbetreibern erforderlich.
Interoperabilität: In einem Markt mit sehr unterschiedlichen Fahrzeugen und Ladesäulenherstellern ist es essentiell, die Konformität der Produkte im Ladevorgang zu jedem Zeitpunkt und unter allen Umständen sicherzustellen. Wenn das Fahrzeug auf dem Prüfstand alle Ladetests problemlos besteht, kann das Ergebnis nicht deckungsgleich auf den Realfall übertragen werden. Gleiches gilt für die Infrastruktur. Interoperabilitätstests an Kombinationen aus realem Fahrzeug und realer Infrastruktur werden zunehmend zu unerwarteten Ergebnissen führen. Über ein Konformitätstesting muss in Zukunft die Interoperabilität sichergestellt werden.
Gemeinsam Probleme abschaffen
Die Absicherung der Interoperabilität des Ladens ist zwingend notwendig, um die Kunden der Elektromobilität auch tatsächlich mobil zu halten. Die von P3 durchgeführten systematischen Tests an weltweit über 1500 Ladestationen liefern wertvolle Erkenntnisse über die technischen und prozessualen Problemfelder.
Auf der Grundlage der gewonnen Daten können bereits heute Automobilindustrie, Ladesäulenhersteller und Energieversorgungsunternehmen kooperativ Maßnahmen zum Beheben der Probleme erarbeiten und umsetzen, um eine reibungslose Markterschließung für Unternehmen und Kunden zu erreichen. Da alle Partner das gleiche Interesse, aber auch die gleichen Schwierigkeiten haben, ist die Einrichtung einer neutralen Clearing-Stelle zur Absicherung der Interoperabilität ein guter Weg, um die Elektromobilität für den Kunden zu einer positiven Erfahrung zu machen.