Seit September 2017 muss ein Auto einen sogenannten „Real-Driving-Emissions (RDE)“-Test bestehen, um in der Europäischen Union zugelassen zu werden. Dabei werden die Abgasemissionen im Fahrbetrieb unter realistischen, alltäglichen Bedingungen gemessen. „Wir dachten uns: Dann sollte doch prinzipiell jeder selbst diesen Test durchführen können“, sagt Sebastian Biewer, Doktorand am Lehrstuhl „Dependable Systems and Software“ von Professor Holger Hermanns an der Universität des Saarlandes.
App greift auf On-Board-Diagnose zu
Anstatt Testequipment im Wert von Hundertausenden Euros anzuschaffen, haben die Saarbrücker Informatiker die App „LolaDrives“ entwickelt. Diese verwendet „RTLola“, eine Technologie zur Analyse von Echtzeitsystemen von Bernd Finkbeiner, Professor an der Universität des Saarlandes und Faculty am Helmholtz-Zentrum für Informationssicherheit (CISPA). Die App funktioniert in fast allen Autos ab Baujahr 2005.
„Wichtig ist, dass der Wagen über eine Schnittstelle zur On-Board-Diagnose (OBD) verfügt“, sagt Sebastian Biewer. Die OBD ist ein Fahrzeugdiagnosesystem, das während der Fahrt abgasbeeinflussende Systeme und andere Steuergeräte, wie beispielsweise den Drehzahlmesser, überwacht. Mithilfe eines Bluetooth-Adapters wird auf die On-Board-Diagnose zugegriffen. Wenn der Wagen läuft, muss man das Handy per Bluetooth mit dem OBD-Adapter verbinden und die „LolaDrives“-App starten.
Das Programm erlaubt es dem Nutzer dann entweder, die Daten des Diagnosesystems auszulesen, oder es führt ihn Schritt für Schritt durch einen RDE-Test. „LolaDrives ist nach unserer Kenntnis die einzige App, die einen RDE-Test ermöglicht“, ergänzt Sebastian Biewer. Damit die App die Emissionswerte errechnen kann, muss die OBD-Schnittstelle des Wagens jedoch die passenden Daten zur Verfügung stellen – insbesondere die Werte des Stickoxid-Sensors des Abgassystems, der nur in Diesel-Fahrzeugen verbaut ist. Ob die passenden Daten abgerufen werden können und damit ein RDE-Test machbar ist, teilt „LolaDrives“ direkt nach dem Start eines Tests mit.
Einfache Verwendung
Den App-Entwicklern war es wichtig, die Benutzung so einfach wie möglich zu gestalten. Denn für einen gültigen RDE-Test müssen zahlreiche Bedingungen erfüllt sein: Die Fahrtdauer muss mindestens 90 bis 120 Minuten betragen, in festgelegten Distanzen in verschiedenen Abschnitten stattfinden (Innerorts, Landstraße und Autobahn), bestimmte Geschwindigkeitsvorgaben dürfen nicht verletzt werden und auch das Beschleunigungs- und Bremsverhalten spielt eine Rolle.
„Unsere App zeigt all diese Elemente in einer leicht verständlichen Nutzeroberfläche an und führt strukturiert durch die verschiedenen Stufen des Tests, indem sie genau ansagt, was wann zu tun ist. Sie teilt mit, ob der Test erfolgreich war und auch, ob der Test durch den Verstoß gegen eine der Vorgaben unwiederbringlich gescheitert ist“, sagt Yannik Schnitzer, der als Student der Informatik bereits ab seinem zweiten Semester die Entwicklung der App vorangetrieben hat.
Daten freiwillig bereitstellen
Nutzer können ihre Fahrdaten auf freiwilliger Basis und ohne Einschränkung der App-Funktionalitäten datenschutzkonform an die Forscher spenden. Informatik-Professor Holger Hermanns, Sprecher des transregionalen Sonderforschungsbereichs „Grundlagen verständlicher Softwaresysteme“, in dessen Rahmen die Forschung um „LolaDrives“ stattfindet, sagt dazu: „Anhand der Daten möchten wir eine Plattform aufbauen, mit der wir mehr Transparenz und Verständlichkeit in den KFZ-Bereich bringen wollen. Vergangene Skandale haben gezeigt, wozu es führt, wenn Hersteller verantwortungsloses Handeln durch Intransparenz verschleiern können. Wir wollen helfen, Softwareverhalten aufzudecken, das für den Hersteller der Software vorteilhaft, aber für den Benutzer oder die Gesellschaft unerwünscht ist.“
Die RDE-Tests, die mit der App durchgeführt werden, sind rechtlich nicht bindend. „Uns geht es darum, das Informationsbedürfnis der Nutzer zu stillen. Die Ergebnisse unserer RDE-Tests sind plausibel, wenn man sie im Kontext der veröffentlichten Emissions-Daten und Grenzwerte betrachtet. Aber letztendlich sind sie Annäherungen an die ‚echten‘ Tests, die zwingend mithilfe kostspieliger mobiler Mini-Labors durchgeführt werden müssen,“ sagt Professor Holger Hermanns.
„LolaDrives“ ist zurzeit für Android über den Google Playstore erhältlich. Eine Version für Apple-Geräte ist bereits in Entwicklung. Das Projekt verfügt zudem über ein begrenztes Kontingent an Bluetooth-OBD-Adaptern, die interessierten Datenspendern kostenlos zur Verfügung gestellt werden.