Am Apfel kommt wohl niemand vorbei. Schon zu Beginn der Menschheit konnten sich Adam und Eva nicht verkneifen, herzhaft in das runde Obst hineinzubeißen. Dem Pinzgau des 18. Jahrhunderts verordnete Kaiserin Maria Theresia den Anbau von Streuobstwiesen und legte damit den Grundstein für eine Apfelkultur in der Alpenregion. Sorten wie „Zwiebler“, „Borsdorfer“ oder „Spritzling“ wurden über Generationen hinweg in Bramberg oder Niedernsill angebaut – was den Apfel auch für Christian Vötter unumgänglich machte.
Zusammen mit seiner Frau Susanna Vötter-Dankl sitzt dieser nämlich Tauriska vor, einem Verein, der sich für die Bewahrung und Entwicklung der Oberpinzgauer Kultur einsetzt. Sie wollen das Selbstbewusstsein der Region stärken, indem sie alte Traditionen, Wissen und Fertigkeiten vor dem Vergessen bewahren. „Sobald eine Tradition zwei Generationen zurückliegt, gilt sie als verloren“, erklärt Christian Vötter. „Unser Ziel ist, verschollenes Wissen wiederaufzugreifen und an unsere heutige Lebenswelt anzupassen.“ Die Projekte, die sie dabei in den letzten 30 Jahren angeschoben und begleitet haben, fallen sehr unterschiedlich aus: Aus ihrem Hauptquartier, dem historischen Kammerlander Stall heraus organisieren sie Mundartlesungen genauso wie sie versuchen, ein Regionalgeld einzuführen. Oder sie widmen sich – sehr umfassend – dem Oberpinzgauer Apfel. Dem ist dank ihrer Initiative nicht nur ein eigener Obstlehrgarten gewidmet, es bekommt auch jeder Bramberger und Neukircher Mittelschüler einen eigenen Apfelbaum geschenkt. Über vier Jahre hinweg kann er ihn im Schulgarten pflegen, bevor er ihn zum Abschluss mitnehmen darf, was viele auch tun. „Ein eigener Baum ist eben schon eine Ansage“, sagt Christian Vötter lachend. Das aufwendigste Apfel-Projekt von Tauriska ist jedoch ein anderes. Mit dem Gartenbauverein Bramberg betreiben die Vötters seit über zehn Jahren eine offene Obstpresse.
Saft von eigenen Äpfeln
Einheimische können eigene Äpfel mitbringen und sie in der Scheune professionell zu Saft pressen lassen – Waschen, Erhitzen, hygienische Abfüllung in PET-Beutel inklusive. Drei Liter zu pressen kostet 2,70 Euro, 10 Liter 5,10 Euro. „Es kommen Hausgartenbesitzer genauso wie Landwirte mit Streuobstwiesen“, weiß Toni Lassacher, Obmann des Gartenbauvereins. „Vielen sind die vielen Äpfel nur lästig und hier lassen sie sich leicht verwerten.“ Die Nachfrage in der Saison ist gut, allein die lange Schlange vor der 50.000 Euro teuren Presse spricht für sich. Susanna Vötter-Dankl: „Wir hören oft: ,Die Obstpresse ist das einzig Gescheite, was ihr bisher gemacht habt.‘“ Von der Presse hat schließlich jeder einen unmittelbaren Vorteil und kann das Erarbeitete genießen. Ob das neueste Apfel-Projekt von Tauriska auch derart breite Zustimmung im Pinzgau finden wird, bleibt abzuwarten. Das Upcycling der Obstpressen-Rückstände zu gemahlenem „Apfeltrester-Pulver“ ist zumindest typisch für die Arbeitsweise des Vereins. Denn um die alte Pinzgauer Tradition des Obsttrocknens für die Gegenwart zu adaptieren, bauten sie sich ein Netzwerk. Sie realisierten die Idee der Salzburger Studentin Verena Olschnögger, die eine Masterarbeit zum Cradle-to-Cradle-Prinzip – der Vision einer abfallfreien Wirtschaft – schrieb. „Ihr ging es darum, Rückstände neu zu bewerten. Zum Beispiel eben dadurch, dass man den ganzen Apfel nutzt“, erläutert Vötter. Der Apfeltrester bot sich für ein Upcycling an, da er wertvolle Ballaststoffe enthält, von denen bisher Kühe oder Rehe als Restverwerter profitierten.
Doch wie ließ sich das ambitionierte Projekt technisch umsetzen? Verena Olschnögger stieß im Internet auf das Allgäuer Unternehmen Harter Drying Solutions, das sich auf energiesparende Trocknungsanlagen für die industrielle Fertigung spezialisiert hat. Die von Harter entwickelte Kondensationstrocknung, die Produkte bei niedrigen Temperaturen trocknet, erschien für den „Bramberger Epfö-Genuss“ geeignet. Bei Harter zeigte man sich dem ungewöhnlichen Kunden gegenüber aufgeschlossen: Im Technikum in Stiefenhofen wurde ein Trocknungssystem mit Entfeuchtungsmodul und Hordentrockner für die speziellen Bedürfnisse des Apfeltresterverarbeitung entwickelt.
„Eine junge, motivierte Mannschaft“ hat der Pinzgauer dort kennengelernt. „Alle waren sehr interessiert daran, Innovationen voranzubringen.“ Auch nachdem die Anlage schon abbezahlt in der Scheune in Bramberg stand, blieb der Kontakt bestehen. Vötter lieferte Feedback, meldete beispielsweise, wenn Module mit zu niedriger Temperatur arbeiteten, sodass der Trocknungsprozess zu lange dauerte. „Je schneller der Trester trocknet, desto weniger haben wir mit Gärung zu kämpfen“, erläutert er. Die Allgäuer griffen die Anregungen gerne auf. Mittlerweile hat sich eine Art Entwicklungspartnerschaft etabliert: Tauriska steuert Testergebnisse aus dem Lebensmittelbereich bei, dafür stellt Harter die neue, verbesserte Anlage kostenlos zur Verfügung. Und die Apfelchips, die das Unternehmen als Give-Away verschenkt, stammen aus Bramberg, wo das Obst im Hordentrockner knusprig gemacht wurde. „Die Ballaststoffe in den Äpfeln bleiben bei diesem Verfahren genauso erhalten wie ihre Farbe“, sagt Christian Vötter. Das Tresterpulver, ist er überzeugt, gewinnt in der Trockenanlage erst richtig an Aroma. Sowieso ist er vom „Bramberger Epfö-Genuss“, wie das Endprodukt heißt, sehr angetan. „Mehr als eine Ergänzung“ sei das Pulver, das in Salaten, Müslis oder auch Gebäck für eine angenehme Apfelnote sorgt.
Eine Presse als Attraktion
„Mit der Presse haben wir der Region ein neues Image gegeben, machen Bramberg als Obstanbaugebiet bekannt“, ordnet Vötter das Projekt ein. Mittlerweile melden sich regelmäßig Genossenschaften, die die Anlagen besichtigen möchten – Rückstände fallen bei ihnen schließlich ebenfalls an. Dass Kulturarbeit in diesem Fall eine ausgeprägte technische Komponente angenommen hat, ist ungewöhnlich. „Tatsächlich hat das die Leute auch fasziniert“, sagt Susanna Vötter-Dankl. Trotzdem war ihr wichtig, dass die Maschine nicht voll automatisiert, sondern so eingeschränkt war, dass sie von Menschen bedient werden muss.
Der einzelne Mensch soll das Maß aller Dinge sein. Das ist eine der grundlegenden Thesen des Salzburger Philosophen und Nationalökonomen Leopold Kohr, dessen geistigem Erbe sich Tauriska verpflichtet sieht; auch weitgehende Selbstbestimmung kleiner Einheiten und Dezentralisierung zählen dabei. Die Vötter-Dankls verlegen nicht nur das Werk des Philosophen neu, sie organisieren auch eine Leopold-Kohr-Akademie und Diskussionsabende an der Salzburger Uni. Unermüdlich weben sie an ihrem Netzwerk, initiieren Projekte, geben Starthilfe, begleiten. „Wir sehen uns als Anlaufstelle“, sagt Susanna Vötter-Dankl. In die Gespräche, die beide führen, fließt die meiste Zeit. Hinzu kommen E-Mails, Medienarbeit und Buchhaltung. Hundert Veranstaltungen finden pro Jahr im Kammerlanderstall statt.
Das enorme Pensum schultern die Kulturmanager als eingespieltes Team. „Wir sind zwar nie einer Meinung“, erklärt Christian Vötter, der gelernter Maschinenschlosser ist. Seine Frau sei eher der chaotisch-kreative Typ, während er die Logistik im Auge behalte. Doch beide wissen genau, wann es angesagt ist, auf Susanna zu hören und wann auf Christian. „Oft liegt der beste Weg in der Mitte“, sagt Vötter-Dankl. Sei es bei Mundartlesungen oder Apfelpulver.