Als Ötzi vor etwa 5.300Jahren in den Alpen unterwegs war, trug er Kleidung aus Leder. Bis in frühgeschichtliche Zeit reicht die Methode zurück, Fett in die Haut erlegter Tiere einzuwalken. Später lernte man, dass eine Reihe von pflanzlichen Stoffen ebenfalls gerbend wirkt. In der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts setzte sich die Gerbung mit Mineralsalzen, vor allem den Chrom-III-Salzen, durch. 85Prozent aller Flächenleder sind heute chromgegerbt. Dass auf dem langen Weg vom Rohleder zum Konsumartikel eine Vielzahl an Hilfsstoffen benötigt wird, begründet den Industriezweig der Lederchemie. Zwischen 25 und 40Prozent der weltweiten Umsätze dieses Zweigs entfallen auf Firmen aus Deutschland und der Schweiz, schätzt Volker Schröder, Referent für Textil-, Leder- und Pelzhilfsmittel beim Branchenverband Tegewa. Er gibt aber zu bedenken, dass die Größe des Weltmarkts nur schwer zu beziffern sei. Die Nachfrage nach Lederhilfsmitteln werde bestimmt vom Rindfleischkonsum: „Wenn viel Rindfleisch gegessen wird, gibt es viele Rinderhäute. Jede Rinderhaut, die irgendwo auf der Welt anfällt, wird gegerbt.“ Wenn man die Vertreter der Branche auf die Konjunktur anspricht, reichen ihre Einschätzungen von „eine gewisse Abkühlung“ über „stabil“ und „zufriedenstellend“ bis hin zu „recht gut“. Heinrich Francke vom Lederchemiehersteller Zschimmer& Schwarz sagt: „In den letzten Jahren gab es eine starke Marktkonzentration.“ Ein großer Teil des Leders werde heute in Asien produziert; die Schuh- und Kleidungsproduktion sei fast vollständig abgewandert.
Mehr Leder fürs Wohnzimmer
Für Wachstum sorgten aber die Möbel- und die Automobilbranche. In diesen Märkten seien die deutschen Firmen gut aufgestellt, weil es dort besonders auf hohe Qualität und lange Haltbarkeit ankomme. „In Autos werden oft helle Leder gewünscht, die aber nicht schon nach kurzer Zeit schmutzig aussehen sollen“, erklärt Claudia Franz vom Forschungsinstitut für Leder und Kunststoffbahnen (Filk) in Freiberg. Um diesen oftmals gegenläufigen Anforderungen gerecht zu werden, seien hochwertige Lederhilfsmittel notwendig, die immer noch in Europa hergestellt würden. „Richtig ist, dass die Lederherstellung hier in den letzten zehn Jahren deutlich zurückgegangen ist und sich das Sortiment geändert hat“, sagt auch Markus Eckert, Leiter der Lederchemiesparte von Lanxess. „Der nordeuropäische Markt wird heute weitgehend von der Automobillederproduktion bestimmt, gefolgt von Möbelleder und erst dann mit Abstand Schuhoberleder und Nischenprodukte“, so Eckert. Italien - immer noch einer der größten Ledermärkte der Welt - sei dagegen nach wie vor sehr modegeprägt und besonders stark in den Segmenten Schuhober- und Taschenleder sowie Leder für Accessoires. Die globale Neuausrichtung der Lederhersteller ist eine Herausforderung für die betreffenden Chemiekonzerne. „Unternehmen müssen vor Ort sein“, betont Volker Schröder. „Die wichtigsten Ledermessen finden heute in Peking und Shanghai statt.“ Es sei durchaus üblich, dass der Weg von der Rohhaut zum fertigen Leder über drei Kontinente führe, erklärt Eckert. „Jede Region zeichnet sich durch unterschiedliche Ansprüche an den Service des Chemikalienlieferanten aus. Diese zu erfüllen ist Grundvoraussetzung, um in allen Regionen gleichermaßen erfolgreich zu sein.“ Der Aufstieg Asiens habe für europäische Lederhersteller aber nicht nur Nachteile, glaubt er. „China ist zwar der größte Hersteller und Exporteur von Lederprodukten - vor allem wenn es um Schuhe und Taschen geht. Aber zugleich ist China auch ein wichtiger Abnehmer hochwertiger Lederwaren, zum Beispiel aus Italien. Denn mit dem Lebensstandard steigt der Bedarf an Lifestyle-Produkten stetig. Die boomende Automobilbranche beispielsweise ist ein Abnehmer für Sitzleder, das sehr hohen Ansprüchen genügen muss.“ Davon profitierten dann wiederum Unternehmen wie Lanxess. Auch auf Lederchemie spezialisierte Firmen wie Trumpler aus Worms sind global präsent. „Trumpler hat rechtzeitig vor Ort Tochtergesellschaften und Produktionsstandorte gegründet und sich dort auch personell sehr gut aufgestellt“, sagt Manager Martin Heise. Für die größte Bedrohung für die Branche hält er die kontinuierliche Verteuerung wichtiger Rohstoffe. „Leider sind die dadurch absolut notwendigen Preissteigerungen extrem schwer vermittelbar. Die Situation hat vielerorts existenzbedrohende Ausmaße angenommen.“
Chemie, die Autoleder „kühlt“
Dass auch die Eigenschaften eines jahrtausendealten Produkts noch verbessert werden können, hat die Firma TFL mit ihrer vor einigen Jahren entwickelten „Cool“-Technologie bewiesen. Sie verhindert, dass Sonnenstrahlen das Leder zu sehr aufheizen, was besonders Auto- und Motorradfahrer zu schätzen wissen. Jens Fennen, F&E-Leiter bei TFL, erklärt: „Insbesondere schwarzes Leder erhitzt sich, weil es das Licht weitgehend absorbiert und in Wärme umwandelt. Wollte man die Absorption des sichtbaren Lichts verhindern, würde das die Farbe ändern.“ Doch Sonnenlicht besteht nicht nur aus dem sichtbaren Teil, sondern auch aus Wellenlängen, die für das Auge unsichtbar sind. „Normalerweise ist es so, dass Gegenstände mit dem sichtbaren Licht auch erhebliche Teile des unsichtbaren absorbieren, wodurch sie noch wärmer werden. Die Cool-Technologie basiert darauf, dass man Farbstoffe und Pigmente verwendet, die nur den sichtbaren Teil des Lichts absorbieren. Der unsichtbare Anteil wird vom gefärbten Leder zurückgeworfen, sodass er nicht in Wärme umgewandelt wird.“ Mit dieser Technologie sei die Oberflächentemperatur des Leders bei gleicher Sonneneinstrahlung um 20 bis 30Prozent niedriger als ohne, so Fennen. Geeint seien alle deutschen Leder- und Lederchemiehersteller in ihrer Verpflichtung dem Umweltschutz gegenüber, sagt Claudia Franz. Wichtige Ziele seien bessere, effizientere Prozesse, Einsparungen bei Chemikalien, die Senkung des Energie- und Wasserverbrauchs sowie die Substitution bedenklicher Chemikalien. Die beiden existierenden umweltbezogenen Ökolabels seien aus Sicht der deutschen und europäischen Hersteller ein großes Plus. „Der Endverbraucher wird sensibler und will beim Kauf von Lederprodukten wissen, dass nicht die Umwelt geschädigt wird. Auch daher kommen die Impulse für die Forschung.“ Wie wichtig das für das Überleben der Branche ist, zeigen auch �?ußerungen des ehemaligen Puma-Verwaltungsratsvorsitzenden Jochen Zeitz, wonach der Sportartikelhersteller zukünftig keine Sportschuhe aus Leder mehr herstellen wolle, da die Umweltbilanz angeblich zu schlecht sei. „Das ist aus Sicht der Lederbranche falsch, weil es bisher noch keine aussagekräftigen Zahlen gibt, die einen Vergleich mit alternativen Materialien zulassen“, sagt Volker Schröder. Er plädiert dafür, den Wert des Leders noch besser herauszustellen. „Das Image des Leders muss erhalten bleiben, damit die Zukunft der Branche gesichert wird, die aus einem natürlichen Rohstoff, der sonst Müll wäre und entsorgt werden müsste, einen wertvollen Werkstoff macht, mit Gebrauchseigenschaften, die bis dato kein anderes Material erreicht.“