Im Zuge der Berichterstattung über „Cobots“ (kollaborierende Robotersysteme) wird manchmal des Ende des Schutzzauns vorhergesagt. Das jedoch ist – vorsichtig ausgedrückt – unwahrscheinlich. Bisherige Roboter-Applikationen wie das Palettieren von Packstücken und die automatisierte Produktion von Autokarosserien durch Schweißen, Nieten, Schrauben und Kleben werden auch weiterhin gut geschützt vor dem Eingriff von menschlichem Personal stattfinden. Denn die Mensch-Roboter-Kollaboration (MRK) wird nicht vorhandene Roboter-Anwendungen ablösen, sondern neue Anwendungen erschließen, in denen bislang noch keine Roboter eingesetzt wurden.
Dass bei der MRK neue Sicherheitstechnik zum Einsatz kommen muss, versteht sich von selbst. Bei deren Auswahl sind aus Sicht des Konstrukteurs die gleichen Grundanforderungen zu berücksichtigen wie bei jeder anderen Maschine. Gemäß Maschinenrichtlinie ist der Hersteller eines „Cobot“ verpflichtet, im Rahmen einer Risikobeurteilung, die für die Maschine geltenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen zu ermitteln und sie entsprechend zu konstruieren. Die Anforderungen an die Risikobeurteilung sind in DIN EN ISO 12100:2010 definiert.
Risikobeurteilung
Bei der Durchführung der mehrstufigen Risikobeurteilung nutzt Schmersal ein eigenständig entwickeltes Software Tool – ein Hilfsmittel insbesondere dann, wenn es sich um komplexe Anlagen oder Maschinen mit vielen potenziellen Gefahrenstellen handelt. Die Software führt systematisch durch den Prozess der Risikobeurteilung. Sie hält verschiedene Checklisten bereit und zeigt auf einen Blick, welche Aufgaben noch offen sind oder auch welche Gefahrenstellen noch nicht beseitigt wurden. Darüber hinaus unterstützt der Geschäftsbereich tec.nicum, in dem die Dienstleistungen der Schmersal-Gruppe zusammengefasst sind, Maschinen-, Anlagen- und Roboterhersteller beim gesamten Prozess der Risikobeurteilung, inklusive der Erarbeitung von Handlungsempfehlungen und der Dokumentation.
Bei der Risikobeurteilung von Roboteranlagen sowie bei der Auswahl von Schutzeinrichtungen sind zusätzlich Normen für Industrieroboter zu berücksichtigen: EN ISO 10218-1 und 10218-2. Da kollaborierende Roboter zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieser Normen im Jahr 2011 nur wenig verbreitet waren, sind sie in dieser Hinsicht zurzeit noch unvollständig. Deshalb veröffentlichte die internationale Organisation für Normung (ISO) im Februar 2016 mit der technischen Spezifikation ISO/TS 15066 neue Leitsätze, die Sicherheitsaspekte bei der Mensch-Roboter-Kollaboration behandeln. In drei Jahren sollen diese Leitsätze in die ISO 10218 integriert werden.
Die technische Spezifikation betrachtet insbesondere die Leistungs- und Kraftbegrenzung, die einen schutzzaunlosen Betrieb der Roboter erlaubt. Die Robotersysteme sind dabei so gestaltet, dass bei einem Kontakt zum Beispiel zwischen Teilen des Roboters oder Roboterwerkzeugs und Personen biomechanische Grenzwerte wie Kraft und Druck nicht überschritten werden. Im Rahmen der Risikobeurteilung ist zu messen, ob diese Grenzwerte eingehalten werden. Dafür stehen inzwischen spezielle Messsysteme zur Verfügung. Sollten die Grenzwerte überschritten werden, sind Schutzmaßnahmen erforderlich. Dazu gehört eine geänderte Konstruktion beim Roboter wie zum Beispiel eine Polsterung an Roboterarmen oder federnd gelagerte Greifer. Im Programm der Schmersal-Gruppe gibt es eine Sicherheitssteuerung, die für Anlagen mit kollaborierenden Robotern entwickelt wurde. Der Schmersal Safety Controller gibt dem Roboter eine definierbare dreidimensionale Arbeitszone vor und registriert, wenn dieser Bereich verlassen wird. In einem solchen Fall wird der Roboter umgehend von dieser Steuerung gestoppt. Zugleich überwacht die Sicherheitssteuerung die Geschwindigkeit der Achsen in Richtung der Begrenzung. Das gewährleistet, dass der Roboter jederzeit abbremsen kann, ohne den erlaubten Bewegungsraum zu verlassen.
Menschliche Haut erkennen
Bei MRK-Arbeitsplätzen werden künftig verstärkt sowohl optoelektronische als auch taktile Schutzeinrichtungen zum Einsatz kommen. In Zukunft werden hier aber auch neue Technologien integriert. Als einziger Industriepartner unterstützt Schmersal seit April 2016 ein auf drei Jahre angelegtes Projekt der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. Sein Ziel: Optische Sensoren sollen – in Kombination mit speziellen Bildverarbeitungsalgorithmen – in der Lage sein, menschliche Haut zu erkennen und die Silhouette von Menschen zu identifizieren. Dann könnten kollaborierende Roboter jegliche gefährliche Bewegung stoppen, wenn sie einem Menschen zu nahe kommen, noch bevor es zu einer Berührung kommt.