Die Automatisierungstechnik wird immer ausgeklügelter und intelligenter. Damit steigt die Effizienz in der Produktion, der Durchsatz ebenfalls. Gleichzeitig fordern Kunden immer individueller werdende Produkte, die Losgrößen werden also kleiner. Dies hat wiederum zur Folge, dass Maschinen oft mehrmals am Tag umgerüstet werden müssen und die Wartungsarbeiten damit skalierend ebenfalls zunehmen. Die hochkomplexen Maschinen benötigen aber geschulte Spezialisten für die Arbeiten - und selbst diese kommen ohne Handbücher und Schaltpläne nicht aus. Vom Mangel an Fachkräften ganz zu schweigen…
Hinzu kommt noch ein banaler, aber in der Praxis nervender Nachteil: Beim Warten oder Umrüsten von Maschinen fehlt die berühmte dritte Hand, weil die Anleitung auch noch irgendwo gehalten werden muss. Und so gut Handbücher oder Schaltpläne auch sind, Zeichnungen und die reale Maschine driften einfach auseinander, räumliches Denkvermögen ist erforderlich. All das kostet im Endeffekt Zeit und verringert die Produktivität.
Prozessbeschleunigung durch AR
Um den Zeitaufwand bei Wartungen und Umbauarbeiten an Maschinen einerseits zu begrenzen, andererseits auch die Notwendigkeit von hoch ausgebildeten Spezialisten zu reduzieren, bietet sich Augmented Reality (AR) als Technologie mit hohem Potenzial an. Augmented Reality ergänzt die reale Welt um eingeblendete virtuelle Elemente. Mit Hilfe der Umgebungskameras und der Tiefenkamera einer AR-Brille werden die realen Oberflächen rekonstruiert und ermöglichen die holografische Darstellung auf physikalischen Flächen.
So erkennt die AR-Technologie beispielsweiße eine Spritzgußmaschine und deren Komponenten bei Betrachtung. Durch die vollständige dreidimensionale Erfassung können dann stets passend zum Betrachtungswinkel Informationen und Überlagerungen eingeblendet werden. So sieht der Techniker mit der AR-Brille beim Blick auf die Maschine sofort die aktuellen Produktionsdaten, eventuelle Warn- oder Wartungshinweise oder anstehende Umrüstvorgänge. Und hier wird es interessant: Denn neben dem Einblenden von Echtzeitinformationen kann die Brille auch ins „Innere“ der Maschine schauen und dem Techniker anzeigen, welche Komponenten oder Werkzeuge wo und wie ausgetauscht oder umgerüstet werden müssen. Der Werker kann sich den nächsten Arbeitsschritt in sein Sichtfeld einblenden lassen ohne mühsam Manuals zu durchblättern.
Um derartige Informationen auch verfügbar zu haben, können moderne, offene Steuerungssysteme für die nötige Transparenz und Verfügbarkeit der Daten aus dem Feld sorgen. Zudem liegt hier auch der Schlüssel zur Anbindung von etablierten Bestandssystemen und aktuellen und zukünftigen Technologien wie AR.
Wartungsarbeiten viermal schneller
Ein Großteil des Erfolgs von AR ist Microsofts HoloLens zu verdanken. Keine andere Brille wurde so schnell akzeptiert, was sicher auch dem Faktum geschuldet ist, dass viele Unternehmen schon Microsoft-Plattformen benutzen. So verwendet Mercedes-Benz die HoloLens als Werkzeug im Rahmen der vertrieblichen und technischen Ausbildung. Honeywell vereinfacht mit AR die Berufsausbildung und die Einarbeitung von Mitarbeitern, mit der Hoffnung die Ausbildungszeit um rund 60 Prozent zu verkürzen. Phoenix Contact nutzt die Brille im Facility-Management für Wartung und Instandhaltung - Mitarbeiter erledigen notwendige Arbeiten deutlich schneller. Thyssenkrupp setzt Augmented Reality zur Wartung von Aufzügen ein. Feldversuche ergaben, dass sich die Wartungsarbeiten bis zu viermal schneller erledigen lassen als früher.
Die Beispiele zeigen das große Nutzenpotenzial von AR. Wesentlich ist dabei die Zeitersparnis, weil der Techniker nicht mehr so viel Zeit beim Durchsuchen von Manuals benötigt oder zielgerichtete Handlungsanweisungen bekommt - entweder eingeblendet oder remote zugeschaltet von einem Experten. Es reduziert den Schulungsaufwand und macht gedruckte Dokumentationen überflüssig. Statt den Abgleich zwischen CAD-Zeichnung und Werkstück oder Maschine bietet AR eine optische Überlagerung.
Rüstvorgänge fehlerfrei und schneller
Deutlich mehr Effizienz ermöglicht Augmented Reality aber auch in den alltäglichen Produktionsaufgaben direkt an der Maschine. Beispielsweise müssen an einer Spritzgußmaschine regelmäßig die Spritzgießwerkzeuge für die Produktion verschiedener Artikelvarianten umgebaut werden. Hierzu baut der Mitarbeiter das Werkzeug auseinander und nach einem Austausch von Bauteilen wieder zusammen. Zusätzlich führt ein Werkzeugmacher gleich die Wartung des Werkzeugs durch Säubern und Einfetten der Oberflächen durch und prüft die Dichtigkeit von Kühlkanälen. Diese Verfahren gelten auch für die meisten Werkzeugmaschinen, wenn Rüstvorgänge für andere Produktvarianten notwendig sind.
In der Praxis sind bei den meisten Produktionsbetrieben die Umbauanleitungen einfache 2D-Zeichnungen und Bauteilenummern. Für ungeschulte Werker sind diese jedoch völlig unzureichend, da keine Umbau-Schritte erklärt werden. Oft fehlen auch Wartungsanleitungen, weil hier meistens auf die Erfahrung des Werkzeugmachers gesetzt wird. Maschinenbediener und Mitarbeiter an Produktionslinien sind ohne Hintergrundwissen nicht in der Lage, Werkzeuge umzubauen oder zu warten, auch wenn sie in der Produktion die Kapazitäten dazu haben.
Durch die AR-Anwendung können Mitarbeiter in einer Spritzgießhalle den Umbau- und den Wartungsprozess des Werkzeugs durchführen, ohne Werkzeugmacherkenntnisse zu haben. Auf Basis von Expertenmeinungen und Validierungstests kann der Prozesszyklus eines Werkzeugumbaus am Beispiel einer Spritzgußmaschine von zwei Stunden um 90 min verringert werden – damit lässt sich die Stillstandzeit durch den Einsatz von AR auf ein Viertel reduzieren. Typische Fehler beim Rüsten wie der falsche Anschluss von Temperierkanälen, die viel Zeit bei der Behebung kosten, werden so ebenfalls vermieden. Die Vorteile der AR-Technologie machen sich bei Rüstvorgängen voll bezahlt: Alle notwendigen Dokumente sind direkt bei der Arbeit am Werkstück verfügbar und durch zentrale Bereitstellung immer aktuell, die Bedienung ist intuitiv, das Fehlerrisiko sind bei weniger Such- und Zeitaufwand.
Aufwand liegt im Erstellungsprozess der Daten
Aber die Einführung von AR bedeutet Aufwand, insbesondere die Entwicklung der Anwendungen. Beispielsweise lassen sich Animationen und 3D-Objekte über eine CAD-Software in einen Gameeditor einbinden, für Interaktionsmöglichkeiten programmieren und als Applikation generieren. Diese Methode bietet viele Freiheiten, erfordert aber erweiterte Programmierkenntnisse und gestaltet sich zeitintensiv. Die AR-Anwendungen müssen zudem automatisierte Datenschnittstellen zu PDM, PLM und MES vorweisen können.
Schneller mit AR-Plattformen
Für eine unkomplizierte Generierung von AR-Anwendungen bieten Softwareentwickler aber vorkonfigurierte Plattformen wie Vuforia von PTC an. Auch das vom Technologieprogramm 'Smart Service Welt' des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie geförderte AR-Plattform AcRoSS (AR-basierte Produkt-Service-Systeme) soll helfen, wiederverwendbare AR-Bausteine zur Verfügung zu stellen. So soll es auch kleinen und mittelständischen Unternehmen möglich sein, aus den einzelnen Modulen komplexe, auf die eigenen Bedürfnisse maßgeschneiderte AR-basierte Services zeit- und kosteneffizient zu erstellen. Über die Plattform können alle nötigen Daten zwischen den verwendeten AR-Geräten, Produktions- und Logistiksystemen sowie unternehmensinternen Software-Anwendungen abgerufen, ausgetauscht und miteinander vernetzt werden.
Connectivity an jeder Maschine
Zentral für die Nutzung von Augmented Reality in der Produktion ist die einfache Anbindung von Datenbrillen am Ort des Geschehens. Entsprechend benötigt der Techniker beispielsweise direkt an der Spritzgußmaschine eine automatische Verbindungsaufnahme und Zugriff auf die aktuellen Produktionsdaten. Hier bietet sich eine leistungsstarke und offene Steuerungsplattform an der Maschine an. Das System kennt alle Parameter der Maschine und weiß nicht nur, welche Steuerungsaufgaben und Lose demnächst anstehen, sondern kann durch Datenanalyse gleich die entsprechenden Handlungsempfehlungen für Wartungsvorgänge geben. Einer AR-Anwendung muss also eine relevante Datenbasis zu Grunde gelegt werden um auch relevante Informationen anzeigen zu können – und das in Echtzeit.
Offene Steuerungsplattform als Basis
Durch die Leistungsfähigkeit und Offenheit einer modernen Steuerungsplattform wie beispielsweise PLCnext Technology von Phoenix Contact lässt sich die AR-Anbindung jederzeit realisieren. Durch das Open Source Konzept und Unterstützung der marktrelevanten Laufzeitumgebungen können Anwender aus ihrer favorisierten AR-Applikation auf die Daten aus der Steuerung zugreifen oder die App direkt auf dem Controller laufen lassen. Ein zusätzlicher Industrie-PC an der Maschine oder im Schaltschrank wird dadurch überflüssig. Eine moderne Steuerungsplattform fungiert somit nicht nur als Schnittstelle zu den Feldgeräten, sondern stellt auch die Verbindung zu Cloud-Instanzen und Anzeigegeräten wie AR-Brillen zur Verfügung. Wer – bereits jetzt – auf diese offenen Systeme setzt, legt damit den Grundstein für AR und weitere zukunftsträchtige Technologien im eigenen Unternehmen.