Im Jahr 2013 wurde in Herten eine der deutschlandweit ersten und bis heute umfangreichsten Power-to-Gas-Anlagen zusammen mit dem Energieinstitut der Westfälischen Hochschule in Betrieb genommen. Ziel des Vorhabens war, nicht nur verlässlich Wasserstoff aus dem schwankenden Angebot von Windkraft- und Photovoltaikanlagen zu erzeugen. Vielmehr sollte gezeigt werden, in welcher Weise sich mit Wasserstoff als Energiespeicher eine vollständig regenerative Energieversorgung einer Gewerbeimmobilie darstellen lässt. 2015 konnte erstmals ein vollständig autarker, voll automatisierter Betrieb der Anlage über mehrere Tage durchgeführt werden.
Das Energiekomplementärsystem
Für eine 100-prozentig erneuerbare Energieversorgung ist ein gut abgestimmtes Speichersystem nötig. So müssen neben einem kurzfristigen Lastausgleich zwischen Erzeugung und Verbrauch auch mittel- und langfristige Schwankungen in der Verfügbarkeit regenerativer Energien ausgeglichen werden. In Herten erfolgt dies mit dem Energiekomplementärsystem (EKS): Durch die Kombination eines Energiespeichers auf Wasserstoffbasis mit einer leistungsfähigen Lithium-Ionen Batterie ist es möglich, eine ganzjährig regenerative Energieversorgung für verschiedene Anwendungsfälle darzustellen.
Die Speicherung überschüssiger Energie in Form von Wasserstoff erfolgt zunächst mit Hilfe eines alkalischen Elektrolyseurs. Mit einer Leistungsaufnahme von maximal 160 kW können zirka 30 Normkubikmeter in der Stunde produziert werden. Nach der Verdichtung durch den Kompressor können bis zu 470 kg Wasserstoff bei 50 bar in einem Drucktank gespeichert werden. Dies entspricht einem Heizwert von etwa 15 900 kWh. Wird zusätzliche Energie benötigt, wird sie mit Hilfe des gespeicherten Wasserstoffs und einer 50kW-Brennstoffzelle bereitgestellt. In dem Brennstoffzellensystem ist eine Lithium-Ionen-Batterie installiert, welche mit einer Kapazität von 9,8 kWh eine verzögerungsfreie Leistungsabgabe der Brennstoffzelle ermöglicht. Eine weitere Lithium-Ionen Batterie arbeitet als eigenständiges System. Mit einer maximalen Leistungsabgabe von 80 kW, einer maximalen Leistungsaufnahme von 40 kW und einer Kapazität von 28 kWh gleicht sie kurzfristige Schwankungen im Gesamtsystem aus und sorgt so für einen stabilen und sicheren Betrieb.
Neben diesen Kernkomponenten kommt dem Steuerungssystem und der Leistungselektronik besondere Bedeutung zu. Die Leistungselektronik ermöglicht es, eine Vielzahl von Anwendungsfällen zu simulieren. Dies bedeutet, dass sowohl ein netzparalleler Betrieb als auch ein Betrieb im Inselnetz mit beliebigen Lastgängen für Erzeugung und Verbrauch dargestellt werden kann. Die Steuerungselektronik ist die Schnittstelle, um das System flexibel und hochgradig autonom betreiben zu können.
Im Jahr 2015 konnte erstmals ein völlig autonomer Betrieb der Anlage im Inselnetz über mehrere Tage nachgewiesen werden. Um dies zu erreichen, wurde das Steuerungssystem von einem dezentralen Konzept auf ein zentralisiertes Steuerungssystem umgestellt. Während beim dezentralen Konzept die Netzfrequenz analog zum Stromnetz maßgeblich die Arbeitsweise der Komponenten vorgab, ermöglicht die neue zentrale Steuerung einen permanenten Vergleich der verfügbaren Leistung mit dem Strombedarf. Überschüsse und Defizite werden kurzfristig über die Batterie ausgeglichen, mittel- und langfristig über die Elektrolyse und die Brennstoffzelle.
Stabiler Anlagenbetrieb
Bei den durchgeführten Testläufen zeigte sich, dass grundsätzlich ein stabiler Betrieb der Anlage selbst bei sehr dynamischen Windverhältnissen möglich ist. Durch die zentrale Regelung kann schnell auf Schwankungen reagiert werden. So ist es möglich, zu jeder Zeit ohne Verzögerung den bestmöglichen Betriebszustand einzustellen. Selbst ein Lastabwurf der Windkraftanlage gefährdet nicht die Betriebssicherheit des Systems.
Es zeigte sich allerdings, dass für einen stabilen Betrieb sehr hohe Anforderungen an die Zuverlässigkeit der Komponenten innerhalb des Systems erfüllt werden müssen. Insbesondere bei der Elektrolyse gibt es wenig Spielraum für unvorhergesehene Ausfälle im Betrieb. Kommt es bei höheren Leistungen zu einem spontanen Ausfall, kann die überschüssige Energie im System nicht vollständig durch die Batterie aufgenommen werden, und die Anlage schaltet sich ab. Daten zur Effizienz der Anlage wurden in diesem frühen Stadium noch nicht erfasst. Der Schwerpunkt lag auf dem grundsätzlichen Nachweis der Machbarkeit und der sicheren Betriebsweise. Grundlegende Kriterien für einen effizienten Betrieb wurden zwar bei der Konzipierung der Steuerung berücksichtigt, die dahingehende Verbesserung war jedoch nicht Teil des Projekts.
Wenn alle Komponenten innerhalb des Systems zuverlässig arbeiten, kann unter allen Bedingungen eine unterbrechungsfreie Stromversorgung des Verbrauchers dargestellt werden. Eine stabile Stromversorgung durch volatile, regenerative Energiequellen innerhalb eines Microgrids ist also möglich.
Power-to-Gas für Mittelständler
Die Power-to-Gas-Anlage steht interessierten Unternehmen und Einrichtungen für eigene Forschungs- und Entwicklungsprojekte zur Verfügung. Auf diese Weise sollen insbesondere kleine und mittelständige Unternehmen Zugang zu einem fortschrittlichen System erhalten, ohne die Kosten und das Risiko einer eigenen Anlage tragen zu müssen. Damit bietet sich die Chance einer kontinuierlichen Verbesserung der Technik. Dabei stehen insbesondere die Verbesserung der Zuverlässigkeit und Fehlertoleranz, die Effizienzsteigerung und die Verfeinerung der autonomen Anlagensteuerung im Fokus.
Weitere Informationen zu H2Herten finden Sie im Business-Profil auf Seite 28.