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Gaby Linnow Das industrielle Metaverse

Festo Vertrieb GmbH & Co. KG

Gaby Linnow ist eine leidenschaftliche und erfahrene Unternehmensführerin in verschiedenen Branchen im Bereich Marketing und Vertrieb. Sie ist eine treibende Kraft der digitalen Transformation und innovativer Geschäftsansätze. Erst kürzlich hat sie einen Executive MBA in Digitaler Transformation abgeschlossen und ihre Masterthesis über das industrielle Metaversum veröffentlicht. Von Stuttgart aus arbeitet sie derzeit als Vice President Global Market Management bei dem Automatisierungsunternehmen Festo.

Bild: Festo
15.11.2023

Verpassen wir etwas Großes? Das ist eine Frage vieler Unternehmer, wenn es um das Thema Metaverse geht. Wie bei vielen bahnbrechenden Technologien und Trends gibt es beim Metaverse neben den Enthusiasten auch viele Kritiker und Skeptiker. Mittlerweile gehen Experten jedoch davon aus, dass das Metaverse bis 2030 einen Wert von bis zu 10 Billionen Dollar erreichen wird – es scheint also mehr dahinter zu stecken.

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Im Jahr 2021 wurde das Thema Metaverse erstmals in einer bereiteren Bevölkerungsschicht diskutiert. Auslöser waren unter anderem die Umbenennung von Facebook in Meta sowie – etwas weniger bekannt – der sehr erfolgreiche Börsengang von Roblox, einer kalifornischen Spieleplattform, die mit ihren virtuellen Welten vor allem Kinder und Jugendliche anspricht. Im industriellen Umfeld ließ die Ankündigung von Nvidia zum Thema Metaverse aufhorchen. Das Unternehmen, das Grafikprozessoren und Chipsätze herstellt, baut auf 30 Jahre Erfahrungen und hat den Anspruch, das Ökosystem des industriellen Metaverse mit den digitalen Zwillingen zu formen.

Der Hype rund um das Metaverse löste zum einen eine breite öffentliche Aufmerksamkeit aus. Im Jahr 2022 investierten große Konzerne (meist aus den USA), Private Equities und Venture Capitalist einen dreistelligen Milliardenbetrag in das Metaverse, doppelt so viel wie noch 2021. Es gibt verschiedene Studien, wie groß der Metaverse Sektor zukünftig sein wird, je nachdem, was man alles zum Metaverse zählt, welche Technologien sich am Ende tatsächlich darin wieder finden und welche wirtschaftliche Gesamtentwicklung man im Digitalisierungsbereich zugrunde legt. So wird zeitweise von fünf Milliarden Usern gesprochen, die im Jahr 2030 im Metaverse aktiv sind. Studien und Schätzungen gehen davon aus, dass das Metaverse bis 2030 einen Wert von drei bis zehn Billionen Dollar erreichen wird. Jeder der sich heute nur annähernd etwas mit dem Metaverse beschäftigt versteht, dass es weitaus mehr ist als ein wiederaufblühendes Second Life oder Horizons Welten. Der Hype führte nun erstmals dazu, dass das Metaverse finanziell bewertet wurde.

Aber was ist eigentlich dieses Metaverse? Ursprünglich wird es mit einer Dystopie assoziiert, in der eine KI die Macht über die Menschen übernommen hat und das Leben wie wir es heute kennen, in einer Art Parallelwelt stattfindet. Bezeichnet dafür sind Filme wie Ready Player One oder auch Matrix. Oberflächliche und simplifizierte Schlussfolgerungen daraus sind gleichermaßen fatal: So zum Beispiel, dass das Metaverse vor allem etwas mit Social Collaboration zu tun haben wird beziehungsweise die Vorstellung, dass wir uns in Zukunft mit unseren virtuellen Avataren im Metaverse treffen werden, während wir überwiegend in einer virtuellen Welt leben und den ganzen Tag mit einer VR-Brille auf dem Kopf laufen. Das sind alles Bilder über das Metaverse, die vielleicht stimmen können, aber die allermeisten von uns wollen und können sich das nicht vorstellen – abgesehen davon, gibt es Zukunftsszenarien, die heute naheliegender sind.

Die Idee hinter dem Metaverse ist tatsächlich eine andere. Hier müssen wir zwischen dem Consumer Metaverse und dem Industrial Metaverse unterscheiden: Das Consumer Metaverse kann man sich als miteinander verbundene virtuelle Umgebungen vorstellen. Diese Welten sind untereinander vernetzt und bilden gemeinsam des Metaverse. Deswegen spricht man von „the“ Metaverse, weil es nicht mehrere Metaversen gibt, sondern ein Metaverse mit mehreren in sich verbundene digitalen Welten. Technisch gesehen ist das Metaverse eine virtuelle Umgebung mit einem möglichweise eigenen Wirtschaftssystem, eigenen Währungen und virtuellen Gütern, die auf der Blockchain-Technologie basieren beziehungsweise basieren kann. Hier ist die Vorstellung, dass man gewissermaßen eine virtuelle Präsenz aufbaut. Das heißt, dass Firmen wie beispielsweise Adidas, Nike, Gucci und andere dort ihre Flaggstores betreiben und virtuelle Güter verkaufen. Selbstverständlich können Sie den besagten Schuh oder die Handtasche virtuell und ggf. sogar als NFT (Non-fungible Token) kaufen. Mit diesem Schuh kann Ihr Avatar durch die Gegend laufen. Ob Sie das als erstrebenswert betrachten, sei Ihnen überlassen.

Was allerdings im Rahmen des Metaverse interessant werden könnten, ist, dass durch die Blockchain-Technologie Vermögenswerte, Rechte und das Eigentum dezentral verteilt gesichert werden. Die virtuellen Güter können als NFTs in die Blockchain integriert werden und sicher in der eigenen Brieftasche gespeichert werden. Die ersten Vertreter dieser virtuellen Welten sind Gaminganbieter, angefangen von Sandbox, Roblox, Fortnite, Mindcraft oder Decentraland, die für Ihre Kunden künstliche Welten betreiben, in denen sich der Gamer beziehungsweise Nutzer aufhalten kann.

Im Gegensatz dazu geht es im industriellen Metaverse um die Wertschöpfung innerhalb eines bestehenden B2B Geschäftsmodells. Tatsächlich handelt es sich um eine digitale Transformation des Unternehmens, vielleicht sogar die nächste industrielle Revolution, gepaart mit künstlicher Intelligenz. Das Konzept des industriellen Metaverse ist ähnlich wie wir es bereits aus dem Consumer Metaverse kennen, wird aber auf die gesamte Wertschöpfungskette der Industrie angewendet. Das heißt, es umfasst die Kernprozesse von Marketing und Vertrieb, Entwicklung und Design bis hin zur Fertigung und zum After Sales. Die Idee ist, dass die physische industrielle Welt zu einem großen Teil in einer digitalen Welt oder genauer gesagt in einem digitalen Zwilling widergespiegelt wird. Dieser digitale Zwilling ist der Kern des industriellen Metaverse. Im Prinzip kann man den digitalen Vertreter der realen Welt als den digitalen Zwilling bezeichnen oder sogar umgekehrt. Im B2C Bereich wird oft ein Avatar damit in Verbindung gebracht. Im industriellen Metaverse ist ein digitaler Zwilling jedoch nicht nur ein irgendwie ähnlicher Repräsentant, sondern ein hundertprozentig genaues digitales Abbild der Physischen. Dabei kann es sich um ein beliebiges physisches Gut handeln, das auf digitale Weise wiedergegeben wird, zum Beispiel ein Produkt oder eine ganze Anlage. Im Gegensatz zum B2C Metaverse muss dieser digitale Zwilling Millimeter genau arbeiten, geografisch ausgerichtet sein und komplexe technische Schemata unterstützen. Das industrielle Metaversum kommt dann ins Spiel, wenn diese echten digitalen Zwillinge in den unternehmenseigenen Prozess eingebunden werden, um beispielsweise digital zu entwickeln oder zu testen. Aber vor allem, wenn sie mit dem Geschäft außerhalb des eigenen Unternehmens in Verbindung stehen. Es müssen viele Voraussetzungen geschaffen werden, damit diese Interoperabilität möglich wird, sowie technologische Voraussetzungen wie Rechenleistungen und Netze, aber auch Regeln für den Umgang und Besitz von Daten.

Das Industrielle Metaverse ist also mehr ist als nur eine soziale Kollaborationsplattform. Vielmehr geht es darum, Realitäten zu simulieren. Die Vorteile liegen auf der Hand: Simultanes und kooperatives Entwickeln mit Hilfe der digitalen Zwillinge und das Ganze in real-time mit Kunden oder Partnern auf einer gemeinsamen Plattform. Diese digitalen Zwillinge können mit real time 3D Rendering Technologie simuliert und visualisiert werden, so dass diese Entwicklungen mit Kunden und Partnern besprochen und Anpassungen vorgenommen werden können; und zwar bevor wir überhaupt physisch Material für Prototypen in die Hand nehmen oder womöglich mit der physischen Produktion beginnen. Virtuelles Reconditioning würde möglich sein. Das heißt: In einer Produktion können mit Hilfe der digitalen Zwillinge im virtuellen Life-Betrieb Vorgänge simulieren, ohne die reale Produktion, zu stören. Darüber hinaus kann das Thema Safety profitieren: die Sicherheit der Produktionsmitarbeitenden kann durch verschiedenste Wearables, die am oder im Ohr beziehungsweise Auge getragen werden, entscheidende Warnhinweise geben oder auch Anleitungen zur Sicherheit übertragen. Nicht zuletzt kann auch der Personalbereich neben dem weltweiten Recruiting und Arbeiten davon profitieren. Im VR (Virtual Reality) und AR (Augmented Reality) Bereich ist digitales Lernens beziehungsweise Trainings ein Haupttrend. Der Lerneffekt ist maßgeblich höher, wenn er auf Erlebnissen und eigenen Erfahrungen beruht. Dabei macht es natürlich einen großen Unterschied, ob Sie im Labor die teuren Proben real oder digital falsch zusammengesetzt haben oder sich den Finger tatsächlich oder nur virtuell in der Maschine eingeklemmt haben.

Was macht Festo zum Thema Metaverse beziehungsweise digitalem Zwilling? Festo ist maßgeblich durch seine hohe Innovationskraft bekannt. Die pneumatischen, elektrischen und digitalen Automatisierungslösungen sind führend in der Industrie. Wenn sich in einer Produktionsumgebung irgendetwas bewegt, dann ist Festo meistens nicht weit. Festo hat im Rahmen der Verbandsarbeit des IDTA (International Digital Twin Association) die sogenannte Verwaltungsschale (Asset Administration Shell) mitentwickelt. Was sperrig klingt, ist jedoch die innovative Idee des digitalen Zwillings. Das heißt, dass Nutzer alle Daten von einem physischen Objekt, die relevant sind, digital in dieser Verwaltungsschale wiederfinden und damit natürlich auch einen Standard schaffen, um überhaupt Daten zwischen Unternehmen standardisiert austauschen und nutzen zu können.

Auf der Homepage von Festo können Sie bereits erste digitale Zwillinge von ausgewählten Produkten finden und es werden noch weitere Produkte folgen. Sie persönlich können damit erstmal wenig anfangen, denn diese Daten sollten von Maschine-zu-Maschine verarbeitet werden. Neben der Darstellung eines Produktzwillings gilt es aber vor allem im industriellen Prozess und im Anlagenentstehungsprozess einen Nutzen aus dem digitalen Zwilling zu ziehen.

Diamond ist zum Beispiel ein solches Gemeinschaftsprojekt im Automobilbereich: Dabei geht es darum, nicht nur den Standard für die Daten des digitalen Zwillings zu schaffen, sondern vor allem auch, die Funktionsweisen zu unterstützen. Das heißt: Wie kann ein Anlagenentstehungsprozess mit verschiedenen Teilnehmern, vom Komponentenlieferant bis zum Maschinenbauer auf einer Plattform stattfinden? Genau hier finden sich die oben genannten Benefits der digitalen Zwillingewenn es darum geht, wie wir tatsächlich zukünftig simulieren und Realitäten nachstellen können, bevor wir physisch produzieren.

All diese Technologieentwicklungen sollten schlussendlich dem Kunde einen Mehrwert bieten. Tatsächlich werden an der Kundenschnittstelle zukünftig die physischen und digitale Interaktionspunkte noch viel stärker verschmelzen. Heute schon kaufen Kunden nicht mehr klassisch nur „offline“. Die Interaktionen sind ein permanent verwobenes Netz aus „realen“ und „digitalen“ Berührungspunkten mit unserem Unternehmen. Auch heute schon, gehen Sie auf die Messe und kaufen womöglich im Anschluss online im Webshop. Denkt man das weiter, dann ist es nicht auszuschließen, dass bestimmte Interaktionen entlang des Kaufprozesses – der sogenannten Customer Journey – bald auch im Metaverse stattfinden können. In der sogenannten Awareness-Phase, also in der Kaufphase, in der ein Kunde auf ein Unternehmen aufmerksam wird, könnte er bald das Unternehmen nicht mehr auf einer Messe, sondern mit einer Mixed Reality Erfahrung kennen lernen: zum Beispiel mit einer Brille am Schreibtisch inklusive seiner Kontaktperson oder deren intelligenten Avatar.. Limitierte NFTs könnten insbesondere im B2C für Loyalitätsprogramme eingesetzt werden und nicht nur in der Industrie könnte die Bedeutung von Produkt Konfiguratoren immens steigen, da diese dann tatsächlich über immersive Elemente verfügen. Spannend wird es – wie vorher aufgezeigt - wenn verschiedene Industrieunternehmen in der Lage sind, ein virtuelles oder augemented joint Prototyping im Netzwerk zu erleben, das eine frühe gemeinsame Ideenfindung, Plausibilisierung und sogar eine gemeinsame Entwicklung in real-time ermöglichen könnte. Im späteren Teil der Customer Journey, der sogenannten Engagementphase, ist vorstellbar, dass im Commissioning tatsächlich AR oder VR unterstützt abläuft und der ewige Traum von einer intuitiven und vollumfänglichen Maintenance in mixed reality tatsächlich weltweit vollständig durchstartet.

Wenn Sie jetzt überlegen: Soll ich nun in dieses Metaverse oder gegebenenfalls auch ins industrielle Metaverse investieren? Dann sollten Sie im ersten Schritt über diese vier Punkte nachdenken:

  • Was ist die strategische Position Ihres Unternehmens im Metaverse? Wer sind Sie und welche Rolle spielen Sie: Sind Sie jemand, der das Metaverse baut? Sind Sie jemand, der davon konsumiert? In welchem Teil der Value Chain befinden Sie sich?

  • Etablieren Sie ein Cross-funktionales Team „Explore“. Dieses Team sollte möglichst mit einem Mandat, Budget, sinnvollen Zeitraum und etwas Unabhängigkeit ausgestattet sein, damit es im täglichen Arbeits-Kontext tatsächlich diese innovativen Ideen verfolgen können.

  • Transformieren beziehungsweise Digitalisieren Sie Ihre Daten? Denn ohne Standardisierung von Daten werden Sie wahrscheinlich relativ kurz im Metaverse unterwegs sein.

  • Und letztendlich: Sie werden das Metaverse nicht allein bilden und erobern. Also suchen Sie sich gute Partnerschaften in Ihrer Value Chain –mit Verbänden und Ihren Partnern, um gemeinsam ein stabiles Ökosystem aufzubauen.

Wie genau sieht also die Metaverse-Zukunft auf? Darauf kann ich Ihnen nicht besser als Neo in der Matrix antworten: „I don’t know the future. I didn’t come to tell you how this going to end. I came here to tell you how it’s going to begin”.

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