Der Hintergrund für die Obergrenze ist, dass Betreiber von Windkraftanlagen ab 750 kW an Ausschreibungen teilnehmen müssen. Das von den namhaften Herstellern eher stiefmütterlich behandelte Segment von 100 bis 749 kW bildet eine neue Chance im Bereich der Eigenversorgung von gewerblichen, industriellen, landwirtschaftlichen oder kommunalen Betrieben und bietet eine optimale Kombination mit anderen Technologien insbesondere der Photovoltaik. Somit werden völlig neue Perspektiven aufgezeigt, nicht nur im Sinne der Energieautarkie, sondern auch in der Wirtschaftlichkeit.
Die Besonderheit dieser Anlagen ist, dass sie nicht zum „Abschöpfen“ der EEG-Subventionen konzipiert wurden, sondern, um den Eigenverbrauch der potenziellen Kunden zu erhöhen; und hierin liegt auch bereits der Business Case. Der produzierte Strom der Anlagen ist günstiger als der „eingekaufte“. Teilweise werden sehr hohe Eigenverbrauchsquoten erreicht, so bei der jüngst in Steinfeld bei Schleswig errichteten 250-kW-Anlage der Firma b.ventus, einem Spin-off aus dem E.on-Konzern. In diesem Fall hat der Kunde einen Eigenverbrauch für seinen großen landwirtschaftlichen Betrieb von rund 70 Prozent und erhält damit eine sehr gute Rendite im sechsstelligen Bereich. Die Parameter, die vor allen Dingen die Wirtschaftlichkeit bestimmen, sind die derzeitigen und zukünftigen Bezugspreise der Kunden, die Windverhältnisse und der Eigenverbrauch.
Günstig für Schwachwind
So zeichnet sich beispielsweise die oben genannte b.ventus-Anlage mit einer Gesamthöhe von 50 m und einer Nabenhöhe von 28,3 m dadurch aus, dass das Windrad bereits bei sehr schwachen Windverhältnissen (2,5 m/s) anläuft. Außerdem ist der Rotor mit einem Durchmesser von 42,5 m im Verhältnis zur installierten Leistung groß. Damit ist die Anlage für besonders schwache Binnenlandwindverhältnisse bestens geeignet.
Zusätzlich haben die beiden Gründer darauf geachtet, viele Punkte, die bei Windenergie häufig als negativ angesehen wurden, zu vermeiden. So zum Beispiel auch die Tatsache, dass der Dreiflügler mit einer Leistung von 250 kW getriebelos mit einem Direktantrieb betrieben wird. Dadurch ist er nicht nur extrem leise, sondern auch wartungsarm.
Durch die hohe Effizienz amortisiert sich die Anlage mit einer Lebensdauer von mindestens 20 Jahren bereits innerhalb von sechs bis zehn Jahren. Auch der Platzbedarf orientiert sich an den Kundenbedürfnissen: Mit nur 8 m Durchmesser für das Fundament benötigt die Anlage kaum Grundfläche.
Qualität durch Seilbahnbauer Leitner
Da den Gründern besonders Sicherheit, Qualität und die Zuverlässigkeit bezüglich Ersatzteilen und Wartung am Herzen lag, haben sie sich als Produzenten und Mitinvestor die Unternehmensgruppe Leitner ausgesucht, die man primär aus ihrem über 150 Jahre andauernden Geschäft der Seilbahnen kennt, die aber auch seit fast 20 Jahren im Windbereich tätig ist. Beteiligt an dem jungen Start-up sind zudem neben den Netzgesellschaften des E.on-Konzerns (Avacon, Edis und E-Kundenservice Netz) auch die Fallersleber Elektrizitäts-Aktiengesellschaft (FEAG).
Herausforderungen der Energiewende meistern
Somit bilden diese neuen Anlagen eine optimale Antwort auf die Herausforderungen der Energiewende. Zum einen erhöhen sie die dezentrale Erzeugung von genau den Kunden, die die Energiewende aufgrund des hohen Stromverbrauches vorantreiben, zum anderen sind die Anlagen die passende Ergänzung für die Sektorenkopplung. Außerdem wird aufgrund der hohen Eigenverbrauchsquoten der für die Gesellschaft teure Ausbau der Stromnetze vermieden, da der Strom dort verbraucht wird, wo er auch gebraucht wird.
Unnötige Hürden bei Genehmigungen
Ein Wermutstropfen ist derzeit noch der Punkt der Genehmigungen. Sofern die Anlagen eine Gesamthöhe von 50 m unterschreiten, benötigen sie „lediglich“ eine Baugenehmigung und müssen kein langwieriges und teures Verfahren nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz durchlaufen. Aber gerade hier liegen derzeit dennoch die Herausforderungen für die Hersteller. So gibt es zum Beispiel kein einheitliches Genehmigungsrecht für kleine Windenergieanlagen, sondern 16 unterschiedliche Landesbauordnungen. Zusätzlich haben die Behörden kaum Erfahrung mit der Genehmigung von Kleinwindenergieanlagen und wenden sehr oft dieselben Vorgaben an wie für die großen Anlagen. Dadurch entstehen kosten- und zeitintensive Genehmigungsverfahren, die eigentlich überhaupt nicht nötig wären. In diesen Bereich Aufklärung und Transparenz zu bringen, ist sicherlich die größte Herausforderung der Hersteller.
Dieses neue Segment der dezentralen Stromerzeugung über Windenergie ist die Antwort auf die Sektorenkopplung. Wind und Sonne sind volatil, sie ergänzen sich nicht nur optimal über den Tagesablauf, sondern auch über das gesamte Jahr. Moderne Speichertechnologien oder die Verwendung von Strom für die Sektoren Verkehr und Wärme können somit dazu beitragen, die regenerativ erzeugte Energie besser zu nutzen, das System damit effizienter zu machen und den Ausstoß von Treibhausgasen zu begrenzen.