Wertschöpfung von Kohlendioxid Defekte Materialien könnten CO2-Recycling erleichtern

Alessandro Senocrate arbeitet im Energy-Conversion-Labor der Empa in Dübendorf an einer Möglichkeit, Materialdefekte zur CO2-Verwertung einzusetzen.

Bild: Empa
07.03.2024

Ist es möglich, CO2 wieder in Treibstoffe oder andere Chemikalien umzuwandeln? Ja, aber aktuell lässt sich nicht genau kontrollieren, in welche. Warum gerade defekte Materialien die Lösung dieses Problems sein könnten.

Ließe sich die Verbrennung von Erdöl, Erdgas und Kohle einfach rückgängig machen? Mit einer erneuerbaren Energiequelle, etwas Wasser und einem geeigneten Katalysator könnte das überschüssige CO2 aus der Erdatmosphäre zu einer wertvollen Ressource werden, etwa für die Herstellung synthetischer Treibstoffe oder Synfuels. An dieser vielversprechenden Idee wird weltweit geforscht, auch an der Empa. Doch die Umsetzung gestaltet sich nicht einfach.

Nimmt man beispielsweise einen Kupferkatalysator – die am besten erforschte Art von Katalysator für die Konversion von Kohlendioxid –, erhält man bis zu 20 unterschiedliche Moleküle, von Kohlenmonoxid und Methan bis hin zu Propanol und Essigsäure. „Manche dieser Verbindungen sind bei Raumtemperatur flüssig, andere gasförmig“, sagt Empa-Forscher Alessandro Senocrate. „Es ist extrem aufwendig, all diese Produkte voneinander zu trennen.“

An der Lösung dieses Problems will Senocrate, der im Labor Materials for Energy Conversion unter der Leitung von Corsin Battaglia arbeitet, in den nächsten vier Jahren forschen. Das Projekt ist durch einen Ambizione Grant des Schweizerischen Nationalfonds (SNF) finanziert und ist in den nationalen Forschungsschwerpunkt NCCR Catalysis eingebettet.

Neue Materialeigenschaften durch Defekte

Ziel des Projekts ist, neuartige Katalysatoren für die CO2-Umwandlung zu entwickeln. Dabei setzt Senocrate nicht beim Material selbst an, sondern bei sogenannten Defekten. Ein Defekt bildet sich in einem kristallinen Material zum Beispiel dann, wenn in dessen Kristallgitter ein Atom fehlt oder durch ein Fremdatom ersetzt wird. Diese Stellen verleihen dem ursprünglichen Material andere Eigenschaften und können somit als aktive Zentren fungieren, an denen die chemische Katalyse stattfindet.

Als Erstes will der Forscher untersuchen, welche Defekte zu welchen Reaktionsprodukten führen. „Im Idealfall können wir mit diesen Erkenntnissen Katalysatoren designen, die bei der Konversion von CO2 spezifische Moleküle liefern anstatt ein Gemisch“, erklärt Senocrate.

Einige mögliche Zielmoleküle sind für die Industrie von besonderem Interesse. Dazu gehören etwa Kohlenmonoxid und Ethylen. Diese Moleküle sind sogenannte Plattformchemikalien: Sie sind die Ausgangsstoffe für zahlreiche chemische Prozesse, unter anderem bei der Herstellung der meisten Kunststoffe. „Für solche Plattformchemikalien haben wir bereits eine komplette Wertschöpfungskette“, sagt Senocrate. „Allerdings werden sie heute fast ausschließlich aus Erdöl hergestellt.“ Alternative, umweltfreundlichere Quellen für kohlenstoffbasierte Chemikalien – sei es aus der CO2-Konversion oder aus Biomasse – sind gefragt.

Synfuels für Industrie und Flugverkehr

Nebst Kunststoffen können auch Treibstoffe aus diesen Plattformchemikalien hergestellt werden. Weitere Empa-Forschungsprojekte fokussieren deshalb die Herstellung von Synfuels. „Autos lassen sich sehr gut elektrifizieren“, sagt Senocrate. „Bei Flugzeugen und bei vielen energieintensiven industriellen Prozessen sieht das anders aus.“ Hier seien Synfuels sehr sinnvoll.

Der Vorteil von flüssigen Treibstoffen wie Kerosin ist ihre enorm hohe Energiedichte, die diejenige von Batterien um einen Faktor von beinahe 100 übersteigen kann. Mit erneuerbarer Energie produzierte Treibstoffe sind also auch eine besonders attraktive Möglichkeit für die saisonale Energiespeicherung.

Die Infrastruktur für den Transport und die Aufbewahrung von Synfuels ist bereits vorhanden, denn sie unterscheiden sich in ihrer Zusammensetzung kaum von fossilen Treibstoffen. Das Einzige, was noch fehlt, ist die Fähigkeit, sie im großen Stil herzustellen. Senocrate ist indes optimistisch: „Ich forsche erst seit wenigen Jahren auf diesem Gebiet, und trotzdem habe ich schon massive Fortschritte erlebt. Natürlich wird es auch einen großen politischen und gesellschaftlichen Wandel brauchen. Aber aus der Sicht der Materialwissenschaft ist der Fortschritt rasant.“

Perfektion der Technologie

Bevor Senocrate mit seinem Projekt zu diesem Fortschritt beitragen kann, muss er noch einige Herausforderungen überwinden. Eine der größten: genug Defekte ins Zielmaterial einbringen, um eine messbare katalytische Wirkung zu erzielen. Denn der Forscher verwendet mit Absicht ein inertes Ausgangsmaterial, das ohne die Defekte keinerlei Einfluss auf die elektrochemische Reaktion hat. „Dadurch kann ich sehr genau bestimmen, welche Wirkung die jeweiligen Defekte haben“, erklärt er.

Sind die Defekte erst einmal charakterisiert, können sie auch in bestehende katalytische Materialien eingebracht werden. „Im Idealfall können wir am Ende des Projekts ein bestehendes System für die CO2-Konversion gezielt verbessern“, sagt Senocrate. Solche Systeme sind im Materials-for-Energy-Conversion-Labor bereits im Einsatz: Darin testen die Forschenden schon heute unterschiedliche Katalysatoren und Elektrodenmaterialien.

Die Ansprüche an diese Materialien sind hoch: „Für einen industriellen Einsatz muss der Katalysator selektiv, aktiv und stabil sein“, erklärt Senocrate. Selektivität heißt, dass er nur ein chemisches Reaktionsprodukt liefert – oder zumindest einige wenige, die sich leicht trennen lassen. Eine hohe Aktivität ist notwendig, um mit möglichst wenig Energie eine möglichst große Menge an Treibstoffen oder Chemikalien herzustellen. Und natürlich sollte ein marktreifer Katalysator seine Funktionalität über Tausende von Betriebsstunden aufrechterhalten, also stabil sein. „Bei allen drei Eigenschaften müssen wir noch viel besser werden“, sagt der Forscher. „Aber wir sind auf dem richtigen Weg.“

Bildergalerie

  • Empa-Forscher analysieren in diesem System mehrere Plattformchemikalien gleichzeitig.

    Empa-Forscher analysieren in diesem System mehrere Plattformchemikalien gleichzeitig.

    Bild: Empa

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