Die IT hat sich seit vielen Jahren zum Rückgrat der Unternehmen entwickelt; reibungslos funktionierende Systeme fürs Enterprise Resource Planning (ERP) oder die kaufmännische Abrechnung (Billing) sind längst ein kritischer Faktor für den Erfolg. Daher gehörten sie auch technisch immer zu den Heiligtümern im Unternehmen. Den Betrieb der Server und Anwendungen an Dritte zu übertragen wurde nur selten geprüft und noch seltener umgesetzt. Auch für viele Energieversorger war es lange Zeit undenkbar, die Unternehmenssteuerung, das Rechnungswesen und die Abrechnung outzusourcen. Dennoch ist heute den meisten klar, dass es noch einen Schritt weiter geht: Die Zukunft liegt – zumindest für ausgewählte Prozesse – in der Cloud.
Noch sind die Wege in die zukünftige IT-Landschaft unbekannt und die Frage nicht beantwortet, wann der bestmögliche Termin für den Aufbruch ist. Darüber, dass wesentliche Aufgaben in Zukunft in Cloud-Systemen oder gemeinsam mit Cloud-Systemen erledigt werden, sind sich jedoch IT-Experten und Entscheider in den Unternehmen größtenteils einig. Drei Herausforderungen haben dazu aus Sicht von Klaus Nitschke, Geschäftsführer des IT-Dienstleisters Cortility, geführt: „Die Themen Sicherheit, Kosten und Flexibilität haben den Druck auf die Unternehmens-IT so stark erhöht, dass für viele Verantwortliche die Auslagerung von Prozessen und Daten in die Cloud mittlerweile als Lösung für die Zukunft akzeptiert ist.“
Schutz durch Cloud-Computing
Viele Unternehmen erkennen, dass durch die zunehmende Bedrohung und die massiven Cyber-Angriffe der Aufwand für die Sicherheit ihrer IT-Systeme und Daten massiv steigt. „Durch Cloud-Computing lässt sich der Schutz verbessern und das unternehmerische Risiko durch Verlagerung von Verantwortung verringern“, erklärt Nitschke einen der drei Treiber. Da die Energieversorger in Deutschland durch die Digitalisierung vor kaum übersehbaren Veränderungen stehen, könne auch die Flexibilität der IT-Systeme ein wichtiges Argument sein. Denn niemand kann sicher sein, dass die heute geplanten Kapazitäten und Anwendungen in fünf Jahren noch zum Geschäftsmodell und Markt passen. Nicht zuletzt gebe die Kostenentwicklung den Weg in die Cloud vor: Die in die Jahre gekommenen und durch die unterschiedlichen Regulierungseingriffe sehr komplexen Billing-Systeme würden in Zukunft zu stetig steigendem zeitlichen und finanziellen Aufwand führen. Viele energiewirtschaftliche IT-Lösungen basieren noch auf den Überlegungen und Strategien aus den Anfängen der Liberalisierung des Energiemarktes. Auch technisch haben sich die Grundlagen in den rund 20 Jahren deutlich verändert.
Diese Pain-Points der Energieversorger sind nach Ansicht von Nitschke die wesentlichen Treiber, die Cloud zu nutzen. Die Entwicklungen bei den Software-Lieferanten, die ihre Geschäftsmodelle – branchenweit und international – von der klassischen Server-Infrastruktur sowie Lizenz-Software in Richtung Cloud-Lösungen entwickeln, unterstützen den Trend zusätzlich. So stellt beispielsweise SAP ERP-Systeme und Branchenlösungen nach und nach auf Cloud-Services um. Die Energiewirtschafts-Lösung IS-U gehört dabei jedoch eher zu den Nachzüglern. „Absehbar und angekündigt ist aber, dass auch die Funktionen von IS-U bald im Rahmen einer Cloud-Lösung angeboten werden und das klassische Modell langfristig ausläuft“, sagt Nitschke. Zugleich betont er: „SAP investiert viel in die Entwicklung von SAP for utilities, um der Energiewirtschaft einen Nachfolger für SAP IS-U zu bieten. Damit hat ein EVU die Gewissheit, langfristig die Abrechnungssoftware auch on premise betreiben zu können. Der Einsatz von Cloud-Komponenten kann daher entsprechend der jeweiligen individuellen Strategie erfolgen.“
Ein Paradigmen-Wechsel
„Auch wenn es sich bei diesen drei Treibern um scheinbar technisch basierte Auslöser handelt, ist es falsch, den Weg in die Cloud als eine Umstellung der Technik zu verstehen – entscheidend ist, dass es teilweise zu völlig veränderten Prozessen im Unternehmen führen wird“, erklärt der IT-Experte. „Der Übergang in die Cloud ist ein Paradigmen-Wechsel.“ Bisher wäre es die Aufgabe gewesen, die IT-Systeme an die Kundenprozesse anzupassen – egal welche ERP- oder Billing-Lösung auch im Einsatz ist. In Zukunft sieht er es jedoch als die wesentliche Aufgabe an, die Kunden an die Prozesse in den Cloud-Systemen heranzuführen. „Der Weg in die Cloud ist kein technisch-funktionaler Release-Wechsel, sondern ein Transformationsprojekt, das in die Geschäftsmodelle der Energieversorger eingreift“, fasst der Cortility-Chef zusammen. Und dieser Weg in die neue IT-Landschaft sei durchaus lang und teilweise anstrengend.
Roadmap gibt Orientierung
Allerdings schränkt er zugleich ein, dass es den Weg für ihn nicht gibt – vielmehr führten viele voneinander abweichende Wege in die Cloud. „Es ist eine strategische Aufgabe der Unternehmensentwicklung und entscheidend für eine erfolgreiche Transformation, die individuelle Roadmap zu erstellen und ihr dann zu folgen“, hebt Nitschke hervor. Insgesamt würde sich dabei der Trend zur Prozessorientierung verstärken. An zentraler Stelle stünde aus Sicht von Cortility, welche Prozesse in Zukunft überhaupt benötigt würden. Beim Weg in die Cloud ist diese – grundsätzlich vor jedem IT-Projekt sinnvolle – Frage besonders wichtig. „Wer erst nach der Transformation in die Cloud die Prozesse verbessert, Ballast über Bord wirft oder mit der Bereinigung von Datensätzen beginnt, verbrennt Geld“, stellt Nitschke fest. Um kosteneffizient in der Cloud zu arbeiten, sei wichtig, nur das mitzunehmen, was auch benötigt wird. „Das ist wie bei einer Wanderung: Wer viel unnötiges Gewicht im Rucksack mitschleppt, läuft Gefahr, das Ziel nicht oder nur unter sehr großen Anstrengungen zu erreichen.“ Eine Priorisierung helfe darüber hinaus, den schwierigen Weg in die Ziellandschaft in angemessener Zeit mit dem vorhandenen Personal gehen zu können.
Mit der Roadmap sollte jedes Unternehmen für sich die Etappen und Meilensteine definieren sowie den Zeitrahmen bestimmen. Ein dreistufiges Vorgehen ist dabei aus Sicht von Cortility sinnvoll: Zuerst werden im Rahmen der Voruntersuchungen Antworten auf die sieben wesentlichen Fragen erarbeitet. Anschließend entwickeln Unternehmensführung, IT, Fachabteilungen und externe Berater die individuelle Roadmap in die Cloud. Hierin werden nicht nur der Weg und der erforderliche Zeitbedarf beschrieben, sondern auch Punkte definiert, an denen die eingeschlagene Richtung überprüft wird. Die Abstimmung der drei Ziele technische Erneuerung, Berücksichtigung zukünftiger gesetzlicher Anforderung und Realisierung von EVU-spezifischem Optimierungspotential ist wesentlicher Bestandteil der Roadmap. Am Ende des Planungshorizonts steht in der Regel ein Hybrid-System, in dem bei SAP-Anwendern Kernkomponenten unter SAP S/4 Hana auf dem System des EVU durch Cloud-Komponenten ergänzt werden. Damit werden sich die Agilität des Unternehmens und folglich auch die Wirtschaftlichkeit steigern. Als letztes folgt die neue IT-Strategie, die die zukünftige Struktur der IT-Systeme für ERP und Billing festschreibt.
Welche Anwendungen dabei zuerst in die Cloud überführt werden oder ob man sogar einen sogenannten Greenfield-Ansatz wählt, also im übertragenen Sinn auf einer grünen Wiese bei null anfängt, hängt von den unternehmerischen Zielen des Energieversorgers ebenso ab wie von Struktur und Pflegegrad der bestehenden IT-Systeme.
Sieben Fragen, deren Antworten den Weg in die Cloud bestimmen
1. Welche Prozesse benötigen wir in Zukunft? 2. Wo kann uns die Cloud beim zukünftigen Wandel in der Energiewelt unterstützen? 3. Auf welche (Alt-)Systeme können wir in Zukunft verzichten? 4. Mit welchen Cloud-Lösungen werden unsere Anforderungen am sinnvollsten abgedeckt? 5. Welche zeitliche Strategie ist für uns sinnvoll? 6. Welche Meilensteine müssen/wollen wir wann erreicht haben? 7. Welche Add-ons benötigen wir neben den zentralen Cloud-Lösungen, um kundenorientiert und effizient zu arbeiten?