A&D: Der Name Vipa ist heute in der industriellen Steuerungstechnik fest etabliert. War das von Beginn an die Ausrichtung Ihres Unternehmens, Herr Seel?
Wolfgang Seel: Nein. Der ursprüngliche Ansatz von Vipa nach der Gründung im Jahr 1985 lag im Projekt- und Software-Engineering. Wir haben damals Produktionstechnik oder auch Hochregallager automatisiert. Eigene Hardware haben wir nur dann entwickelt, wenn bestimmte Produkte auf dem Markt fehlten - zum Beispiel eine Echtzeit-Uhr mit Batteriepuffer für die S5-Steuerungen von Siemens.
Wie hat sich die Firma zu einem Serienpro- duzenten von Automatisierungskomponenten gewandelt?
Zu Beginn der 1990er-Jahre galt es abzuwägen, welches Geschäft stabiler und sicherer ist: Hardware oder Software? Letztlich haben wir uns auf Hardware-Design konzentriert und in der Folge die Firma umstrukturiert. Als sich Interbus S als Standard durchsetzte, folgte den Ergänzungskomponenten für die S5 unser dezentrales I/O-System 200. Zudem kam uns der Gedanke einer passenden CPU und so haben wir eine erste Steuerung entwickelt, die Step5 auf den I/O-Modulen verarbeiten konnte.
War das der Grundstein für das Unternehmen, wie wir es heute kennen?
Vipa ist zwischen 1990 und 2000 über die Netzwerktechnik groß geworden: Wir hatten als erster Anbieter eine TCP/IP-Baugruppe für S5-Steuerungen im Programm, die maßgeblich in der Automobilindustrie zum Einsatz kam. Zudem entstand zur Jahrtausendwende unser System 300, als S7-300-kompatibles Produkt und parallel das System 100 für den Bereich der Mikro-SPS. Damit waren wir funktional eine Nasenlänge voraus. Siemens hat natürlich rasch nachgezogen und es ging einige Zeit hin und her: Mal war unsere CPU schneller, dann wieder das neue Modell von Siemens. Es gab aber keinen signifikanten Durchbruch.
Welche Rolle spielte das Tochterunternehmen Profichip und die daraus resultierende Embedded-Kompetenz für den Werdegang von Vipa?
Für uns ist Profichip eine ideale Ergänzung für Projekte und Lösungen, die mit Standardbauteilen nicht oder nur sehr kompliziert umsetzbar sind. Im ersten Schritt ging es dabei um Profibus- Asics, die wir als Second Source zum damals einzigen Anbieter auf den Markt gebracht haben. Parallel gab es die Erkenntnis: Wenn wir den Geschwindigkeitswettstreit auf Steuerungsseite endgültig entscheiden wollen, müssen wir die Step7-Technik in Silizium gießen. So haben wir 2003 unter dem Namen PLC7000 den ersten SPS-Prozessor vorgestellt und ein Jahr später in Umlauf gebracht. Damit hatten wir einen echten Joker in der Hand, denn unsere CPU war um den Faktor 30 schneller als die von Siemens. Dieser Vorteil war lange das beherrschende Thema für Vipa und ausschlaggebend für das große Wachstum des Unternehmens.
Warum haben Sie auf die Step7-Architektur gesetzt und nicht auf die IEC61131?
Der zentrale Aspekt für mich liegt in der Aufteilung der Steuerungslandschaft: Hier kommt Siemens mit Step7 in Europa auf 50Prozent und selbst weltweit auf rund 30Prozent. Die Marktbegleiter haben deutlich kleinere Anteile. Zudem können Anbieter auf IEC61131-Seite zwar teilweise schnelleres Wachstum umsetzen, sie haben aber auch eine deutlich höhere Anzahl an Wettbewerbern. Deshalb ist und bleibt die steuerungsseitige Kompatibilität zu Step7 und den Siemens-Steuerungen für uns die strategische Ausrichtung.
Wie kam es zu der heutigen breiten Aufstellung Ihres Unternehmens?
Mit den eigenen Step7-CPUs wurde unser System 300 richtig rund: eine Leistungsstarke CPU, das gesamte Spektrum an I/O-Modulen, Remote-I/O-Komponenten. Damit ging wieder eine Umstellung unseres Business-Modells einher: diesmal in Richtung Systemanbieter. Entsprechend haben wir uns mittlerweile vielen weiteren Themen angenommen: zum Beispiel der Visualisierung und Panel-Technik oder dem Bereich Fernwartung. Obwohl das Spektrum immer breiter wurde, gab es noch einen Flaschenhals: die Antriebstechnik. Um diese Lücke zu schließen, haben wir überlegt, mit welchem Antriebsspezialisten man partnerschaftlich zusammenarbeiten könnte. Das gestaltete sich aber aufgrund unseres Wettbewerbs zu Siemens und diversen Rechtsstreitigkeiten mit dem Konzern nicht leicht.
Im Herbst 2012 haben Sie die enge Partnerschaft mit Yaskawa inklusive Beteiligung an Vipa bekannt gegeben. Warum fiel die Wahl auf dieses Unternehmen?
Wie angedeutet, konnten wir kurzfristig keinen lokalen Antriebshersteller als Partner gewinnen. Gleichzeitig suchte die Firma Yaskawa einen Partner auf SPS-Seite. Im Verlauf erster Gespräche kristallisierte sich eine Zusammenarbeit als ideale Konstellation für beide Unternehmen heraus. So wurde die Beteiligung von Yaskawa an Vipa schnell beschlossene Sache. Mit diesem Partner sind wir zu einem echten Vollsortimenter aufgestiegen und bieten komplette Automatisierungslösungen; angefangen von Steuerung und Visualisierung über I/O-Systeme und Remote bis zur Antriebstechnik und Motion Control. Zu guter Letzt umfasst unser Komplettspektrum zukünftig auch die Robotikkompetenz von Yaskawa, was uns mittelfristig einen großen Marktvorteil bringen wird.
Wie unterscheiden Sie sich denn sonst noch von den anderen Vollsortimentern am Markt?
Wir bleiben in unserer Strategie definitiv auf Step7 ausgerichtet. Die Nähe zu Siemens, die uns aus der Vergangenheit noch oft zugeschrieben wird, gibt es jedoch längst nicht mehr. Um die Abnabelung zu untermauern, haben wir - parallel zur IEC 61131 - eine völlig eigene unabhängige Produktfamilie geschaffen und mit dem Speed7-Studio auch unsere eigene Entwicklungsumgebung vorgestellt. Heute kommt aber auch die Fragestellung auf, wie man die IEC 61131 und Ethercat mit der Step7-Welt verbinden kann. Deswegen arbeiten wir am Brückenschlag, der unsere mittelfristige Ausrichtung und Produktstrategie von oben nach unten klar strukturiert: Auf der Steuerung läuft Step7 und im Feld kann der Anwender sowohl auf Profinet, als auch auf Ethercat setzen.
Wo liegt Ihr Auftrag in Zukunft? Hat die SPS nicht bald ausgedient?
Schon damals, als wir erste SPS-Gehversuche machten, gab es PC-basierte Systeme auf dem Markt und die speicherprogrammierbare Steuerung wurde totgesagt. Aber es handelte sich um einen Trugschluss, denn schließlich müssen nicht nur Ingenieure mit der Automatisierung klarkommen, sondern auch einfache Techniker - vor allem bei der Inbetriebnahme. Deshalb ist das Volumen der SPS-Technik bis heute ungeschlagen, auch wenn der IPC-Anteil in den vergangenen zwei Jahrzehnten gewachsen ist. Die Steuerungstechnik wird sich zukünftig sicherlich weiter diversifizieren, und dennoch verschwinden etablierte Systeme nicht einfach. Die Reise der SPS geht weiter.