Die Schnittstelle zwischen Mensch und Fahrzeug, das Human-Machine-Interface - kurz HMI -, hat in den letzten Jahren innerhalb der Automobilbranche stark an Bedeutung gewonnen. Dieser Trend ist hauptsächlich durch die zunehmende Vernetzung mit dem Internet sowie der rapiden technologischen Entwicklung im Bereich der Konsumelektronik zu erklären. Smartphones, Tablet Computer und die rasante Entwicklung im M2M-Bereich - das so genannte ‘Internet of Things‘ - haben die Erwartungshaltung von Konsumenten im Hinblick auf die Verbindung von Mobilität und Vernetzung extrem vergrößert. Das Fahrzeug-HMI bietet dabei eine der entscheidenden Differenzierungsmöglichkeiten für Hersteller zur Gestaltung einer einzigartigen Marken- und Mobilitätserlebniswelt, die den gestiegenen Anforderungen von Fahrern und Mitfahrern Rechnung trägt.Der „Automotive HMI Report 2013“ von Telematics Update analysiert die aktuellen technologischen Entwicklungen, zukünftige Trends und die relevanten Faktoren, die für das erfolgreiche Design künftiger HMIs von maßgeblicher Bedeutung sind.
Abhängigkeit von Konsumerelektronik
Abgesehen von der Konsumelektronik sind nahezu alle Branchen der Elektronik weitgehend unabhängig von Lifestyle-Trends. Zwar wirken sich bestimmte gesellschaftliche Entwicklungen wie etwa die Forderung nach geringerem Energieverbrauch auf Technologien aus, von der Consumerwelt war man bisher aber weitgehend unabhängig. Die Automobilindustrie erfährt gerade, wie sich diese Entwicklung grundlegend ändern kann. Denn die Erfahrungen, die der Nutzer mit der Konsumelektronik - und hier allen voran mit Smartphones und Tablets - macht, erwartet er künftig auch im Auto. Das gilt vor allem für jüngere Autofahrer. Die Herausforderung für die Hersteller besteht also darin, In-Vehicle-Infotainment-Systeme und HMIs mit neuen Inhalten und Funktionen aktuell zu halten, eine nahtlose Integration mobiler Geräte zu ermöglichen und Entwicklungszyklen zu beschleunigen, ohne bei Sicherheit und Zuverlässigkeit Kompromisse einzugehen.
Neue Erwartungshaltung
Die Nachfrage nach Smartphones und Tablets ist nach wie vor ungebrochen - ein Ende dieses Trends ist auch mittelfristig nicht abzusehen. Ganz im Gegenteil: Die Anzahl von internetfähigen Geräten wird in den nächsten Jahren stetig zunehmen. Durch den Nutzerwunsch nach „always on“ und „extended driveability“ ergeben sich unmittelbare Auswirkungen auf die Erwartungen der Automobil-Kunden. Viele innovative Dienstleistungen, die im Umfeld der Konsumelektronik entstehen, werden künftig auch im Fahrzeug erwartet. Für die OEMs und Tier1 ist es daher zwangsläufig notwendig, einen immer stärkeren Fokus auf HMIs zu legen. Wer die neuesten Entwicklungen in der Konsumelektronik aus den Augen verliert, gerät im Markt ins Hintertreffen und wird zukünftig kaum in der Lage sein, mit der Konkurrenz Schritt zu halten. Daneben entsteht eine weitere Problematik: Durch die Evolution von Funktionen im Fahrzeug nimmt die Komplexität der HMIs stetig zu. Es wird also nicht einfacher für Hersteller und Zulieferer, die verschiedenen Vernetzungsansätze und damit einhergehende Komplexität in ihre HMI-Lösung zu integrieren. Schon 2016 sollen etwa 92 Millionen Autos weltweit mit dem Internet verbunden sein.
Technologie-Vielfalt
Der Weg zu einer einheitlichen HMI-Technologie ist steinig, was nicht zuletzt an einer großen Auswahl von Möglichkeiten liegt. So listet die Studie von Telematics Update zwölf verschiedene Eingabe- und sieben verschiedene Ausgabemöglichkeiten auf. Hinzu kommen noch drei Kombinationsmöglichkeiten. Ein einheitliches Design, beziehungsweise die Festlegung auf eine Technologie, ist auch nicht im Sinne der Hersteller, da das HMI als Differenzierungsmerkmal dienen soll. Dennoch sind Trends zu bestimmten Technologien zu erkennen. So finden sich Touchscreens, einfache Spracherkennung und kapazitive Schalter längst in Premium-Modellen und werden in den nächsten ein oder zwei Generationen sehr wahrscheinlich Einzug in die Volumenmodelle halten. Kontaktlose Schnittstellen - hier vor allem die Spracherkennung - sind aus Sicht der befragten Branchenexperten die Technologie der Zukunft. Einigkeit besteht allerdings auch darin, dass sich die Fehlerquote bei komplexen Spracheingaben noch deutlich reduzieren muss. Zudem müssen die Systeme lernen, deutlich besser mit natürlicher Sprache umzugehen als dies heute der Fall ist. Spracherkennung bietet vor allem auch den Vorteil zur Reduktion von Gefahrenpotentialen, die durch Ablenkung und unaufmerksames Fahren entstehen, wenn der Fahrer beispielsweise seine Aufmerksamkeit weg von der Straße auf einen Bildschirm richtet. Fortgeschrittene Spracherkennungssystem erlauben es dem Fahrer, diese Risiken zu umgehen und geltenden Gesetzen und anderen Regularien für sicheres Fahren gerecht zu werden. Die Bedeutung dieser Technologie kann aus Sicht der Industrie kaum überschätzt werden, da trotz hoher Entwicklungskosten für bessere Spracherkennungssystem davon ausgegangen wird, dass komplexe Spracherkennung innerhalb der nächsten fünf Jahre eine der wichtigsten Modi für die Interaktion zwischen Fahrer und Fahrzeug sein wird.Während die Auswahl an Eingabetechnologien groß ist, wird es bei der Ausgabe deutlich überschaubarer. Hier stehen vor allem neue Displaytechnologien wie OLED oder 3D-LCDs im Mittelpunkt des Interesses. Die gebräuchlichste Ausgabeform werden nach Meinung der Experten in den nächsten zwei bis fünf Jahren aber akustische Signale und Sprache sein. Akustische Signale kommen bereits jetzt zum Einsatz, beispielsweise bei Einparkhilfen. Es wird erwartet, dass deren Anwendung in den nächsten Jahren noch deutlich an Bedeutung gewinnen wird - nicht zuletzt deshalb, weil der visuelle Kanal immer überladener wird und hauptsächlich die sichere Durchführung der Fahraufgabe gewährleisten muss. Zudem werden künftige HMIs dem Fahrer verschiedene Interaktionsmöglichkeiten zur Bewältigung einer bestimmten Aufgabe anbieten. Technologien wie Gesten- oder Handschriftenerkennung, die in Handys, TVs und der Spieleindustrie zur Anwendung kommen, bieten dabei mittelfristig vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten für Designer und Entwickler. Der technischen Vorstellungskraft scheinen bei HMIs kaum Grenzen gesetzt zu sein.
Was die Nutzer wirklich wollen
Neben den technologischen Entwicklungen ist es aber vor allem ein sich änderndes Nutzerverhalten, das aus dem Umgang mit Konsumelektronik erwächst. Als die vier einflussreichsten Makrotrends, die sich auf das HMI-Design auswirken, nennt die Studie den „vertrauten Umgang mit Smartphones und mobilen Endgeräten“, eine „allgegenwärtige Vernetzungsmöglichkeit“, „Personalisierung und Individualisierung“ sowie „Cloud Computing“. Die Erwartungshaltung der Kunden an die Nutzungserfahrung ergibt sich aus dem vertrauten Umgang mit Konsumelektronik. Gerade jüngere Anwender äußern ihre Erwartungen an die Technologie deutlich. Das wird mit zunehmender Verbreitung von Smartphones und Tablets und der zunehmenden Vernetzung von Geräten mit dem Internet zukünftig auch immer mehr für andere Altersgruppen gelten. Zu den Erwartungen gehört beispielsweise, dass ein Touchscreen im Auto die gleiche Reaktionszeit wie bei einem Smartphone bietet. Generell beeinflusst die gesamte Smartphone-Logik die Erwartungen der Nutzer. Sie haben sich an die intuitive Steuerung und einfach zu nutzende Interfaces gewöhnt und sind nicht bereit, bei der Bedienung ihres Fahrzeuges auf diese Funktionalität zu verzichten. Die Technologie muss sich an den Nutzer anpassen, nicht umgekehrt.
Lifestyle Continuum
Ebenfalls erwartet wird eine nahtlose „vernetzte Existenz“ innerhalb und außerhalb des Fahrzeugs, das so genannte „Lifestyle Continuum“. Konsumenten wollen ihren virtuellen Aktivitäten auch im Fahrzeug nachgehen. Dazu zählt vor allem das Streamen von Musik in Echtzeit. Aber auch umgekehrt kann die Fahraktivität außerhalb des Fahrzeugs fortgesetzt werden, wenn das Smartphone beispielsweise als Fernbedienung für das Fahrzeug dient. Kurzfristig könnte sich dabei beispielsweise die Klimaanlage steuern lassen, langfristig sind Funktionen wie Fernüberwachung und Wartung, aber auch das automatische Parken des Fahrzeugs denkbar. Hier gilt ebenfalls: Die Funktionen müssen allgegenwärtig und nahtlos sein, wie es die Anwender von der Konsumelektronik kennen.
Wertewandel
Und auch die Produktpersonalisierung ist dem Nutzer aus der Konsumwelt vertraut. Ein wichtiger Treiber hierfür ist ein zunehmender Trend hin zu CarSharing-Modellen, die einem „Car-as-a-service“-Ansatz folgen. Dabei kann kluges HMI-Design ein effektives Mittel darstellen, um den Kunden ein personalisiertes Fahrerlebnis zu ermöglichen. Dies bedeutet konkret, das ein Fahrer unverzüglich umfassenden Zugang zu seinen individuellen Inhalten wie Navigation, Nachrichten, Musik, sozialen Netzwerken - kurzum seinem virtuellen Kosmos - hat, ohne das Fahrzeug erst umständlich auf seine persönlichen Vorlieben einstellen zu müssen. Personalisierung ist gleichzeitig keine Einbahnstraße. OEMs haben die Möglichkeit, umfassendes Wissen über ihre Kunden zu gewinnen. Dieses Wissen kann vielfältig genutzt werden, um das individuelle Fahrzeugerlebnis mit zielgerichteten Angeboten zu steigern und letztlich die Markenloyalität und Kundenbindung zu erhöhen. Dies ist ein bisher weitgehend vernachlässigtes Potential bei der Produktentwicklung.
Krieg der Betriebssysteme
Software spielt bei den HMIs eine immer größere Rolle. „Der Fokus wechselt von dem, was unter der Haube ist, zu dem, was hinter dem Armaturenbrett ist“, heißt es in der Studie. Und das bringt auch den „Krieg der Betriebssysteme“ ins Auto. Hier verläuft die Front, wie bei den mobilen Geräten, zwischen proprietärer und Open-Source-Software. Dabei besteht aus Sicht von Branchenkennern ein dringender Bedarf nach Konsolidierung der konkurrierenden Software-Plattformen, um Entwicklungszyklen zu beschleunigen und die Software-Entwicklungskosten zu senken. Da die OEMs und Tier1 in der Regel keine Software-Experten sind, wird es verstärkt zu strategischen Partnerschaften kommen. Hersteller werden dabei die Kontrolle über das Design des HMI Top-Layers im eigenen Haus behalten, da gerade hier das große Differenzierungspotential liegt.
Differenzierungsmerkmal HMI
Auch wenn die technologischen Möglichkeiten, Nutzererwartungen und sozio-ökonomischer Wandel ihren Einfluss ausüben, muss doch die sichere und effektive Priorisierung von Informationen für den Fahrer im Mittelpunkt des HMI-Designs stehen. Wie das realisiert wird, ist dann letztlich das Differenzierungsmerkmal für die OEMs. Es ist aber klar, dass die Konsumelektronik hier einen Einfluss entwickelt, der nicht zu unterschätzen ist. Automobilhersteller, denen die nahtlose Integration der Konsumelektronik in das Fahrzeug am besten gelingt, können sich in Zukunft auch die besten Marktchancen ausrechnen.