Industrieelektronik Hausbesuch

09.09.2013

Wenn man über Elektronikfertigung spricht, geht es meistens um Asien. Dabei sind in Deutschland zahlreiche Dienstleister in diesem Bereich tätig, die aber mehr auf Qualität als auf Quantität setzen. Ein Besuch bei der Firma Productware im hessischen Dietzenbach.

10:45Dietzenbach liegt kurz hinter der bayrischen Grenze - zumindest, wenn man aus München kommt. Aus anderer Perspektive könnte man auch sagen, dass der Ort in unmittelbarer Nähe zu Frankfurt liegt in einem Umfeld, in dem man zahlreiche Unternehmen der Elektronikbranche findet, zum Beispiel auch Productware.

11:03Mein erster Gesprächspartner ist Marco Balling, der zusammen mit Herbert Schmid, einem der Unternehmensgründer, und Matthias Hunkel Productware leitet. Fast 60 Mitarbeiter sind derzeit bei dem Fertigungs-Dienstleister beschäftigt. „Unsere Kernkompetenz ist die Fertigung komplexer Baugruppen und Systeme kleiner und mittlerer Stückzahl“, beschreibt Marco Balling das Unternehmen. Unter kleinen und mittleren Stückzahlen versteht man bei Productware Losgrößen zwischen 10 und 5.000 Stück.

11:10 Die ursprüngliche Heimat von Productware ist die Telekommunikationsbranche. Als 100-prozentige Tochter der ebenfalls in Dietzenbach ansässigen Controlware GmbH wurden hier die Produkte von Controlware im Bereich ISDN und ISDN-Backup-Lösungen gefertigt. „Um das Jahr 2000 haben wir mehr als 90 Prozent unserer Umsätze mit verbundenen Unternehmen realisiert“, so Marco Balling. Das hat sich seitdem deutlich geändert: Vor einigen Jahren hat Controlware seine Eigenproduktsparte eingestellt um sich vollständig auf das Kerngeschäft der IT-Systemintegration zu konzentrieren, so dass aus diesem Bereich inzwischen weniger als 5 Prozent des Umsatzes resultieren. „Das bedeutete für uns vor allem in vertrieblicher Hinsicht schon ein Umdenken“, beschreibt Marco Balling die Situation. „Vorher waren wir ja die verlängerte Werkbank. Diese Situation musste bewältigt werden - und das ist uns auch gelungen.“ Knapp 11 Millionen Euro soll der Umsatz im Geschäftsjahr 2013 betragen - mit Luft nach oben. Das liegt zum einen an der vorhandenen Infrastruktur, mit der Productware in der Vergangenheit mit Controlware-Produkten bereits höhere Umsätze realisiert hat. Seine optimistische Wachstumsprognose begründet Marco Balling aber vor allem mit der gestiegenen Vertriebsexpertise und der Kundenzufriedenheit. „Wir haben in den letzten drei Jahren viele neue Kunden gewonnen, so dass die Wachstumsprognose nicht nur auf einem Wunsch, sondern auch auf Ergebnissen basiert“, erklärt er. Hilfreich ist dabei aus seiner Sicht auch nicht zuletzt die Tatsache, dass das Mutterunternehmen seit dessen Gründung in Familienhand ist. „Es ist schon ganz schön, wenn man ein stabiles Umfeld hat, auch langfristige orientiert arbeiten kann und nicht jeden Tag auf den Aktienkurs schauen muss“, so Marco Balling.

11:23 Kunden sind aus Sicht von Productware Unternehmen mit komplexen elektronischen Produkten, die keine High-Volume-Produktion benötigen und in der Regel ein hohes Beratungsbedürfnis haben. Marco Balling erläutert das an einem aktuellen Beispiel: „Da reden wir von einem extrem komplexen Medizintechnik-Produkt, das aus diversen Subplatinen besteht und zum Teil exotische Verarbeitungsprozesse erfordert, um dann letztlich das Gesamtsystem herstellen zu können - und das in relativ geringen Stückzahlen.“ Weiter führt er aus: „Wir fertigen dabei nicht nur die Prototypen, sondern erbringen auch Entwicklungsleistungen. In diesem Fall haben wir die Testverfahren mitentwickelt und auch Fertigungsprozesse, um das gewünschte Endergebnis erreichen zu können.“ Mit diesem speziellen Know-how sieht Marco Balling sein Unternehmen absolut wettbewerbsfähig gegenüber asiatischen Massenfertigern.

11:33 Das Entwickeln und Vermarkten der Produkte beschreibt Marco Balling als wesentliche Kernkompetenzen der Kunden. Productware bietet Leistungen an, die diese Kernkompetenzen ergänzen. Ein wichtiger Aspekt dabei ist das Obsolescence Management. „Auch wenn wir nicht selbst entwickeln, sind wir meist in den Projekten früh an Bord. Dann analysieren wir beispielsweise die Vorabstücklisten, inwieweit die enthaltenen Bauteile im Lebenszyklus schon fortgeschritten sind“, erläutert Marco Balling die Vorgehensweise. „Wir benennen auch mögliche Alternativkomponenten, allerdings liegt die Entscheidung letztlich beim Kunden, der die technische Hoheit hat. Aber wir stellen ihm die Informationen so zusammen, dass er auf dieser Grundlage eine Entscheidung treffen kann.“ Das gilt aber nicht nur für tatsächliche Projekte, sondern auch schon bei Angeboten - ein Service, der auf jeden Fall ungewöhnlich ist. „Wir treiben relativ früh einen nicht unerheblichen Aufwand, der dazu dienen soll, spätere Aufwände, Kosten und Komplikationen, z. B. durch teure Re-Designs oder den Einsatz von Brokerware, zu vermeiden“, so Marco Balling.

11:46 Auch die Neuprodukteinführung ist ein wichtiges Thema bei Productware. „Wir analysieren z. B. Designs unter den Aspekten Fertigung, Testen und bieten einen speziellen Prototyping-Prozess unter anderem um Entwicklungszyklen zu verkürzen und die Produktqualität zu steigern. Wir haben auch einen hohen Anteil an technischen und logistischen �?nderungen innerhalb eines Auftragsabwicklungsprozesses“, erklärt Marco Balling. Er erzählt, dass man in der Vergangenheit immer wieder überlegt habe, wie man eine bessere Planbarkeit und weniger Veränderungen erreichen könne. „Irgendwann haben wir aber erkannt, dass das, was wir hier leisten können, d.h. �?nderungen schnell und zuverlässig zu managen, etwas Bedeutsames und ein Differenzierungsmerkmal ist.“

11:52 Ein weiteres Differenzierungsmerkmal ist ein speziell entwickeltes Verfahren zur Lagerhaltung. Bei Cover2dry erfolgt eine Aktivtrocknung bzw. Trockenlagerung unter Stickstoff. „Wir reduzieren beziehungsweise vermeiden Qualitätsprobleme und dadurch Ausfall- und Reklamationsquoten bei unseren Kunden, indem das Trocknungskonzept über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg eingesetzt wird“, beschreibt Marco Balling den Vorteil des Systems. Das funktioniert übrigens so gut, dass Productware das System als Eigenprodukt vertreibt.

11:59 Etwas überraschend fällt die Antwort auf die Frage aus, wie man an potentielle Kunden herangeht. „In der Vergangenheit haben wir meistens Qualität, Flexibilität und Liefertreue kommuniziert, aber damit gewinnt man aus unserer Sicht keinen Neukunden“, so Marco Balling. „Diese Aussage wird jeder treffen, und das sind einfach Grundvoraussetzungen, um eine langjährigen Kundenbeziehung aufzubauen.“ Vielmehr gehe es darum, dem Kunden zuzuhören, zu erkennen, wo seine Bedürfnisse und Engpässe sind, um dort mit entsprechenden Dienstleistungen helfen zu können. „Wir differenzieren uns über Leistungen, die auf unser Zielklientel ausgerichtet sind“, fasst Marco Balling zusammen.

12:07 Und so wie das Leistungspaket individuell für einzelne Kunden erstellt wird, haben auch die Mitarbeiter bei Productware die Möglichkeit, ihre Aufgaben eigenständig zu gestalten. „Natürlich gibt es Prozesse, die eingehalten werden müssen“, schränkt Marco Balling ein, „ aber die Mitarbeiter haben bei uns wirklich große Freiräume, ihre Aufgabe so auszufüllen, wie sie es sich vorstellen.“ Dazu gehört beispielsweise auch die Beteiligung der Mitarbeiter bei der Einführung eines Lean-Management-Prozesses. „Die Mitarbeiter haben eigene Standards in ihren Abteilungen definiert und auditieren ihre Bereiche selbst“, erklärt Marco Balling „Eigenverantwortlichkeit zu schaffen, Verantwortung zu übernehmen, das ist das, was wir uns wünschen - und auch fordern und fördern.“

12:18 Es wird Zeit, den Mitarbeitern auf den Zahn zu fühlen. Sind die Freiräume bei Productware wirklich so groß?

12:22 Britta Flender ist als Key-Account-Managerin im Vertrieb tätig. Seit fünf Jahren ist sie im Unternehmen festangestellt. Ihre Aufgabe besteht in der Kundenbetreuung - sowohl intern als auch bei den Kunden vor Ort. Und auch die Neukundenakquise fällt in ihren Zuständigkeitsbereich. „Wir sind die Ansprechpartner für unsere Kunden, koordinieren Anfragen, Aufträge, komplette Projekte“, beschreibt sie ihr Aufgabengebiet. „Im Scherz sagen wir manchmal, dass wir die Mädchen für alles für unsere Kunden sind.“

12:29 Ein Job im Vertrieb war für Britta Flender schon immer der Traumberuf. Daher nahm sie nach dem Studium auch gerne die Gelegenheit wahr, als Unterstützung für den Außendienst bei Productware einzusteigen. „Generell ist es so, dass man hier vielfältige Aufgaben hat und richtig viel selber machen kann“, nennt sie die Vorteile ihres Arbeitsgebers. „Wenn man Eigeninitiative zeigt, hat man hier viele Möglichkeiten. Es ist breit gefächert, man ist nicht nur in einem eingeschränkten Bereich tätig.“

12:35 Aber auch bei Productware ist nicht alles perfekt. „Es ist meistens so, dass die Arbeit geballt kommt und man es trotzdem irgendwie handeln muss“, beschreibt sie die Alltagsproblematik. „Das ist dann in einem kleineren Unternehmen eher schwierig, weil man die Aufgaben ja auch an niemanden weitergeben kann.“ Trotzdem ist sie davon überzeugt, dass Productware der richtige Arbeitgeber für sie ist.

12:43 Nachteile an ihrem Job kann Lidia Marin auch nach zwei Jahren im Unternehmen nicht nennen. Das liegt aber nicht daran, dass sie einfach nichts Schlechtes sagen möchte, sondern sie hat eine plausible Erklärung dafür: „Dadurch, dass ich noch nicht so lange dabei bin, ist das für mich alles immer noch relativ aufregend“, erklärt sie. „Man kann sich hier nicht in vier Wochen einarbeiten. Die Elektronik-Branche ist so komplex und unsere Kunden sind so spezifisch, dass ich erst nach einem Jahr das Gefühl hatte, richtig gut eingearbeitet zu sein.“

12:47 Dazu lernt sie im Vertrieb und im Marketing. Diese Aufgabenvielfalt war auch der Grund für sie, zu Productware zu kommen. „Ich war vorher im Marketing als Assistenz tätig. Da ich aber gelernte Industriekauffrau bin, wollte ich auch stärker in diesen Bereich und vor allem mehr Kundenkontakt haben“, nennt sie die Gründe für ihren Wechsel. Und den hat sie bis heute nicht bereut.

12:54 Ein echtes Eigengewächs ist Jenny Löhr, die auf fünf Jahre Betriebszugehörigkeit zurückblicken kann, drei davon als Auszubildende. „Wir wurden wirklich in jeder Abteilung im Unternehmen eingesetzt und haben vollwertig mitarbeiten können“, erinnert sie sich. „So habe ich zum Beispiel im Einkauf die Kalkulationen für den Vertrieb gemacht oder gemeinsam mit den Vertriebsmitarbeitern Angebote erstellt.“ Seit zwei Jahren ist sie selber im Vertriebsinnendienst tätig und sehr zufrieden damit - auch wenn es manchmal stressig wird. „Mit dem Stress kommt man klar und es macht einfach Spaß. Die Arbeit ist sehr abwechslungsreich“, erklärt sie. Hinzu kommen die Kollegen, mit denen sie sich gut versteht.

13:04 Ein wirklich alter Hase ist Bernd Hoffmann, der bei Productware für das Qualitäts- und Umweltmanagement zuständig und Prozessverantwortlicher ist. Er ist seit der Unternehmensgründung 1988 dabei und hat vorher noch einige Jahre bei der Mutterfirma Controlware gearbeitet. Einen Grund zum Wechsel sieht er aber nicht. „Es macht mir nach wie vor viel Spaß. Ich hatte mir am Anfang bei Controlware einen schönen Arbeitsbereich erarbeitet und das ist auch hier bei Productware so“, erklärt er. „Es ist nach wie vor ein sehr abwechslungsreicher Job, weil man am Vortag nie so recht weiß, was am nächsten Tag kommen wird.“ Das liegt aus seiner Sicht natürlich nicht zuletzt an den komplexen Produkten der Kunden. „Wir machen ja keine einfachen Lötarbeiten. Es ist oft so, dass wir uns am Rande des Möglichen bewegen und das macht einfach Spaß.“

13:11 Dafür, dass es nicht nur Spaß macht, sondern auch funktioniert, ist Bernd Hoffmann auch mit verantwortlich. Dazu gehören bei ihm regelmäßige Audits, um die ISO-Normen im Unternehmen zu erhalten. Als oberster Qualitätssicherer prüft er zudem immer wieder die einzelnen Produktionsschritte, um eine optimale Qualität sicherzustellen.

13:20 Ein kleines Manko ist aus seiner Sicht die Tatsache, dass die Leistungen des Unternehmens nicht immer im Detail für die Kunden transparent werden. „Manche Kunden können nur schwer einschätzen, welche Leistungen wir tatsächlich für sie erbringen“, erklärt er. „Der große Unterschied sind vor allem die Stückzahlen. Wenn ich Großserien habe, kann ich um den optimalen Fertigungsprozess zu finden auch mal hundert Produkte zerstören. Wir müssen hingegen mit dem ersten Stück ein gutes Ergebnis abliefern.“

13:29 Marco Balling lag mit der Einschätzung, dass die Mitarbeiter ihre Freiräume schätzen, auf jeden Fall richtig. Die gute Auftragslage und die daraus resultierende hohe Arbeitsbelastung ist ihm allerdings ebenfalls nicht neu - auch wenn dieser Zustand sicher als Luxusproblem gesehen werden kann. Für ihn ist völlig klar: „Wir versuchen, immer fair und offen zu sein zu unseren Mitarbeitern, Lieferanten und Kunden. Das klingt vielleicht abgedroschen, aber eine vertrauensvolle Zusammenarbeit setzt Ehrlichkeit und Transparenz voraus - und das versuchen wir zu leben und vorzuleben.“

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