Kennen Sie Bowdenzüge? Namentlich vielleicht nicht. Doch wenn Sie Fahrradfahren, nutzen Sie die Seilzüge, die der Engländer Ernest Monnington Bowden (1859-1904) erfunden hat. Sie übertragen Zug- und Druckkräfte und kommen auch in Gas- und Kupplungszügen von Motorrädern und in Autos zum Einsatz – etwa in der Verstellmechanik von Sitzen und im Öffnungsmechanismus der Motorhaube. Was die wenigsten Menschen wissen: Ein Hersteller von Kunststoffrohren, Profilen und Bowdenzügen sitzt im Schwarzwald, in Hausach bei Offenburg, und zählt unter anderem VW zu seinen Kunden.
Heißprägemaschinen stoßen an ihre Grenzen
Die Heißprägemaschinen, die bei Binder + Wöhrle für die Produktkennzeichnung zum Einsatz kamen, erledigten jahrelang einen zuverlässigen Job, druckten mit vorgeheizten Prägezeichen auf Kunststofffolien, die sich ablösten und als Schriftbild auf dem Produkt kleben blieben. Sie ließen sich wirtschaftlich betreiben – allerdings nur in einer Zeit, in der auf Produkten wenig Daten erscheinen mussten. „Heute ist das anders“, erklärt Klemens Isele, Geschäftsführer von Binder + Wöhrle. „Wir sind gesetzlich verpflichtet, eine Vielzahl an Produktdaten aufzubringen – unter anderem Produktnummer, Materialkennzeichnung und Produktionsdatum.“ Heißprägemaschinen, bei denen sich das Schriftbild nur aufwendig ändern lässt, stießen an die Grenzen ihrer Flexibilität. Isele machte sich deswegen auf die Suche nach einem wirtschaftlichen und flexiblen Kennzeichnungssystem.
Kennzeichnen, ohne zu berühren
Beim JET3up-Drucker der Kennzeichnungsfirma Paul Leibinger sind Informationen nicht wie bei einer Heißprägemaschine festgelegt, sondern lassen sich schnell verändern – fünfzeilige Kleinschriften, Grafiken, Barcodes und alle gängigen Datamatrix-Codes mit einer Druckhöhe von bis zu 16 Millimetern sind mit enthalten. Einstellen lassen sich die Informationen über einen 10,4 Zoll großen Touchscreen, der sich so einfach bedienen lässt wie ein Smartphone. Das Prinzip lautet what-you-see-is-what-you-get (WYSIWYG): Die eingestellten Informationen erscheinen eins zu eins auf dem Produkt.
Anders als eine Heißprägemaschine berührt der Drucker das Produkt nicht. Das ermögliche eine schnelle Kennzeichnung, die zudem produktschonend ist und die Gefahr von Bruchstellen reduziert. Hinter dieser berührungslosen Kennzeichnung steckt eine Technologie namens Continuous Inkjet (CIJ). Sie arbeitet im Inneren des zylinderförmigen Druckkopfs, der direkt von oben auf das Produkt blickt und mit einer Geschwindigkeit von rund 200 Metern pro Minute aus dem Extruder läuft. In ihm schießen 96.000 aufgeladene Tintentropfen pro Sekunde durch eine winzige Düse in Richtung eines Auffangrohrs.
Beim Drucken kommen zwei Ablenkelektroden ins Spiel. Sie verändern die Flugbahn einzelner Tropfen, sodass sie als Bildpunkt auf der Produktoberfläche landen und innerhalb einer Sekunde trocknen. So entstehen schwarze und weiße Aufdrucke auf den Produkten. Die restlichen Tropfen fliegen geradeaus in das Fängerrohr und zirkulieren im System. „Diese Druckertechnologie muss man mit eigenen Augen gesehen haben“, meint Isele. „Scheinbar aus dem Nichts erscheinen die Informationen auf dem Bowdenzug.“
Weniger Stromverbrauch als eine Glühbirne
Die Drucker sollen mit Geschwindigkeiten von bis zu 600 Metern pro Minute Schritt halten können, das entspricht 36 km/h. Es ist also möglich, die Anlagengeschwindigkeiten zu erhöhen, ohne die Kennzeichnungssysteme zum Nadelöhr werden zu lassen. Mittlerweile kommen dreizehn Drucker bei Binder + Wöhrle zum Einsatz. Nicht nur in der Bowdenproduktion, sondern auch in der Herstellung von Rohren und Schläuchen.
Die Drucker verbrauchen mit einer Leistungsaufnahme von rund 30 Watt weniger Strom als eine Glühbirne und drucken mit einem Liter Tinte 160 Millionen Zeichen – das reicht fast für das gesamte Jahr. Zudem sind die Wartungs- und Reinigungskosten niedrig. Durch das automatische Verschlusssystem Sealtronic von Leibinger sollen aufwendige Reinigungsarbeiten vor dem Produktionsstart entfallen.
„Ist der Drucker außer Betrieb oder im Stand-by-Modus, bleiben bei vielen CIJ-Druckköpfen Düse und Fängerrohr offen. Die Tinte trocknet ein und die Düse verstopft, sodass viel Reinigungsaufwand nötig ist, damit es beim nächsten Start nicht zu einem diffusen Spucken von Tinte und einem undeutlichen Schriftbild kommt“, erklärt Christina Leibinger, Geschäftsführerin von Leibinger. „Das Fängerrohr fährt in Produktionspausen auf die Düse und verschließt das System luftdicht. Beim erneuten Start ist das Schriftbild direkt klar und stabil – ohne Reinigungsaufwand und Spülzyklen läuft die Produktion sofort wieder an.“ Die Zuverlässigkeit der Drucker spiele ebenfalls eine Schlüsselrolle. Denn wenn das Kennzeichnungssystem nur wenige Minuten versagt, „werden viele Meter wertvoller Rohre und Profile zu Ausschuss.“