Interview „In China muss das Vertrauen über eine lange Zeit hinweg erworben werden.“

RUTRONIK Elektronische Bauelemente GmbH


Lambert Hilkes, Rutronik

28.04.2012

Lambert Hilkes verantwortet den Aufbau des Asiengeschäftes für Rutronik. Als Kenner der Elektronikbranche, der bereits seit vielen Jahren in Asien lebt und arbeitet, sprach er mit der E&E über die aktuelle Situation in Fernost.

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Herr Hilkes, über die Wirtschaft in China gibt es derzeit eher negative Aussagen, es ist von Stagnation bzw. Rückgang die Rede. Wie beurteilen Sie die Situation?

Ja, das hört man immer wieder. Allerdings sind diese Aussagen stark zu relativieren. Betrachtet man die Zahlen, stellt man fest, dass sich das Wachstum in China von einem hohen zweistelligen Bereich jetzt auf einem hohen einstelligen Wert einpendelt. Das heißt: In China gibt es keinen Rückgang, sondern lediglich eine geringere Zuwachsrate - und diese liegt immer noch deutlich über derjenigen der meisten anderen Staaten. Hinzu kommt die Größe des Landes mit seiner immensen Bevölkerungszahl. Durch die schiere Masse würde selbst ein Wachstum von 3 oder 4 Prozent noch eine größere Steigerung bedeuten als in Europa und den USA zusammen.

Was allerdings stimmt ist, dass die Auslastung vieler chinesischer Firmen zurückgegangen ist. Hauptgrund hierfür ist Chinas Status als „Produzent für die Welt“ und damit seine Abhängigkeit von der makro-ökonomischen Situation in Amerika und Europa. Doch die Inlandsnachfrage in China steigt nach wie vor stetig. So schließt sich die Schere zwischen Export und Inlandskonsum und das innerchinesische Wachstum kompensiert zunehmend die Rückgänge der Importländer. Aus diesem Grund sehe ich China heute und in absehbarer Zukunft als Motor für ganz Asien. Und deshalb steht China derzeit auch im Fokus der Aktivitäten von Rutronik.

Für Rutronik entscheidend ist ja der Distributionsmarkt. Wie gestaltet sich dieser in China?

Derzeit sind in China über 2.000 Distributoren unterschiedlichster Größe und Couleur aktiv, darunter große, global tätige Distributoren genauso wie lokale Distributoren. Damit ist der Markt im Grunde gesättigt. Trotzdem betrachten wir China als ideal, um mit der Strategie Rutroniks erfolgreich zu sein - gerade jetzt.

Warum ist der Zeitpunkt optimal?

Wie gesagt ist die chinesische Wirtschaft nach wie vor stark mit einer sehr großen Nachfrage. Hinzu kommt, dass die Distribution in den letzten Jahren einen enormen Bedeutungszuwachs erfahren hat. Bis vor kurzem haben chinesische Unternehmen, sowohl die großen OEMs als auch 3rd- und 2nd-Tier-Lieferanten, ihre Komponenten in aller Regel direkt vom Hersteller bezogen. Viele von ihnen haben in letzter Zeit ihre Kostentruktur untersucht und festgestellt, dass der Aufwand für den Bezug bei 15 oder 16 Lieferanten immens ist. Sie haben viele verschiedene Ansprechpartner, viele Preisverhandlungen, unterschiedliche Lieferzeiten und Lieferbedingungen, ganz abgesehen vom Handlingaufwand der Warenannahme und Lagerung. Das heißt, selbst wenn der Stückpreis beim Distributor ein wenig über dem des Direktanbieters liegt, sind die Total Costs of Operation deutlich geringer. Deshalb gehen jetzt immer mehr Unternehmen in China dazu über, ihre Lieferantenanzahl drastisch zu reduzieren. Das tun sie mit Hilfe der Distribution.

Mit der Eröffnung der Niederlassungen in China, Hongkong und Taiwan im letzten Jahr ist Rutronik allerdings relativ spät in den asiatischen Markt eingetreten.

Das ist korrekt. Allerdings ziehen wir daraus nun Vorteile, indem wir aus den Fehlern der Early Birds lernen. So haben wir gesehen, dass es nicht möglich ist, ein europäisches oder amerikanisches System für den asiatischen Markt einfach zu kopieren. Deshalb besteht unser Team ausschließlich aus lokalen Mitarbeitern, die dieselbe Sprache sprechen und die Konventionen kennen. Außerdem befinden wir uns mit unseren Büros in derselben Zeitzone wie unsere asiatischen Kunden und können die hier geforderten extrem kurzen Reaktionszeiten gewährleisten. Mit unserem Logistikzentrum in Hongkong stellen wir den effizienten Materialfluss sicher. Hinzu kommt die Situation, die ich vorhin angesprochen habe: Wir wollen und werden am aktuell steigenden Distributionsanteil partizipieren.

Mit welchen USPs möchte sich Rutronik als Newcomer hier etablieren?

Das sind unser Broadlinertum und die global durchgängige Unterstützung. Zwar bieten auch andere globale Distributoren das gesamte Bauelemente-Spektrum, sie fokussieren sich jedoch auf einzelne Produktgruppen, meist hochmargige Produkte. Wir vertreten hingegen alle Bauelemente gleichermaßen. Damit geht eine völlig andere Strategie und ein ganz anderer Ansatz einher: Wir benötigen mehr qualifizierte Ingenieure, um unsere Kunden über unser ganzes Portfolio hinweg fundiert unterstützen zu können. Dazu kommt eine andere Art der Lagerhaltung und Logistik. Denn bei den Passiven müssen immense Stückzahlen bei geringerer Marge umgeschlagen werden. Hierfür haben wir in den letzten fast vierzig Jahren die notwendige Prozess- und Logistikkompetenz aufgebaut und arbeiten ständig daran, diese weiter zu optimieren und an die aktuellen Gegebenheiten anzupassen. Dieser Aufwand zahlt sich aus, weil wir unseren Kunden damit zahlreiche Vorteile bieten können.

Welche sind das?

Zuallererst die größtmögliche Effizienz. Indem wir alles aus einer Hand liefern, können unsere Kunden ihre Bezugsquellen und damit ihre Prozesskosten auf ein Minimum reduzieren. Auch bei der technischen Unterstützung und dem Design-In decken wir Applikationen komplett ab. Wir berücksichtigen 100 Prozent der Komponenten und stimmen sie aufeinander ab, was für die Funktionsfähigkeit einer Anwendung oft entscheidend ist. Von unserer Logistikkompetenz profitieren unsere Kunden durch eine extrem hohe Versorgungssicherheit und durchdachte, erprobte Logistikkonzepte. Hinzu kommt die globale Unterstützung: Im Gegensatz zu den meisten anderen Distributoren sind wir nicht regional zersplittert. Basis unserer weltweiten Präsenz ist ein IT-System, an das alle Niederlassungen angeschlossen sind. Damit können wir unsere Kunden rund um den Globus durchgängig unterstützen und beliefern - gleichgültig, wo sie entwickeln und fertigen. Kurz gesagt: Wir bieten eine Beschaffungsquelle für den gesamten weltweiten Bedarf, mit einem zentralen Ansprechpartner plus lokaler Unterstützung vor Ort. Dabei bestehen überall dieselben Bestell- und Lieferprozesse und Logistikservices auf europäischem Qualitätsniveau.

Zwischen dem europäischen und dem asiatischen Markt gibt es sicher einige Unterschiede. Auf welche Schwierigkeiten sind Sie bei Ihrem Markteintritt in Asien gestoßen?

Nun ja, die Märkte an sich unterscheiden sich nur wenig, schließlich funktionieren sie nach denselben Marktgesetzen. Trotzdem gibt es Unterschiede. Im Laufe meiner Zeit in Asien habe ich drei wesentliche Merkmale identifiziert: Das ist erstens die enorme Geschwindigkeit. Zum Beispiel genügt es in Europa oder den USA, eine Antwort innerhalb von 24 Stunden zu geben. In China muss diese sofort kommen. Zweitens ist das die Wettbewerbsfähigkeit. Sie existiert natürlich überall, doch nirgends in dieser Ausprägung wie in China. Dabei ist die Vergleichbarkeit sehr wichtig - hier steht der Preis weit oben, außerdem die Produktverfügbarkeit und in zunehmendem Maße auch die Qualität. Der dritte Unterschied besteht im Netzwerk-Denken. Persönliche Beziehungen sind in Asien wesentlich wichtiger als in Europa, jedoch schwieriger aufzubauen. Denn zu Beginn einer Partnerschaft gibt es keinerlei Vertrauensvorschuss wie in Europa, vielmehr muss das Vertrauen über eine lange Zeit hinweg erworben werden. Darauf muss man vorbereitet sein und deshalb haben wir diesem Prozess in unserer Zielsetzung genügend Zeit eingeräumt. Außerdem setzen wir auf Mitarbeiter, die - wie ich selbst - schon Jahre im Geschäft sind und viele bestehende Beziehungen mit zu Rutronik bringen. Und es kommt uns zugute, dass langfristige Partnerschaften Bestandteil der Rutronik-Philosophie sind. Das wird in Asien durchaus registriert und positiv wahrgenommen.

Wie fällt die Bilanz Ihrer bisherigen Asien-Aktivitäten aus?

Unsere erste Zwischenbilanz ist sehr positiv. Wir hatten uns für den asiatischen Markt drei Ziele gesteckt, das sind: Erstens, die Sicherstellung des Transfergeschäfts, zweitens die Erhöhung unserer Präsenz im Portfolio unserer Kunden und drittens die Gewinnung von Neukunden in Asien. Die erste Stufe haben wir erfolgreich abgeschlossen: Unsere Teams betreuen zahlreiche Bestandskunden aus Europa vor Ort in Asien. Momentan sind wir dabei, unser Volumen hier zu erhöhen und das Neukundengeschäft vorzubereiten. Hierfür haben wir bereits Kontakte zu 200 potenziellen Neukunden etabliert. Unser Ziel ist es, dieses Jahr rund 30 bis 40 Prozent Neukunden in Asien zu gewinnen und unseren Umsatz zu verdoppeln.

Welche Märkte sehen Sie dabei als größte Wachstumsmärkte?

Das sind ganz ähnliche wie in Europa: Der am schnellsten wachsende Markt in China ist der Automotive-Markt, einerseits durch die steigende Anzahl produzierter Autos, andererseits durch den wachsenden Anteil an Elektronik in jedem Fahrzeug. Hier können wir viel Erfahrung einbringen, denn der Automotive-Sektor ist mit rund 40 Prozent traditionell sehr stark bei Rutronik. Alle Applikationen rund um das Thema Energie spielen in China ebenfalls eine große Rolle, teilweise auch durch die staatliche Förderung. Dazu gehört die Erzeugung erneuerbarer Energie genauso wie LEDs und die Elektromobilität. Großes Potenzial hat auch die Industrieelektronik, sowohl im Transfergeschäft als auch durch das Wachstum des chinesischen Mittelstands. Als weiteren Markttreiber sehe ich die Vernetzung unter dem Schlagwort „Internet of Things“.

Wie sehen Ihre weiteren Schritte in Asien aus?

Um den westchinesischen Raum komplett abzudecken, planen wir noch in 2012 die Eröffnung einer Niederlassung in Peking. Dieses Gebiet wird wirtschaftlich zunehmend wichtiger. Denn die Regierung unternimmt derzeit einige Maßnahmen, um den Schwerpunkt der Wirtschaft von der Küste ins Inland zu verlegen und so die Probleme zu lösen, die durch die Wanderarbeiterschaft entstanden sind. So sorgt der Staat beispielsweise dafür, dass sich in den Küstenregionen die Arbeitskraft verteuert und erhöht kurzfristig die Kosten für Strom, Gas oder Wasser massiv, um Investoren abzuschrecken. Mit unseren bestehenden Büros in Hongkong, Taipeh, Shenzen, Shanghai und Chengdu sowie der geplanten Niederlassung in Peking sind wir an den entscheidenden Orten präsent. So befinden sich z. B. viele große Medizinelektronik- und Automobilunternehmen im näheren Umfeld unserer Büros. Außerdem betrachten wir den südostasiatischen Raum als sehr vielversprechend. Diesen werden wir mit eigenen Niederlassungen in Singapur und Malaysia angehen. So folgen wir unserer Strategie, dorthin zu gehen, wo unsere Kunden sind.

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