Die moderne Leiterplattenbestückung ist dadurch charakterisiert, dass viele Bauteile unterschiedlicher Hersteller automatisiert in hoher Geschwindigkeit (oftmals mehr als 100.000 Bauteile je Stunde) auf einer Leiterplatte bestückt werden. Dabei ist mit einem hohen Datenaufkommen zu rechnen, da für jedes Bauteil der Einbauplatz und weitere für die Rückverfolgbarkeit relevante Daten erfasst werden. Zudem ist die Materialbestandsführung aufwändig, da elektronische Bauteile dynamischen Verfallzeiten (Moisture Sensitive Level, kurz MSL) unterliegen. Durch die diffusionsoffene Bauweise der Bauelemente reagieren sie empfindlich auf Feuchtigkeit, was beim Verarbeiten berücksichtigt werden muss. Der MSL gibt an, in welchem Zeitraum das Bauteil nach Öffnung der luftdichten Verpackung verbaut werden muss. Dies ist mit enormem Planungsaufwand verbunden - schließlich sollen die Verwurfskosten möglichst niedrig sein. Ohne softwareseitige Unterstützung ist eine effiziente Leiterplattenbestückung fast nicht möglich.
Unterstützende MES-Systeme
Ein Manufacturing Execution System schafft hierbei Abhilfe. Allerdings sind die Anbindung der Bestückungsautomaten und der damit verbundene Datenaustausch zwischen den hochtechnisierten Anlagen und dem MES-System alles andere als trivial. Um eine optimale Überwachung und Steuerung der Produktion zu erreichen, müssen die Daten in Echtzeit und in einem passenden Format mit dem MES ausgetauscht werden. Manufacturing Execution Systeme unterstützen Produktionsbetriebe durch das Erfassen und Auswerten fertigungsrelevanter Daten. Durch die vertikale Integration bilden sie die Brücke zwischen der Millisekunden-basierter Fertigung und dem langfristig planenden ERP-System. Der Austausch zwischen Produktionsebene und MES ist echtzeitfähig, um sowohl eingesetztes Material als auch aktuelle Maschinenstatus oder weitere Ressourcen wie Werkzeuge oder Personal stets aktuell im Blick zu behalten. Die horizontale Integration sorgt für eine schnittstellenfreie Verbindung aller Bereiche der Fertigung. Im Gegensatz zu Insellösungen, die aufwendig miteinander verknüpft werden müssen, bietet ein integriertes MES-System alles in einem: Die zentrale Datenhaltung ermöglicht eine beliebige Korrelation der Daten und einen ganzheitlichen Blick auf die Produktion.
Folgende Auszüge aus dem Anwendungsspektrum einer MES-Lösung verdeutlichen den Nutzen: Ein Fertigungsleitstand hilft der Arbeitsvorbereitung, die kommenden Aufträge auf die passende Maschinen zu planen und gleichzeitig zu prüfen, ob Personal, Werkzeug und Material für den geplanten Auftrag vorhanden sind. Material kann nicht nur im Lager, sondern auch einem Auftrag zugeordnet an einer Maschine erfasst werden. Dadurch ist die Rückverfolgung verwendeter Materialien möglich.
Ein MES-System macht die Produktion transparent, findet vorhandene Schwachstellen und hilft somit, die Prozesse in der Produktion zu optimieren. Grundsätzlich können MES-System in nahezu jeder Branche eingesetzt werden. Da die Leiterplattenbestückung zwar ein zentraler Prozess in der Elektronikfertigung ist, oft aber nicht ohne Zusammenspiel mit anderen Fertigungsschritten (zum Beispiel Spritzguss oder Metallverarbeitung) betrachtet werden kann, ist der Einsatz eines branchenübergreifenden MES-Systems dem einer Nischenlösung vorzuziehen. Nur so ist eine ganzheitlichen Fertigungsplanung und -steuerung möglich.
In der Elektronikfertigung muss ein MES-System mit folgenden Herausforderungen umgehen können: Eine Anbindung von Bestückungsautomaten an integrierte MES-Systeme haben bisher nur wenige Nischenanbieter realisiert und der korrekte Umgang mit dem empfindlichen Einsatzmaterial entscheidet über die Effizienz. Sowohl für die Abbildung der dynamischen Verfallzeiten als auch in Hinblick auf die Bestückung der Kommissionierwägen bis hin zur Rückverfolgbarkeit (Traceability) ist die Identifikation, Verwaltung und Auswertung von Material in der Elektronikindustrie ein entscheidender Faktor. Das optimale MES-System kombiniert übergreifende Standard-Funktionen und Anforderungen der Elektronikbranche, um die Prozesse in der Leiterplattenbestückung unterstützen zu können.
MSL und Kommissionierwägen
Der Moisture Sensitive Level (MSL) kann in der Bestandsüberwachung des MES als dynamische Verfallzeit eingebunden werden. Sobald die Verpackung eines kritischen Materials geöffnet wird, registriert das MES einen Zeitstempel und führt die betroffenen Teile in einer Verfallsliste. Somit kann die verbleibende Haltbarkeit kontinuierlich überprüft und in der Planung berücksichtigt werden. Wird ein definierter Zeitpunkt erreicht, informiert das Eskalationsmanagement den verantwortlichen Mitarbeiter per E-Mail oder SMS über den bevorstehenden Materialverwurf. Dies gibt ihm die Möglichkeit, das betroffene Material anders einzuplanen und somit unnötige Kosten zu vermeiden.
Beim Rüsten eines Kommissionierwagens ist zum einen die Bestandverwaltung mit den dynamischen Verfallzeiten zum anderen deren Korrelation zu den Aufträgen wichtig. Je nach Auftragsvorrat wird unterschiedliches Einsatzmaterial benötigt. Ein MES-System ermöglicht, die Verfügbarkeit des benötigten Materials über die Bestandsverwaltung zu prüfen und daraufhin geeignetes Material für die Kommissionierung freizugeben. Ein Kommissionierwagen wird zusätzlich sowohl mit einen Status als auch einem Lagerort versehen. Daraus ist ersichtlich, wo in der Halle sich dieser zur Zeit befindet bzw. an welchem Bestückungsautomaten diese Ressourcen aktuell angemeldet ist.
Auch der Zustand des Wagens ist daraus ersichtlich, zum Beispiel eine laufende Wartung. Die Instandhaltung kann über einen Aktivitätenkalender geregelt werden, der eventgesteuert (zum Beispiel nach Einsatzzeit) den Mitarbeitern die anstehende Wartung signalisiert. Dadurch wird Verschleiß minimiert und Maschinenstörungen vermieden.
Anbindung Bestückungsautomaten
Ein weitere Aufgabe, der ein MES-System in der Leiterplattenbestückung begegnet, ist die Anbindung von Bestückungsautomaten. Die Schnittstelle muss die im Automaten generierten Daten auslesen und zur weiteren Verarbeitung im MES aufbereiten. Am Beispiel der Rückverfolgbarkeit wird deutlich, welche Informationsprozesse ineinander greifen: Die Kommissionierwägen werden mit Rollen bestückt, Verbrauch und Zuordnung des Einsatzmaterials zum Einbauplatz wird im Bestückungsautomaten geregelt. Die Charge der Rolle und die Zuordnung zum Auftrag sind dem MES-System bekannt, die eindeutige Zuordnung des einzelnen Bauteils erfolgt erst mit Hilfe der ausgelesenen Daten aus dem Bestückungsautomat. Nur das Gesamtkonstrukt stellt die Rückverfolgbarkeit der einzelnen Bauelemente sicher, da die Teile im MES identifiziert und erfasst werden und auch der Einbauplatz aus den Daten des Bestückungsautomaten bekannt ist.
Von einer standardisierten Anbindung ist zu erwarten, dem MES-System den Zugang zu weiteren Informationen wie etwa Prozessdaten zu ermöglichen. Dabei sind der Feuchtigkeitsgehalt der Luft oder die Temperatur innerhalb des Bestückungsautomaten mögliche Parameter. Durch die Überwachung im MES-System können Bauelemente, die ungünstigen Umgebungsbedingungen ausgesetzt waren, rechtzeitig aussortiert beziehungsweise die Bestückung abgebrochen werden (Prozessverriegelung).
Auch in einem nachgelagerten Prozessschritt kann beispielsweise in einem Reflow-Lötofen die Temperatur überwacht werden, um sicherzustellen, dass die Bauelemente beim Löten nicht durch zu hohe Temperaturen beschädigt werden. Zudem leidet die Qualität der Lötstellen bei übermäßigen Temperaturschwankungen. Durch die Überwachung der Prozessdaten wird sichergestellt, dass die Bauelemente einwandfrei verarbeitet werden. Das reduziert Kosten und erhält den Qualitätsstandard.
Zusammenfassung
Die Elektronikbranche braucht die ausgewogene Kombination: Ein Standard-MES-System mit speziell auf die Elektronikindustrie abgestimmten Funktionalitäten. Eine Schnittstelle zu Bestückungsautomaten stellt sicher, dass die während des Bestückvorgangs entstandenen Daten vom MES ausgelesen und dort weiterverwendet werden können.
Damit sind Auswertungen korreliert zum Materialverbrauch nach Auftrag oder je Maschine erst durchführbar. Dadurch wird die Umsetzung spezieller Anforderungen wie MSL, die Verwaltung von Kommissionierwägen und die Rückverfolgbarkeit der Bauelemente überhaupt ermöglicht. Nur so kann eine effiziente Leiterplattenbestückung sichergestellt werden.