Musste die Nachhaltigkeit erst in den Fokus der Gesellschaft
rücken, damit die Industrie nachzieht, um keine schlechte
Außendarstellung zu haben?
Es ist eine Kombination, denn das Thema Nachhaltigkeit ist unseren Beobachtungen zufolge die letzten Jahre auch mehr und mehr in den Fokus der Unternehmen gerückt. Natürlich beschleunigen die jüngsten Ereignisse mit der Gasknappheit und den stark steigenden Energiekosten das Thema nochmals massiv. Nachhaltigkeit ist jetzt bei fast jedem Unternehmen „Chefsache“ geworden. Viele Firmen verpflichten sich auf eine CO2-Neutralität bis 2030 oder 2035 und benötigen dafür Maßnahmen und verfügbare Technologien. Wir bei ABB predigen die Vorteile von energieeffizienten Antriebslösungen schon seit vielen Jahren. Und oft sagte dann ein Techniker „das ist ja interessant“ und der Einkäufer aber „ist mir zu teuer, lieber das Produkt mit den geringeren Beschaffungskosten“. Diese Diskussion hat sich nun stark geändert, denn es wird auf die Gesamtbilanz geschaut.
Müssen große Konzerne wie ABB bei Nachhaltigkeitsstrategien auch in Vorleistung gehen, um eine „Sogwirkung“ in der Industrie auszulösen?
Absolut und das ist mit der Grund, warum wir 2021 die Energieeffizienz-Initiative ins Leben gerufen haben. Hier zeigen wir, welche Energieeinsparpotenziale schon jetzt mit vorhandener Technologie möglich sind. Wir sehen uns als ABB in der Position eines Vorreiters, sagen aber auch, wir müssen Mitstreiter aus der Industrie und Politik gewinnen, um das breite Verständnis für die Möglichkeiten zu schaffen. Wir haben die Werkzeuge in der Hand. Wir brauchen aber noch ein paar mehr Hände, die die Werkzeuge dann auch wirklich nutzen.
Wie hoch schätzt ABB die Investitionsbereitschaft der deutschen Industrie in nachhaltige und energieeffiziente Lösungen derzeit ein?
Die Ampel steht auf Grün. Die Unternehmen sind bereit, in großem Maße in Energieeffizienz zu investieren. Wir haben im Februar dieses Jahres eine Studie durchgeführt, die zeigt, dass 98 Prozent der Befragten aus der deutschen Industrie bereits in eine effizientere Energienutzung investieren oder die Umsetzung derzeit konkret planen.
Sind die Gründe für die Investitionen jetzt ganz klassisch die steigenden Energiekosten und somit Rentabilität?
Kosteneinsparungen sind durch den direkt spürbaren Einfluss auf die Betriebskosten im Unternehmen natürlich der primäre Grund. Aber auch das grundsätzliche Bekenntnis zur Nachhaltigkeit treibt die Industrieunternehmen mehr denn je an und erhöht die Investitionsbereitschaft. Welche Energieeinsparungen erreiche ich in der eigenen Produktion, welche Effizienzgewinne hat der Kunde mit meinem Produkt, wie bleibe ich durch energieeffiziente Lösungen attraktiv beim Kunden und wettbewerbsfähig? Diese Themen sind nun ganz oben auf der Agenda. Nachhaltigkeit zieht sich also erfreulicherweise durch die komplette Wertschöpfungskette. Wurde in der Vergangenheit die Nachhaltigkeit oft noch als idealistische Idee abgetan, so sind wir mittlerweile in eine Situation gekommen, wo Handeln ein Muss ist. Wenn ich mit meinem Unternehmen wettbewerbsfähig bleiben will, wenn ich als Unternehmen überleben und weiterhin einen Wert generieren möchte, dann muss ich auf das Thema Nachhaltigkeit eine Antwort haben.
Und woran hapert es, wenn Industrieunternehmen dennoch zögerlich sind mit Investitionen in Energieeffizienzmaßnahmen?
Mehr als die Hälfte der Teilnehmer unserer Studie glauben, dass sie der Umstieg auf neue energieeffiziente Technologien zu viel Geld kostet. Weitere 42 Prozent betrachten die Ausfallzeiten in der Produktion als Hindernis, um beispielsweise auf energieeffiziente Antriebstechnik umzurüsten. Und rund ein Drittel der Befragten gaben als Herausforderung ein mangelndes Verständnis für die Technologien an, die zur Steigerung der Energieeffizienz führen können. Wir glauben, dass all diese Themen lösbar sind, es gibt keine wirklichen „Showstopper“. Es ist nur weiterhin viel Aufklärungsarbeit und Beratungsleistung notwendig. Wenn wir mit Kunden in Projekten sind und ihnen den Return on Investment aufzeigen können, dann sind viele überrascht, wie schnell sich die Anschaffungskosten durch die geringeren Energiekosten amortisieren. Und weil die Energiekosten derzeit leider nur eine Richtung kennen, werden Investitionen noch viel attraktiver.
Satte 45 Prozent des gesamten Stroms werden heute von Motoren in Gebäuden und Industrieanwendungen verbraucht. Lassen sich also „Quick Wins“ mit einer Halbierung des Energiebedarfs sehr einfach mit smarter Antriebstechnik erzielen?
Die Technologie gibt das her! Natürlich hängt es von der Applikation ab. Sehr großes Potenzial herrscht üblicherweise bei Antrieben mit großen Leistungen von mehreren 100 Kilowatt. Wenn hier der oft überdimensionierte Motor nur im Teillastbetrieb läuft, und das auch noch ohne Frequenzumrichter, so ermöglicht ein modernes Antriebspaket Effizienzsteigerungen von bis zu 50 Prozent. Wir sehen auch, dass weltweit nur jeder vierte Motor von einem Frequenzumrichter angetrieben wird. Durch Installation eines Frequenzumrichters können Sie den Stromverbrauch in der Regel um 25 Prozent senken – bei jeder Effizienzklasse der angetriebenen Motoren. Das allein zeigt bereits, welches Potenzial die Antriebstechnik auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit bietet.
Bieten hocheffiziente Motoren und Frequenzumrichter auch im Vergleich zu anderen Technologien das größte Potenzial für Energieeinsparungen?
Es ist sicherlich einer der wichtigsten Hebel. Wir haben bei ABB eine interessante Abschätzung gemacht: Würde die komplette installierte Basis an Elektromotoren durch hocheffiziente Antriebstechnik ersetzt, so sinkt der weltweite Stromverbrauch schlagartig um 10 Prozent. Das ist massiv! Doch damit sind wir noch nicht fertig. Denn sehr häufig sind sowohl die Motoren als auch Frequenzumrichter überdimensioniert für das, was sie in der Applikation leisten müssen. Es gibt also weiteres Potenzial!
Verhindert hier insbesondere die Digitalisierung eine Überdimensionierung der Produkte und somit eine schlechte Energieeffizienz?
Gerne haben Anwender die Antriebstechnik immer etwas überdimensioniert ausgelegt, damit genügend Leistungsreserven zur Verfügung stehen. Durch digitale Services wie „ABB Ability Digital Powertrain
Energy Appraisal“ wissen wir aber genau, welche Anforderungen die individuellen Prozesse einer Applikation an die Antriebstechnik stellen. So können wir unseren Kunden perfekt zugeschnittene Lösungen anbieten – ohne leistungshungrige Überdimensionierung. Das spart nicht nur Energie im Betrieb, sondern hat für den Kunden auch den schönen Nebeneffekt, dass kleiner dimensionierte Antriebe günstiger in der Anschaffung sind. Und das ist nur ein Aspekt der vielfältigen Vorteile der Digitalisierung der Antriebstechnik.
Bis 2040 wird sich die Zahl der Elektromotoren laut ABB verdoppeln. Heißt das nicht auch, die Energieeinsparungen durch hocheffiziente Antriebstechnik wird durch die zunehmende Anzahl an Motoren mehr als wieder zunichte gemacht?
Die Anzahl der Elektromotoren wird durch die Megatrends der Elektrifizierung, Urbanisierung und Automatisierung zweifelsohne steigen. Die Frage ist daher, was würde passieren, wenn dies ohne hocheffiziente Antriebstechnik passieren wird! Deswegen leistet hocheffiziente Antriebstechnik künftig einen noch wichtigeren Beitrag, um Energie einzusparen. Bei der Diskussion dürfen wir auch nicht vergessen, dass etwa bei schweren Nutzfahrzeugen die elektrische die fossile Antriebstechnik zunehmend verdrängt und sich so auch der CO2-Ausstoß verringert.
Wenn es immer mehr elektrische Antriebstechnik wird, machen Sie sich dann auch zunehmend Gedanken in Richtung Kreislaufwirtschaft, Rücknahme alter Produkte, Wiederverwertung der Materialen?
Das ist ein absolut wichtiger Aspekt! Unser Ziel im Rahmen der eigenen Nachhaltigkeitsstrategie ist es, 80 Prozent unsere Produkte bis 2030 unter ein Kreislaufkonzept zu bekommen. Schon in der Entwicklung neuer Produkte muss auf die leichte Wiederverwendbarkeit der einzelnen Komponenten und Materialien geachtet werden. Dieses ganzheitliche Thema betrifft aber auch die Logistik sowie die Fertigungsverfahren. Diese Verpflichtung gilt für alle Bereiche bei ABB.
Müssen wir aus Gründen der Materialknappheit und Energieaufwand in der Produktion auch viel nachhaltigere und langlebigere Produkte bauen?
Ein klassischer Industriemotor ist ein sehr langlebiges Produkt und hält locker 20 bis 30 Jahre. Es stellt sich damit die Frage, ob ich die ineffizienten Motoren meiner Anlage die nächsten Jahre weiter betreibe, oder elektrische Energie als ein knappes und teures Gut betrachte. Ist es also ganzheitlich betrachtet nicht doch nachhaltiger, auf eine moderne und energieeffiziente Lösung zu setzen, obwohl diese auch erst produziert werden muss? Aus meiner Sicht stellt sich diese Frage nicht, denn wir müssen mit vollem Fokus an neuen Lösungen arbeiten, um das ganze Problem der Energieverschwendung zu adressieren. Wenn wir dabei wie vorher erwähnt immer auch verpflichtend an die Wiederverwendung der alten Materialien denken, können alle nur gewinnen.
Wie sieht eigentlich ABBs eigener Weg hin zur Klimaneutralität aus? Welche Maßnahmen treffen Sie in Ihrer Produktion für mehr Ressourcenschonung?
Wir sind auf einem sehr guten Weg auf unserem Ziel der CO2-Neutralität bis 2030. Wir wären unglaubwürdig, würden wir das nicht erfolgreich vorleben. Wir nutzen in den eigenen Fertigungsbetrieben natürlich auch unsere Lösungen. Das fängt bei Energieversorgung und Energiemanagement an, geht über unsere hocheffiziente Antriebstechnik und Automatisierungslösungen bis hin zu Beleuchtungssystemen. ABB Deutschland bezieht bereits ausschließlich grünen Strom. Wir haben mit Busch-Jaeger in Lüdenscheid schon einen ersten Standort, der zu 100 Prozent CO2-neutral aus verschiedensten grünen Energiequellen versorgt wird – und dabei nahezu völlig autark agiert.