Fachbeitrag Kontaktlos auf Kurs

08.03.2012

Um seine bestehenden und zukünftigen Traktorserien flexibler zu gestalten und Arbeitsschritte in die Vormontage zu verlagern hat John Deere den Prozessablauf und Materialfluss in seinem Werk in Mannheim neu gestaltet. Das Highlight der Modernisierung ist ein fahrerloses Transportsystem mit berührungsloser Energieübertragung.

185 Traktoren verlassen täglich das John-Deere-Werk in Mannheim. Es laufen vier Grundmodelle von Traktoren auf dem Hauptband, die Fertigung geht dabei aber auf individuelle Wünsche der Kunden ein und realisiert die entsprechenden Modelloptionen. Als die Produktion durch neue Modellreihen erweitert werden sollte, nahm John Deere dies zum Anlass, auch den Prozessablauf bei der Montage zu verändern. Um mehr Montageschritte vom Hauptband in die Vormontage zu verlagern, musste auch der Materialfluss neu organisiert werden. Eine wesentliche Rolle spielt dabei jetzt ein fahrerloses Transportsystem (FTS) von SEW-Eurodrive.Bislang wurden die Fahrzeugrahmen montiert, anschließend auf das Hauptband gesetzt und einige Stationen weiter mit dem Getriebe verheiratet. Nach der Produktionsumstellung erfolgt die Hochzeit nun früher. „Wir nehmen den Rahmen aus der Farbgebung raus und verheiraten dann das Getriebe mit dem Rahmen“, erläutert Ralf Mayer, Business Unit Manager in der Endmontage. „Nach weiteren Vormontagen am Hauptrahmen setzten wir dann ein komplettes Chassis-Modul - das heißt einen Hauptrahmen mit Getriebe und Vorderachse - auf das Hauptband.“ Der Vorteil dieser Umstellung: die Mitarbeiter erstellen eine Komponente die in ihrer Gesamtheit fast fertig ist. Die Arbeit erfolgt innerhalb einer Gruppe. Es ist also keine Abstimmung mehr zwischen verschiedenen Gruppen nötig. Dies ermöglicht eine höhere Produktivität und geringere Kosten. Bevor die reale Umstellung im Betrieb erfolgte, wurde die Anlage mit allen gewünschten Anforderungen simuliert. Dazu definierte der OEM mit SEW-Eurodrive die Funktionen der Anlage. Weil ein FTS aus Komponenten und Teilsystemen unterschiedlicher Hersteller besteht und auch die Vorgaben bezüglich der mechanischen und elektrischen Anschlüsse sowie den IT-Schnittstellen zu den umgebenden Systemen einhalten muss, wurden die Verantwortungen bei der Software-Entwicklung klar getrennt. SEW-Eurodrive war für das Streckenverhalten der Fahrezeuge verantwortlich. Der OEM hingegen verantwortete, welche Aufgaben sie dabei erledigen sollen: die Kopplung an die Produktionseinrichtungen, zum Beispiel der Fahrzeugabruf, die Weiterfahrt nach Freigabe oder das Warten auf Produktionseinrichtungen.

Neuer Ablauf der Logistik

Die fahrerlosen Fahrzeuge werden für den Transport der Einheit Getrieberahmen im Taktbetrieb entlang eines Fahrkurses eingesetzt - von der Aufgabestelle über die Vormontagelinie zur Abgabestation. Während des Transports erfolgt die Montage von Getriebe und Rahmen sowie von mehreren optionalen Baugruppen nach Kundenwunsch. Das FTS ist jeweils für eine maximale Zuladung von 4700 Kilogramm ausgelegt. Zunächst kommen die fertig montierten Getriebe aus einem Nebengebäude zur Montage. Dazu werden sie mit einem Überflurförderer transportiert und anschließend auf den Transportsystemen abgesetzt. Hierfür sind die Fahrzeuge mit einer Aufnahmevorrichtung ausgestattet. Sie besteht aus einem Grundgerüst, sowie speziellen Adaptern, die sich je nach Getriebevariante unterscheiden. Anschließend wird der Hauptrahmen mit Vorderachse per Kran auf dem Fahrzeug abgelegt und mit dem Getriebe verbunden. Die Montage der Einheit Getrieberahmen erfolgt nach dem One-Piece-Flow-Prinzip. An der nächsten Station werden die Vorderachsen mit Rahmen, die aus Farbgebung kommen und dem Getriebe verheiratet.

Die Technik im Transportsystem

Dann bewegen sich die Fahrzeuge im Taktbetrieb im Uhrzeigersinn weiter. In der Schraubstation erfolgt der weitere Ausbau. In der Fahrstrategie wurden Stationen definiert, an denen die Mitarbeiter - je nach Modell und Optionen - variable Zeitfenster haben, um ihre Arbeit zu erledigen. Weil die Arbeiten vorn, in der Mitte oder hinten am FTS beidseitig durchgeführt werden, sind an mehreren Stellen am Fahrzeug Quittierungsschalter angebaut. Sobald der Mitarbeiter seine Arbeit erledigt hat, betätigt er einen Tretschalter. Dann fährt das automatische Transportsystem entlang der Strecke zur nächsten Montagestation. Das passiert im Schnitt alle drei Minuten. Um die Personensicherheit zu gewährleisten, erfasst ein Bewegungssensor Mitarbeiter, die sich möglicherweise auf der Fahrbahn befinden. Je nach Abstand reduziert das Fahrzeug dann seine Geschwindigkeit oder bleibt stehen. Am Ende der Vormontage nimmt ein Kran die fertige Einheit ab und setzt sie auf das Hauptmontageband. Hier werden die Motoren angebaut sowie der Tank. Danach findet auf dem Quertransfer die Hochzeit von Chassis und Kabine statt. Nach der Übergabe fahren die Leerwagen zurück an den Anfang des Fahrkurses. Die komplette gelieferte System von SEW-Eurodrive umfasst die Fahrzeuge, zwei Energieeinspeisekreise und vier Kommunikationskreise. Die Energie- und Kommunikationskreise sind zu einem geschlossenen Fahrkurs angeordnet und fest im Boden verlegt. Die Energieeinspeisung erfolgt mit dem Einspeisesteller Movitrans und dem Anschaltmodul Movitrans TAS10A. Die Gesamtlösung beinhaltet mehrere Teilsysteme: die Subsysteme Fahrzeug, die Energieversorgung, Kommunikation und Positionierung. Das Fahrzeug wird über die Linienleiter und den am Fahrzeug vorhandenen Übertragerkopf nach dem Prinzip der induktiven Energieübertragung kontaktlos mit Energie versorgt. Zwei Antennen am Fahrzeug empfangen die Informationen und geben diese an die dezentrale Antriebs- und Steuereinheit Movirpro auf dem Fahrzeug weiter. Ein Bediengerät - Local System Interface - dient zur Visualisierung der Daten an der Strecke und zur Quittierung der Fehlermeldungen Not-Aus. Für die Inbetriebnahme und Parametrierung des Systems wird das Parameter- und Diagnose-Tool Movivision verwendet. Die Fahrwagenkoordination erfolgt mit dem Segment-Controller. Er unterteilt den Fahrkurs in verschiedene Segmente. Für jedes Segment wird mit einem Access Point und angeschlossenem Leckwellenleiter die Information auf der Strecke zur Verfügung gestellt. Bei diesen Leitern für elektromagnetische Wellen tritt die Energie nicht nur an den Enden, sondern auch entlang der gesamten Leiterlänge ein- und aus. Der Leckwellenleiter ist fest im Boden verlegt.

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