Interview über die Elektrifizierung von Nutzfahrzeugen „Längere Lebensdauer, geringere Betriebskosten, nachhaltiger“

ABB AG

Jonas Horstmann, Sales and Business Development Specialist Traction & Mobile e-Power bei ABB Motion: „Bei Nutzfahrzeugen ist die Elektrifizierung durch Retrofitting doppelt nachhaltig und auch noch sehr wirtschaftlich.“

Bild: ABB
27.08.2024

Die technologischen Möglichkeiten der Elektrifizierung von Nutzfahrzeugen sind deutlich vielfältiger als bei Automobilen, denn auch die Einsatzszenarien sind sehr unterschiedlich. Jonas Horstmann, Sales and Business Development Specialist, Traction & Mobile e-Power bei ABB Motion, erläutert im Interview mit A&D, wie die Elektrifizierung nicht nur die CO2-Emissionen drastisch senken kann, sondern auch wirtschaftliche Vorteile und höhere Effizienz für Unternehmen bringt.

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Welche grundsätzlichen technologischen Elektrifizierungsmöglichkeiten gibt es eigentlich für Nutzfahrzeuge?

Die Elektrifizierungsmöglichkeiten für Nutzfahrzeuge sind sehr vielfältig und umfassen sowohl hybride als auch vollelektrische Antriebsansätze. Schwere Nutzfahrzeuge erfordern aufgrund ihrer diversen Einsatzmöglichkeiten häufig besondere Technologien. Neben dem rein batterieelektrischen Betrieb ist daher auch der direkte Netzanschluss ein Ansatz, bei dem das Fahrzeug über ein Kabel oder eine Oberleitung mit Strom versorgt wird. Letzteres ist vergleichbar mit elektrischen Zügen, die mit Oberleitungen fahren und gleichzeitig Batterien nutzen können, wenn Teile der Strecke nicht elektrifiziert sind. Eine weitere Möglichkeit ist die Verwendung von Brennstoffzellen, die besonders für größere Nutzfahrzeuge geeignet sind, bei denen die Reichweite entscheidend ist, oder wenn die Ladeinfrastruktur schwierig zu realisieren ist. Eine Übergangslösung ist der dieselelektrische Antrieb, bei dem ein Dieselmotor einen Generator antreibt, der elektrische Energie für den Antrieb liefert. Dies ermöglicht es, den Dieselmotor stets im optimalen Drehzahlbereich laufen zu lassen, was den Kraftstoffverbrauch und die Emissionen reduziert.

Brauchen wir bei Nutzfahrzeugen also mehr Technologieoffenheit im Vergleich zu E-Autos, weil sich die Anwendungsfälle stark unterscheiden?

Absolut. Im Straßenbau zum Beispiel bewegen sich Baustellenfahrzeuge kontinuierlich, was die Bereitstellung von Lademöglichkeiten schwierig macht. Im Gegensatz dazu fahren Fahrzeuge im Bergbau oft die gleiche Strecke, was den Einsatz von Oberleitungen zum Laden während der Fahrt ermöglicht. Einige Nutzfahrzeuge im Materialumschlag, die sich kaum bewegen, können direkt über Kabel mit Strom versorgt werden. Diese unterschiedlichen Einsatzbedingungen erfordern maßgeschneiderte technologische Lösungen, die den spezifischen Anforderungen gerecht werden.

Haben Sie konkrete Zahlen, welche CO2-Einsparungen durch die Elektrifizierung von Nutzfahrzeugen erzielt werden können?

Ein Beispiel ist ein in der Türkei von ABB umgerüsteter Muldenkipper, der etwa 85 t Nutzlast transportieren kann. Durch die Umstellung von Diesel- auf Elektroantrieb spart dieses Fahrzeug jährlich etwa 100.000 l Kraftstoff ein, was einer Reduktion von 245 t CO2 entspricht. Das ist der jährliche Ausstoß von 58 benzinbetriebenen PKWs. Hier zeigt sich bereits das enorme Einsparpotenzial bei der Elektrifizierung von schweren Nutzfahrzeugen. Und das Beispiel war jetzt nur ein Muldenkipper mittlerer Größe, es gibt auch Modelle mit bis zu 400 t Nutzlast.

Nutzfahrzeuge arbeiten unter hoher Last. Wie effizient sind elektrische Antriebsstränge im Vergleich zu Dieselaggregaten?

Elektrische Antriebe haben einen deutlich höheren Wirkungsgrad als Diesel- oder Benzinmotoren. Während Verbrennungsmotoren einen Wirkungsgrad zwischen 33 und 45 Prozent erreichen, können Elektromotoren Wirkungsgrade von über 95 Prozent erzielen. Zudem ermöglicht die Rekuperation, also die Rückgewinnung von Bremsenergie, eine zusätzliche Effizienzsteigerung. Ein bedarfsabhängiger elektrischer Antrieb von Hilfsaggregaten reduziert zudem die Verluste, die durch den permanenten Betrieb von Hydraulikpumpen bei herkömmlichen Systemen entstehen. Dies führt zu einer signifikanten Verbesserung der Gesamtenergiebilanz bei Maschinen wie Baggern und Kranen.

Können Sie Beispiele für Anwendungen nennen, bei denen Rekuperation besonders effektiv ist?

Rekuperation ist besonders effektiv bei Bergbau-Muldenkippern, die bergab fahren und dabei Energie zurückgewinnen können. Auch Hebeanwendungen wie Krane profitieren von der Rekuperation, da sie beim Absenken von Lasten Energie speichern können. Jede Anwendung erfordert jedoch eine individuelle Betrachtung, um den Nutzen der Rekuperation zu beurteilen. Es ist wichtig, die spezifischen Einsatzbedingungen zu analysieren und die Systeme entsprechend auszulegen, um die maximale Energieeffizienz zu erreichen.

Lassen sich vorhandene Nutzfahrzeuge eigentlich leicht auf E-Mobilität umrüsten, also retrofitten, denn die Lebenszyklen sind ja hier sehr lang?

Das Retrofitting funktioniert in der Tat sehr gut! Denn wie Sie sagen, haben insbesondere Nutzfahrzeuge oft eine lange Lebensdauer. Bei dem bereits erwähnten Elektrifizierungsprojekt in der Türkei haben wir einen 30 Jahre alten Muldenkipper von Diesel auf Elektroantrieb umgerüstet. Das Fahrzeug kann somit noch viele Jahre weiter genutzt werden. Retrofitting bietet eine wirtschaftliche und umweltfreundliche Möglichkeit, bestehende Flotten zu elektrifizieren – ohne in neue Fahrzeuge investieren zu müssen. Man kann also sagen, bei Nutzfahrzeugen ist die Elektrifizierung doppelt nachhaltig und auch noch sehr wirtschaftlich.

Begleitet ABB die komplette Elektrifizierung von Nutzfahrzeugen, inklusive Antriebe, Steuerungstechnik und Akkutechnologie?

Ja, wir bieten ein umfassendes Portfolio an, das Frequenzumrichter, Motoren und Hochleistungsbatterien umfasst, die speziell für schwere Nutzfahrzeuge entwickelt wurden. Darüber hinaus verfügen wir auch über Fahrzeugsteuerungen, Kabelschutz und Ladeinfrastruktur. Unsere Lösungen sind modular aufgebaut, um den spezifischen Anforderungen unserer Kunden gerecht zu werden. Wir bieten diese von einigen Kilowatt bis hin zu den höchsten Fahrzeugleistungen. Selbstverständlich sind unsere Motoren und Umrichter für raue Einsatzbedingungen ausgelegt und bieten hohe Effizienz und Zuverlässigkeit. So nutzen unsere AMXE-Motoren die Synchronreluktanztechnik kombiniert mit Permanentmagneten, um eine noch höhere Effizienz und Kompaktheit zu erreichen. Unsere Batterien sind skalierbar und können durch serielle und parallele Verschaltungen an spezifische Leistungs- und Kapazitätsanforderungen angepasst werden. Zudem entwickeln wir kontinuierlich neue Technologien, um die Effizienz weiter zu steigern. Der HES580-Frequenzumrichter mit 3-Level-Invertertechnologie halbiert die Größe der Schaltstufen, reduziert die Stromwelligkeit und verlängert die Lebensdauer des Motors.

Gerade bei schweren Nutzfahrzeugen ist Zeit Geld. Ladepausen kann sich kaum jemand leisten, weil hier in 8-Stunden-Schichten oft agiert wird. Gibt es hier also keine „Reichweitenangst“, sondern eine „Ladeausfallzeitangst“?

Natürlich liegt der Fokus oft darauf, die Ladeausfallzeiten zu verringern. Daher ist es wichtig, die Ladezeiten in den Betriebsprozess zu integrieren. Hochleistungsbatterien ermöglichen schnelles Laden, und wir arbeiten an Lösungen, die das Laden während der Fahrt oder in geplanten Standzeiten ermöglichen. Ein Beispiel sind Elektrobusse, die bei Haltestellen mit hoher Leistung geladen werden. Solche Ansätze können auch bei anderen Nutzfahrzeugen angewendet werden, um die Produktivität zu maximieren und die Standzeiten zu minimieren. Dafür entwickelt ABB automatisierte Ladelösungen, die die Ladezeiten weiter reduzieren und die Betriebsabläufe optimieren. Unsere Traction-Batterien können beispielsweise in nur zehn Minuten bis zu 80 Prozent ihrer Kapazität laden, was einen erheblichen Vorteil im täglichen Betrieb darstellt.

Das sind erstaunlich kurze Ladezeiten mit nur zehn Minuten. Was zeichnet die ABB-Batterietechnologie aus?

Wir setzen bei unserer ABB Traction Batterie auf Lithiumtitanat. Damit erreichen wir eine besonders hohe Leistungsdichte und eine lange Lebensdauer von bis zu 40.000 Ladezyklen. Diese Batterien sind ideal für Anwendungen, die eine hohe Performance erfordern, wie eben schwere Nutzfahrzeuge und Elektrobusse. Sie bieten aufgrund ihrer technischen Eigenschaften und der deutlich längeren Lebensdauer auch wirtschaftliche Vorteile gegenüber den in Automobilen verbauten Lithium-Ionen-Batterien. Zudem haben unsere Lithiumtitanat-Batterien eine bessere thermische Stabilität und Sicherheit, was sie besonders robust und langlebig macht.

Durch die Individualität von Nutzfahrzeugen wird die Elektrifizierung auch mit hohen Kosten im Vergleich zum Massenmarkt PKWs verbunden sein. Wie sehr bremst das die Umsetzung, wie kann ABB hier argumentieren?

Trotz der höheren Initialkosten bietet die Elektrifizierung langfristig wirtschaftliche Vorteile wie geringere Betriebskosten und verbesserte Produktivität. Unser modulares Baukastensystem ermöglicht es, maßgeschneiderte Lösungen effizient zu entwickeln, was die Kosten senkt. Außerdem bieten elektrische Komponenten oft eine höhere Effizienz und Lebensdauer. Durch die Reduzierung der Treibhausgasemissionen und die Einhaltung von Umweltvorschriften können zusätzliche Kosten vermieden werden. ABB setzt auf innovative und robuste Technologien, die den hohen Anforderungen von Nutzfahrzeugen gerecht werden und somit eine nachhaltige Investition darstellen. Langfristig betrachtet führt die Elektrifizierung zu einer Reduzierung der Gesamtbetriebskosten, da elektrische Antriebe weniger Wartung erfordern und die Energiekosten niedriger sind. Zudem profitieren die Unternehmen von einer verbesserten Umweltbilanz und können sich einen Wettbewerbsvorteil sichern.

Für welche Nutzfahrzeuggattungen bietet ABB bereits fertige Lösungen an?

Unsere Lösungen sind für eine Vielzahl von Anwendungen geeignet, darunter Bergbau, Materialumschlag, Baufahrzeuge und Elektrobusse. Auch in der Land- und Forstwirtschaft können unsere Komponenten eingesetzt werden. Unsere Technologien sind so flexibel, dass sie sich an fast alle Nutzfahrzeugtypen anpassen lassen. Beispielsweise haben wir im Bergbau bereits erfolgreich elektrische Antriebe für Muldenkipper und andere schwere Maschinen implementiert. Auch im Bauwesen, bei Baggern und Radladern, haben sich unsere Lösungen bewährt. Ein weiteres Beispiel sind Elektrobusse, bei denen unsere Systeme für hohe Zuverlässigkeit und Effizienz sorgen.

Warum sollten sich Kunden an ABB wenden, wenn es um die Elektrifizierung von Nutzfahrzeugen geht?

ABB verfügt als einer der wenigen Hersteller über das komplette Portfolio an elektrischen Antriebskomponenten aus einer Hand. Mit über 130 Jahren Erfahrung im Bau von Motoren und Frequenzumrichtern haben wir das nötige Know-how, um für jede Anwendung die passende Lösung zu entwickeln. Unsere innovativen und zuverlässigen Lösungen bieten den Kunden Mehrwert und helfen ihnen, langfristig Kosten zu sparen – denn unsere elektrischen Antriebe sind nicht nur effizienter, sondern auch zuverlässiger und wartungsärmer. Neben den technischen Lösungen bieten wir auch umfassende Dienstleistungen wie Beratung, Implementierung und Support, um sicherzustellen, dass unsere Kunden die bestmöglichen Lösungen erhalten. Dank unserer modularen und skalierbaren Systeme können wir kosteneffizient maßgeschneiderte Lösungen liefern, die den jeweiligen spezifischen Anforderungen gerecht werden.

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