Johannes Pfeffer war mit diesem Beitrag im A&D-Kompendium 2019/2020 als einer von 100 Machern der Automation vertreten.
Um ein Unternehmen, das seit knapp 80 Jahren mechatronische Qualitätsprodukte entwickelt und produziert, in diese Denkwelt zu bringen, mussten wir im Managementteam zunächst selbst lernen, was wirklich hinter den Schlagworten steht. Wir mussten konkrete Hypothesen entwickeln, welche Technologien sich in den verschieden industriellen Vertikalmärkten durchsetzen – und welche eher nicht. Wir mussten die echten Perlen identifizieren und die vielen Mythen, die sich um die Digitalisierung der Automatisierungswelt ranken, entzaubern.
Unsere drei Erkenntnisse
Ein erster Blick, den dabei alle Unternehmen machen müssen, gilt der Überprüfung der aktuell gelebten Automatisierung in den eigenen Werken. Wir hatten teilweise bei EBM-Papst durch das rasante Wachstum der letzten Jahre versäumt, die neu aufgebauten automatisierten Fertigungslinien wirklich sauber einzufahren und kontinuierlich zu verbessern. Die daraus resultierenden Folgekosten waren so hoch, dass sie die künftigen Einsparungen nahezu jeder „digitalen“ Idee um ein Vielfaches übersteigen. Erkenntnis 1: Erst kommt die Pflicht, dann die Kür!
Der zweite Blick sollte dann ein wirklich nüchterner Blick auf die Chancen und Risiken der einzelnen Ansätze der digitalisierten und vernetzten Welt sein. Während in vielen Bereichen unseres privaten Lebens das Internet der Dinge längst Realität ist, springen industriell geprägte Unternehmen darauf nur an, wenn ein klarer ROI bei beherrschbaren IT-Risiken vorliegt. Erkenntnis 2: Es ist nicht alles Gold, was glänzt!
Noch ein Mythos, den wir entlarven wollten: Alle definieren sich plötzlich als Lösungsanbieter. Was ist aber eigentlich ein Lösungsanbieter und welche Fähigkeiten braucht er? Lösungen sind immer dann gefordert, wenn die Aufgabenstellung komplett neu ist, wenn es noch keine Standardmuster und -antworten gibt. Für echte Lösungsanbieter ist die Welt komplex, da die Antworten auf die Aufgabenstellungen in sehr kurzer Zeit gefunden werden müssen, was spezielle Unternehmenskompetenzen erfordert. Unsere „Lösungsmenge“ haben wir so zusammengefasst: Erkenntnis 3: L = {Kundennähe; Kreativität; Reaktionsschnelligkeit}.
Vier Aspekte unserer Unternehmensausrichtung
Über solche Grundüberlegungen haben wir uns folgende Fragen zu der zukünftigen Unternehmensausrichtung gestellt:
In unserer eigenen operativen Welt werden zuerst alle Automatisierungsprojekte so weit optimiert, dass überhaupt an weiterführende Schritte gedacht werden kann.
In der Interaktion mit unseren Kunden wollen wir selbst kein Digitalisierungschampion sein und eigenständige digitale Gesamtlösungen anbieten. Wir wollen Produkte anbieten, die in der Lage sind, die Digitalisierungsstrategien unserer Kunden zu befähigen.
Wir wollen dabei ein echter Lösungsanbieter sein, der reaktionsschnell und nahe am Kunden dessen völlig neue Herausforderungen adressiert.
Das heißt aber auch, dass wir uns in unserem strategischen Radius fokussieren müssen. Wir können nicht auf allen Hochzeiten tanzen, weniger ist mehr!
Diesem Muster folgend definierten wir in Summe vier Marktfelder, die wir strategisch priorisieren: Intralogistik und mobile Assistenzsysteme, allgemeiner Maschinenbau, Zugangskontrolle und Medizintechnik. In jedem dieser Felder haben wir unsere Überlegungen und Ausrichtungen sehr eng und transparent mit einer kleinen Anzahl von Schlüsselkunden abgestimmt. Alle haben unisono diesen ungewöhnlich offenen Umgang begrüßt und uns für den Win-Win-Ansatz gedankt.