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Smart Traffic & Mobility Nagelprobe für Car-to-X


Wirtschaftlich sinnvoll, aber teuer: Fahrzeuge, die mit ihrer Umgebung kommunizieren, können Unfälle verhindern.

29.08.2013

Die theoretischen Potenziale der Kommunikation zwischen Fahrzeug und Infrastruktur sind hinreichend beschrieben. Der aufwendige Feldversuch „SimTD“ hat nun nachgewiesen, dass das Konzept auch in der Praxis funktioniert.

Für jeden Euro, den die Gesellschaft in Car-to-X-Technologien investiert, erhält sie acht Euro zurück, beschreibt VDA-Technikgeschäftsführer Dr. Ulrich Eichhorn ein Investment, das sich auszahlen könnte. Denn die Vernetzung von Fahrzeugen und Infrastruktur führt zu weniger Staus, weniger Unfällen und geringerer Umweltbelastung. Die Gesamteinsparung bei flächendeckender Ausrüstung soll allein in Deutschland 11,5 Milliarden Euro betragen. Um solche Hochrechnungen valide erstellen können, muss die zugrunde liegende Technologie zunächst einmal getestet werden. Genau dies erfolgte in dem seit Sommer 2013 abgeschlossenen Verbundforschungsvorhaben SimTD (Sichere intelligente Mobilität - Testfeld Deutschland). Mit einem Gesamtvolumen von 69 Millionen Euro gehört SimTD zu den größten Gemeinschaftsvorhaben, die die Automobilindustrie in Deutschland je umgesetzt hat. Beteiligt waren Audi, BMW, Daimler, Ford, Opel und Volkswagen, die Zulieferer Bosch und Continental sowie die Deutsche Telekom. Sechs Forschungseinrichtungen brachten ihre wissenschaftliche Kompetenz ein, ferner waren Hessen Mobil und die Stadt Frankfurt eingebunden.

Technischer Ansatz

Kernidee jedes Car-to-X-Ansatzes ist es, die Reichweite der fahrzeugeigenen Sensorik zu erhöhen, sei es durch die Sensoren anderer Verkehrsteilnehmer oder über Informationen aus der Infrastruktur. Somit stellte sich für SimTD die Aufgabe, zunächst geeignete Kommunikationseinrichtungen - und zwar für Fahrzeug und Infrastruktur - zu entwickeln sowie sich über Kommunikationsstandards, vor allem die zu verwendenden Protokolle, zu einigen. Denn im Feldeinsatz sollen die Fahrzeuge herstellerunabhängig miteinander und mit der Infrastruktur Daten austauschen. Schon zu Beginn des Projektes hatten sich die Partner darauf verständigt, als Kommunikationswege WLAN und Mobilfunk zuzulassen, um eine bestmögliche Flächenabdeckung zu erreichen.

Fahrzeugsysteme

Alle im Fahrzeug benötigten Komponenten müssen vom Autokäufer finanziert und akzeptiert werden. Daher setzten die Entwickler im SimTD-Projekt vorwiegend auf Komponenten, die in künftigen Fahrzeuggenerationen ohnehin vorhanden sind. Dies gilt beispielsweise für den Mobilfunkteil des Gateways. In das Gateway integriert ist eine WLAN-Sende-/Empfangseinheit nach ITS G5. Von hier aus erfolgt auch der Lesezugriff auf den Fahrzeug-CAN-Bus. Die Datenaufbereitung und vor allem die Verknüpfung mit den GPS-Daten des Fahrzeugs geschieht in einer separaten Elektronik („Application Unit“), die mit dem Gateway über Ethernet verbunden ist. Diese Box arbeitet mit der Java-Technologie OSGi und erlaubt so die spätere Einbindung dieser Funktionen auch in bestehende Infotainmentsysteme. Die Application Unit wäre mit der Vielzahl der auf das Fahrzeug einstürmenden Informationen überfordert. Daher werden alle eingehenden Daten zunächst in einer Umfeldtabelle zwischengespeichert und dort hinsichtlich ihrer Relevanz gefiltert, die beispielsweise von der Fahrtrichtung des empfangenden Fahrzeugs abhängt. Für die Positionierung des Fahrzeugs genügen handelsübliche GPS-Systeme, die in Verbindung mit Fahrdynamikdaten eine ausreichend hohe Genauigkeit aufweisen. Das GPS spielt auch bei der zeitlichen Klassifizierung aller Kommunikationseinheiten eine wichtige Rolle; das GPS-Signal wird dazu jedoch mit einer Quarzuhr an Bord des Fahrzeugs auf Plausibilität überprüft. Im Praxistest konnten 97 Prozent aller digitalen Zeitstempel mit einer Genauigkeit von mindestens 10 Millisekunden vergeben werden.

Öffentliche Infrastruktur

Insgesamt 103 „Roadside Stations“ wurden auf dem SimTD-Testgebiet verbaut, mehrheitlich an bestehender Infrastruktur wie Wechselschilderbrücken oder Ampelanlagen. Die Stationen bestanden ebenfalls im Wesentlichen aus einem Gateway und einer „Application Unit“, die dem im Fahrzeug verbauten Steuergerät ähnelt, sowie drei Antennen. Die Anbindung an die Verkehrsleitzentrale erfolgte bei einem Drittel der Stationen über Glasfaserkabel, sonst über eine UMTS-Verbindung. Die Straßenstationen dienen nicht nur als Relais, sondern auch der direkten Steuerung, insbesondere von Lichtsignalanlagen, um zum Beispiel für Einsatzfahrzeuge die in Fahrtrichtung liegenden Ampeln konsequent auf grün zu schalten. Der Signalaustausch erfolgt über eine standardisierte Schnittstelle nach dem OTS2-Modell, was jedoch eine technische Aufrüstung älterer Ampelsteuerungen notwendig machte. Zudem wurde im Rahmen des Projekts eine Versuchszentrale eingerichtet, in der neben den Daten aus den Fahrzeugen und den Straßenstationen auch Informationen aus den Verkehrsleitzentralen von Hessen sowie der Stadt Frankfurt zusammenflossen. Eine innerhalb von SimTD entwickelte Software erzeugt daraus ein virtuelles Abbild der Verkehrslage. Bei einer ausreichenden Durchdringung von Car-to-X-fähigen Fahrzeugen würde dies eine deutlich präzisere Stauprognose ermöglichen. Käme es doch zu einem Stau, könnten Umleitungsoptionen auf Plausibilität für das Gesamtsystem geprüft werden. Das wäre noch mehr, als heutige serverbasierte Navigationssysteme etwa von Audi oder BMW leisten.

Funktionen

Insgesamt 19 verschiedene Funktionen haben die in das Projekt involvierten Forscher und Entwickler realisiert, die sich wie folgt gliedern lassen:

�?� bessere Informationen über die aktuelle Verkehrslage (zum Beispiel Länge von Baustellen) �?� bessere Verkehrssteuerung, etwa durch Lichtsignalanlagen, die an den Verkehrsfluss angepasst werden �?� verbesserte Navigation �?� Warnungen etwa vor einem Stauende, Hindernissen, Eisglätte oder dem vorfahrtberechtigten Querverkehr an Kreuzungen �?� Informationen zum aktuellen Standort, zum Beispiel zur Parkraumsituation.

Ein großer Teil der in SimTD entwickelten Funktionen ist ohne den Einsatz drahtloser Fahrzeug-Fahrzeug- oder Fahrzeug-Infrastruktur-Kommunikation nicht zu realisieren. Für welche der Funktionen Kunden Geld auszugeben bereit wären, wurde innerhalb von SimTD ebenfalls untersucht (siehe Abbildung oben). Am besten schnitt dabei die Option „Warnung vor Stau-Ende“ ab, die 78Prozent aller Versuchspersonen bezahlen würden. Auf Platz zwei landete der Ampelphasenassistent, wobei die Anzeige der Rest-Rotzeit mit 75 Prozent leicht besser abschnitt als die Anzeige der Geschwindigkeit, mit der eine „grüne Welle“ genutzt werden kann. Das „Elektronische Bremslicht“, das Notbremsungen von vorausfahrenden Fahrzeugen signalisiert, auch wenn diese etwa durch einen Lkw verdeckt sind, würden 72Prozent der Befragten bezahlen.

Testergebnisse

Im Rahmen des Flottenversuches absolvierten befristet eingestellte, hauptberufliche Fahrer mit 122 Fahrzeugen mehr als 1,7 Millionen Kilometer auf öffentlichen Straßen im Rhein-Main-Gebiet; hinzu kamen Fahrversuche auf abgesperrtem Gelände. Zentrales Anliegen war es, die Robustheit der Technik unter annähernd realistischen Randbedingungen zu testen. „Car-to-X konnte sich im Alltag bewähren“, lautet das Fazit von Daimler-Forscher Christian Weiß, der das Gesamtprojekt koordinierte. Beispielsweise erfolgte die Warnung vor einem Stau-Ende in mehr als 97 Prozent aller Fälle korrekt. Sicherheitskritische Funktionen wurden zudem auf einem Prüfgelände unter Laborbedingungen untersucht. Dazu gehörte eine nicht einzusehende Kreuzung, auf die zwei Fahrzeuge mit 50 km/h zufuhren. Mit einer Wahrscheinlichkeit von 99 Prozent erhielten beide Fahrzeuge sieben Sekunden vor der Kollision eine Warnung. Zu diesem Zeitpunkt betrug der Abstand zum berechneten Aufprall 97 Meter, der Anhalteweg hingegen nur etwa 30 Meter.

Anreiz zur Umsetzung

Trotz des hohen volkswirtschaftlichen Nutzens stellt es eine große Herausforderung dar, die im Vorhaben SimTD erprobte Technik rasch in Serie zu bringen. Einen ersten Anreiz setzt das Bundesverkehrsministerium durch eine Kooperation mit den Nachbarländern Niederlande und Österreich: Auf der mehr als 1100 Kilometer langen Strecke zwischen Rotterdam und Wien sollen bis 2015 alle Anhänger, die zur Warnung vor Tagesbaustellen eingesetzt werden, mit der SimTD-Technik ausgerüstet werden. Damit würden die Informationen heutiger dynamischer Navigationssysteme deutlich aktueller.

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