Auf der einen Seite Forschungs- und Entwicklungsabteilungen, die unter strengen Geheimhaltungsstufen arbeiten. Auf der anderen Seite digitale Plattformen, auf denen Baupläne für Drohnen, Roboter oder astronomische Teleskope für jedermann weltweit frei zugänglich sind.
„Wir beobachten, dass der Open-Source-Software-Gedanke, also dass Software frei zugänglich ist und von Dritten genutzt, verändert und weiterentwickelt werden kann, zunehmend auch in der Hardware-Entwicklung seine Anhängerschaft findet“, sagt Robert Mies, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachgebiet Qualitätswissenschaft der TU Berlin. „Gleichzeitig stellen wir fest, dass sich dieser Open-Source-Ansatz aus dem Software-Bereich nicht ohne Weiteres in die Hardware-Welt übertragen lässt. Denn mit dem Hinterlegen eines Codes auf einer offenen Plattform ist es nicht getan.“
Man brauche einen Ort, wo etwas nachgebaut werden kann. Man brauche Werkzeuge und Materialien sowie Menschen, die Konstruktionspläne lesen und Maschinen betätigen können, und eine verständliche Dokumentation des gesamten Herstellungsprozesses, so Robert Mies.
Diese Unterschiede zwischen Open-Source-Software und Open-Source-Hardware waren die Initialzündung für das im EU-Rahmenprogramm Horizon2020 geförderte Projekt „Opennext“, das am Fachgebiet Qualitätswissenschaft unter der Leitung von Prof. Dr.-Ing. Roland Jochem koordiniert wird. Robert Mies ist Projektmanager. „Opennext“ ist ein Konsortium von 19 europäischen Partnern aus Wissenschaft, Wirtschaft sowie von gemeinnützigen Organisationen, Plattformbetreibern und offenen Werkstätten, den Makerspaces.
Vermeidung teurer Fehlentwicklungen
In dem Projekt soll erforscht werden, wie der Open-Source-Ansatz in der Hardware-Produktentwicklung etabliert werden kann. Ziel ist es, in Branchen wie der Möbelherstellung, der umweltfreundlichen Mobilität und der Konsumgüterelektronik neue Wege der Produktentwicklung zwischen KMUs und Start-ups auf der einen Seite und der Makerspace-Community und den Kunden auf der anderen Seite zu ermöglichen und alle miteinander zu vernetzen.
Das alte Prinzip geschlossener Umgebungen soll ersetzt werden durch öffentliche Zugänglichkeit, Weiterentwicklung und -verbreitung von Herstellungsprozessen sowie Reparierbarkeit von Produkten. Damit verbunden ist ein wesentlicher Grundgedanke von Open Source: Innovationen sollen mit dem Verschwinden eines Unternehmens nicht mehr verlorengehen. Aber auch teure Fehlentwicklungen können so vermieden werden.
Multifunktional wie ein Schweizer Messer
In der ersten, nun abgeschlossenen Praxisphase ging es darum, mit sechs europaweit ausgewählten mittelständischen Firmen und Start-ups, die bereits Erfahrungen mit Open Source hatten, zu untersuchen, wie Open Source sozusagen zu deren Firmen-DNA werden kann. Eines der wichtigsten Ergebnisse der ersten Phase ist, dass die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ein Verständnis darüber gewonnen haben, wie dieser Weg der kollaborativen Zusammenarbeit von Open-Source-Hardware zwischen den Unternehmen, den Makerspaces und Kunden funktioniert und welche Infrastruktur notwendig ist.
„Durch ‚Opennext‘ wurde ein dänisches Start-up, das Büromöbel herstellt und unter dem Slogan ‚Kein Abfall, kein Lager, kein Unsinn‘ produziert, dabei unterstützt, von der bisherigen On-Demand-Produktion noch einen Schritt weiter zu gehen hin zu einem Produktdesign, bei dem der Kunde von Beginn an eingebunden ist. Das Start-up macht diesen Prozess auf einer digitalen Plattform nicht nur für jedermann zugänglich, sondern Interessierte wie andere Start-ups, Makerspaces oder Privatpersonen sind aufgerufen, sich aktiv zu beteiligen“, erzählt Robert Mies.
Und ein Hamburger Lastenrad-Hersteller wurde durch „Opennext“ mit Open-Source-Akteuren wie Studierenden und einem Makerspace in der Nachbarschaft in Verbindung gebracht, zu denen es zuvor keinen derartigen Kontakt gab und die das Kleinunternehmen auch nicht ohne Weiteres angesprochen hätte. Ergebnis dieser durch „Opennext“ entstandenen Kontaktknüpfung war eine neue Produktidee: ein Lastenrad, das so multifunktional ist wie ein Schweizer Messer.
Verschiedene Aufbauten ermöglichen verschiedene Funktionen, sodass aus einem normalen Lastenfahrrad ein spezielles wird. Mal ist es ein Food-Bike, mal ein Medical-Bike, eine mobile offene Werkstatt oder ein DJ-Bike. Diese funktionalen Module werden Open Source konstruiert und können je nach Bedürfnissen für andere Funktionen abgewandelt, umgebaut, weiterentwickelt werden.
In der im Herbst 2021 gestarteten zweiten Phase geht es darum, zusammen mit zwölf KMUs, die aus eigenem Antrieb Open Source als neue Firmenstrategie bei sich einführen möchten, anhand einer konkreten Produktidee Konzepte zu erarbeiten, mit denen Open Source in den Unternehmen profitabel etabliert werden kann. „Wir von ‚Opennext‘ verstehen uns da als Katalysator“, so Robert Mies.