Prozessautomation & Messtechnik Per Feldbus in den Nanokosmos

Pepperl+Fuchs SE


Forschungszentrum DESY: Im Open-Source-Leitstand EPICS werden die Daten unterschiedlichster Feldgeräte über ein Bussystem zusammengeführt.

11.09.2013

Superfluides Helium 2 - das bedeutet zwei Kelvin. So kalt muss es für den Betrieb des Linearbeschleunigers XFEL der DESY sein, der künftig Einblicke in den Nanokosmos erlauben soll. Zur Steuerung und Überwachung der Kälteanlagen vertraut das Forschungszentrum auf ProfibusDP und PA.

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Mit dem Projekt European XFEL begann der Bau einer Forschungsanlage der Superlative. Am DESY (Deutsches Elektronen Synchrotron), einem der weltweit führenden Beschleunigerzentren, entwickelte man gemeinsam mit internationalen Partnern die Technologie eines supraleitenden Linearbeschleunigers für Elektronen. Der Röntgenlaser soll in einem 3,4 km langen Tunnel vom DESY-Gelände in Hamburg bis nach Schenefeld reichen. Der European XFEL (X-Ray Free-Electron Laser) wird ultrakurze Laserlichtblitze im Röntgenbereich erzeugen, mit einer Leuchtstärke, die milliardenfach energiereicher ist als bei Röntgenstrahlungsquellen herkömmlicher Art. Die weltweit einzigartigen Eigenschaften dieser Anlage werden der Wissenschaft völlig neue Forschungsmöglichkeiten eröffnen. Erstmals können hier Vorgänge im Nanokosmos in Realzeit beobachtet werden. Darüber hinaus wird es möglich sein, atomare Details von Viren und Zellen zu entschlüsseln und Vorgänge unter Extrembedingungen zu untersuchen, wie sie zum Beispiel im Inneren von Planeten vorherrschen. Der Beginn der Inbetriebnahme des European XFEL ist für Ende 2014 geplant. In Teilchenbeschleunigern werden geladene Teilchen durch elektromagnetische Felder auf hohe Energien (die hohen Geschwindigkeiten erreichen sie schon nach wenigen Metern) beschleunigt. Um die supraleitenden Cavities und Magnete, die dabei zum Einsatz kommen, optimal nutzen zu können, müssen diese bei einer Temperatur von 2,0 Kelvin (-271 ºC) betrieben werden. Dazu werden sie mit flüssigem Helium 2 (superfluides Helium) gekühlt, das die Cavities und Magnete in einer Badkühlung umspült. Um dieses flüssige Helium in ausreichenden Mengen zu erzeugen, betreibt das Forschungszentrum DESY große und hochleistungsfähige Helium-Kälteanlagen.

Betrieb bei zwei Kelvin

In der Anlage wird das Helium über zwei Stufen verdichtet. Zunächst auf vier bar in drei parallelen Niederdruckstufen und dann in einer Hochdruckstufe auf bis zu 18 bar. Bei der Erzeugung von flüssigem Helium kommt der sogenannte Claude-Prozess zur Anwendung. Dabei handelt es sich um eine Kombination von Expansionsturbinen und Gegenstrom-Wärmetauschern. Sowohl die geleistete Arbeit des Heliums an den Expansionsturbinen als auch der Wärmeaustausch mit kälterem, vom Verbraucher zurückströmendem Helium führt zu einer Abkühlung des warmen Hochdruck-Heliums. In einer letzten Stufe wird das Helium dann an den sogenannten Joule-Thomson-Ventilen auf einen Druck von 30mbar entspannt. Am Eingang des Joule-Thomson-Ventils kann es sich durch die Entspannung so stark abkühlen, dass ein Teil des Heliums dadurch verflüssigt wird. Unterhalb einer Temperatur von 2,17K ändert Helium seine Phase. Es entsteht Helium 2 (superfluides Helium). Helium 2 hat im Vergleich zu Helium 1 unter anderem eine um 1000-fach höhere Temperaturleitfähigkeit. Diese Eigenschaft des Heliums ist für den Betrieb des XFEL erforderlich. Bei einem Druck von 30 mbar hat die Flüssigkeit eine entsprechende Temperatur von 2 K. Die Kälteanlage des Forschungszentrums besteht aus drei baugleichen Teilanlagen. Diese lassen sich unabhängig voneinander betrieben. Zu jeder Teilanlage gehören jeweils vier Schraubenkompressoren (eine Hoch- und drei Niederdruckschrauben), eine Coldbox und diverse Gasreinigungseinheiten. Außerdem stehen redundante Kompressoren und Reinigungseinheiten für alle drei Teilanlagen zur Verfügung. Die Steuerung und Regelung dieser Komponenten erfolgt über eine Vielzahl ferngesteuerter und stufenlos zu betätigender Ventile. Für den Bau des European XFEL werden zwei der drei Teilanlagen derzeit umgerüstet und erweitert. Zur Bereitstellung der notwendigen Kühlleistung für den XFEL muss unter anderem eine zusätzliche 2K-Cold-Box installiert werden, in der das vom Beschleuniger rückströmende 2K-Gas kalt verdichtet wird. In Abhängigkeit der erforderlichen Kälteleistung können beide Teilanlagen symmetrisch betrieben werden, um künftig das kalte Helium für den XFEL-Linear Accelerator (Linac) zur Verfügung zu stellen. Die dritte Teilanlage hingegen versorgt den Forschungsbeschleuniger FLASH, die CMTB (Cryo Module Test Bench), den XMTS (XFEL Magnet Teststand) sowie die eigens für den XFEL errichtete Testanlage AMTF (Accelerator Module Test Facility), in der die Cavities und die über 100 Beschleunigermodule vor dem Einbau in den XFEL getestet werden. Überwacht wird die kryogenische Anlage des Forschungszentrums von einem zentralen Kontrollraum, der 24 Stunden am Tag besetzt ist. Hier kommen alle wichtigen Informationen zusammen, die für den sicheren Betrieb der Anlage benötigt werden. Um die Kälteanlage zu steuern, vertraut man bei DESY auf Profibus DP und PA. Die XFEL-Kälteanlage wird über das Kontrollsystem EPICS (Experimental Physics and Industrial Control System - eine gemeinschaftliche Entwicklung internationaler Forschungsinstitute) gesteuert und überwacht. Die redundanten IOCs (Input Output Controller) kommunizieren über Profibus DP mit den E/A-Komponenten. Dazu gehören Ventile, Drucktransmitter, Flow-Transmitter usw., welche in Profibus-PA-Technik miteinander vernetzt sind. Über das Ethernet-Kontrollnetz sind die Anlagenteile mit dem Prozessleitsystem verbunden. Alle wichtigen Komponenten wie Stromversorgung und Segmentkoppler (SK3 von Pepperl+Fuchs), Optical-Link-Module und LWL (Doppelring) sind dabei redundant ausgelegt. Die Profibus-PA-Feldgeräte sind über Segment-Protektoren angeschlossen. Sie schützen die Datenübertragungen vor Störungen und ermöglichen so Arbeiten im laufenden Betrieb.

Verfügbarkeit über 99 Prozent

Die Kälteanlage des European XFEL wird kontinuierlich an 365 Tagen im Jahr betrieben. Dabei wird eine Verfügbarkeit von > 99Prozent angestrebt. Fehler dürfen nicht dazu führen, dass die Anlage abgeschaltet werden muss. In einem solchen Fall wäre der XFEL-Betrieb für mehrere Stunden unterbrochen - mit fatalen Folgen für jedes auf diese Weise abgebrochene Experiment. Die Experimentierzeiten an den Beschleunigern bei DESY sind sehr gefragt und auf lange Sicht ausgebucht. Der Betrieb der Testanlage AMTF erlaubt kurzzeitige Betriebsunterbrechungen. So konnte hier bei der Installation des Kontrollsystems auf redundante Komponenten und Segment-Protektoren verzichtet werden. Wenn Arbeiten an Feldgeräten notwendig sind, hat dies unmittelbare Auswirkungen auf einen Teil des Anlagenbetriebs. Durch ein umfangreiches Diagnosekonzept (Preventative Maintenance) sollen Anlagenfehler frühzeitig erkannt und entsprechende Maßnahmen eingeleitet werden, bevor ein Anlagenausfall eintritt. Man hat sich im Fall der AMTF für den kompakten Segmentkoppler (Modell SK3 von Pepperl+Fuchs) und eine Busstruktur von Gerät zu Gerät entschieden. Die Vorteile einer einfachen und schnellen Installation und die damit verbundene schnelle Inbetriebnahme waren hierfür die wesentlichen Gründe. Die Kabellängen fallen in der Testanlage mit einer Segmentlänge von maximal 20m und Strängen von maximal 50m sehr gering aus.

Feldbus-Redundanz statt redundante Kälteanlage

Der Einsatz von Profibus DP und PA bei der Überwachung und Steuerung der DESY-Kälteanlagen hat sich in den vergangenen Jahren in vielerlei Hinsicht bewährt. Schon die Anlagenplanung ist damit sehr einfach und ohne den Einsatz spezieller Werkzeuge möglich. Auch die Dokumentation erfolgt unkompliziert, zum Beispiel über Excel oder Visio. Ebenso einfach zu handhaben sind die Installation und die Inbetriebnahme. Zu schätzen weiß man bei DESY darüber hinaus die sehr guten Diagnosefähigkeiten, die das Feldbus-Protokoll ermöglicht. Das größte Plus und für das Forschungsinstitut entscheidend ist jedoch die Zuverlässigkeit des Profibus. Bei korrekter Installation läuft das System robust und störungsfrei. Für den ursprünglichen HERA (Hadron-Elektronen-Ring-Anlage)-Betrieb waren zwei der drei Kälteanlagen erforderlich. Die dritte Kälteanlage stand als Redundanzanlage bereit. Mit dieser Anlagenredundanz konnte DESY über einen Zeitraum von 16 Jahren eine extrem hohe Verfügbarkeit von rund 99Prozent erreichen. Die Instrumentierung war in konventioneller 4-20-mA-Technik ausgeführt. Da nach dem Umbau keine direkte Anlagenredundanz mehr verfügbar ist, ist es notwendig, Anlagenfehler frühzeitig zu diagnostizieren und zu beseitigen. Dies soll mit der Profibus-Technologie ermöglicht werden, um die hohe Verfügbarkeit der Anlagen weiterhin zu gewährleisten, wenn möglich sogar zu steigern.

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