Prozessautomation Pragmatische Netzwerker


Neue Komponenten wie dieser Temperaturtransmitter können in Botlek jetzt drahtlos mit konventionellen Messgeräten kommunizieren.

09.04.2015

Mit einem drahtlosen Netzwerk nach ISA SP100 sollte in einem Chemie-Großbetrieb in den Niederlanden die Einleitung von geklärtem Industrieabwasser in ein Hafenbecken überwacht werden. In die Wireless-Lösung wurden neben neuen drahtlosen Feldgeräten auch konventionelle Bestandsgeräte integriert.

Obwohl Funknetzwerke mittlerweile in vielen Betrieben der Prozessindustrie etabliert sind, scheut so mancher Anwender den Einstieg. Vor allem die angebliche Komplexität bei der Inbetriebnahme führte bislang zu Diskussionen. Doch das hat sich grundlegend geändert: Funknetzwerke sind mittlerweile deutlich leichter in Betrieb zu nehmen als noch vor wenigen Jahren - auch dank der Entwicklung der WDMs (Wireless Device Manager) von Honeywell. Sie koordinieren das drahtlose Netzwerk und alle drahtlosen Feldgeräte, die Access Points sowie alle drahtgebundenen Feldgeräte, die über einen ISA 100.11a-Adapter verfügen. In weniger als zwei Minuten lassen sich die drahtlosen Messgeräte integrieren und die Firmware aktualisieren. Die internetbasierte Benutzerober- fläche der WDMs erlaubt über eine abgesicherte Ethernet-Verbindung (HTTPS) die Verwaltung des gesamten drahtlosen Netzwerks für Feldgeräte über jeden beliebigen PC mit Standard-Webbrowser. Somit entfällt die Notwendigkeit, irgendwelche Software auf dem PC zu installieren. Voraussetzung ist allerdings, dass die Rahmenbedingungen stimmen. So ist es nach wie vor sinnvoll, die örtlichen Verhältnisse im Vorfeld genau auszumessen. Der Erfolg von Wireless-Lösungen hängt entscheidend davon ab, wie detailliert die Anwendung vorher geplant wurde. Anders als in Hochglanzbroschüren versprochen, versorgt nämlich höchst selten ein einziger Router hunderte von Messgeräten. Vielmehr sind es in der Regel wenige Messpunkte, die noch dazu - aus Wireless-Sicht - räumlich ungünstig verteilt sind. Beispielsweise führt die Nähe eines Betriebs zu einem Hafen oft zu unvorhergesehenen Schwierigkeiten, da die starken Radare der Schiffe die drahtlose Kommunikation stören können. Genau diese Situation fanden die Wireless-Experten in einer Kläranlage am Chemiestandort Botlek in den Niederlanden vor. Mit Komponenten von Honeywell ist man dort seit langem vertraut; so kommt etwa Experion PKS für die integrierte, durchgängige Automation zum Einsatz. Die Betreiber wollten nun die Messdaten einer Kläranlage im nördlichen Teil des Standorts, wo die gereinigten Abwässer in den Hafen geleitet werden, drahtlos ins Experion-Leitsystem integrieren. Die eingeleiteten Mengen werden mit Durchfluss-Messgeräten von Flexim gemessen. Honeywell sollte dafür eine ISA100-konforme Infrastruktur aufbauen, die eine Kommunikation zwischen diesen Durchflussmessern, neu eingesetzten Temperatur-Messgeräten von Honeywell sowie der Leitwarte ermöglicht.

Je besser die Planung desto sicherer der Funk

Bereits vor der Angebotserstellung wurde die Umgebung zunächst genau ausgemessen, um die Bedingungen vor Ort zu klären und ein praxistaugliches Konzept zu erstellen. Im Zuge der „Site Survey“ wird u. a. die Signalstärke für den vorgesehenen Abdeckungsbereich gemessen. Am niederländischen Standort waren neben der großen Entfernung vor allem chemieanlagentypische Hindernisse wie Rohrbrücken und Tanks zu beachten. Neben dem drahtlosen Netzwerk wurden netzspannungsversorgte OneWireless-FDAPs (Field Device Access Points) eingesetzt: industrietaugliche und auch für Gefahrenbereiche geeignete Mesh-Zugangspunkte für ISA100.11a-kompatible Feldgeräte. Nach seiner Implementierung erkennt der FDAP automatisch benachbarte ISA100.11a-kompatible, routingfähige Geräte, wie etwa weitere FDAPs oder routingfähige Feldgeräte. Damit ist die Einrichtung eines abgesicherten, drahtlosen, ISA100.11a-basierten Mesh-Netzwerks möglich. Am Standort wurden fünf solcher FDAPs eingesetzt. Die netzspannungsversorgte Variante empfiehlt sich immer bei sehr großen Entfernungen, an diesem Standort waren es teilweise über 200 Meter, die es zu überbrücken galt. Dies könnte zwar auch über batteriebetriebene Transmitter erreicht werden, doch leidet darunter die Batterieleistung: Der Transmitter verbringt nämlich einen Großteil seiner Zeit mit der Weiterleitung von Daten anderer drahtloser Feldgeräte. Viel eleganter ist daher die Verwendung der FDAPs, die lediglich eine Spannung von 24 V benötigen und in Ex-Zone 1 installiert werden können.

Lokale Verhältnisse bestimmen die Technologie

Ob FDAPs oder Cisco Aironet Access Points verwendet werden sollen, wird nach den Bedingungen vor Ort entschieden. Erfordern Anwendungen die Einbindung sowohl von drahtlosen Feldgeräten als auch von WiFi-basierten Geräten (zum Beispiel Handhelds, WiFi-basierte Sensoren und drahtlose Kameras), sollte ein für unterschiedlichste Anwendungen geeignetes Netzwerk auf der Basis von Cisco Aironet Access Points implementiert werden. Ist jedoch - wie bei der Kläranlage in Botlek - ausschließlich die Einbindung drahtloser Feldgeräte ins Netzwerk gefragt, empfiehlt sich ein Netzwerk auf Basis von FDAPs. Es gibt aber auch Installationen, in denen Cisco Aironet Access Points und FDAPs kombiniert werden. �?hnlich pragmatisch werden in solchen Projekten bereits vorhandene Feldgeräte integriert. So wurden die Durchflussmessgeräte von Flexim quasi „drahtlos“ gemacht, indem ein Wireless-Adapter angeschraubt wurde - in diesem Fall der OneWireless Adapter OWA 100, mit dem sich Feldgeräte mit Hart-Protokoll drahtlos in ein OneWireless-Netzwerk integrieren lassen. Die Lösung eignet sich auch für Messgrößen, für die keine drahtlosen Feldgeräte verfügbar sind. So war in rund zwei Tagen die Anlage so ausgemessen, dass dem Betreiber ein aussagefähiges Konzept vorgelegt werden konnte. Die Installation selbst dauerte weniger als zwei Wochen und läuft seither ohne Probleme. Seit 2004 hat Honeywell umfangreiche Praxiserfahrung mit Wireless-Lösungen gesammelt, in mehr als 1.000 Installa-tionen oder über einer Milliarde an „drahtlosen“ Betriebsstunden. Besondere Installationen waren etwa:

Temperaturüberwachung an mehreren Drehrohröfen und sich drehenden Trocknern in der Metallpulvertrocknung; Füllstandüberwachung von zwölf Tanks in einem ostdeutschen Tanklager; Tankfüllstandüberwachung in einer ungarischen Raffinerie mit nahtloser Einbindung der drahtlosen Feldgeräte in ein existierendes Leitsystem und Integration über Modbus-Protokoll und Hart-Integration ins werkseigene Maintenance-Tool; Erstellung eines drahtlosen Netzwerks auf einer Offshore-Plattform in der Nordsee inklusive Drucküberwachung von Förderköpfen mit drahtlosen Transmittern

Während Wireless-Lösungen außerhalb Europas längst etabliert sind, existieren in Europa recht wenig Installationen. Doch gibt es auch hier gute Gründe, sich für eine drahtlose Lösung zu entscheiden. Wenn zum Beispiel eine Verkabelung für die Messwert-Übertragung nötig wäre, der Weg dazwischen aber dem Unternehmen nicht gehört und daraus hohe behördliche Auflagen folgen. Oder wenn eine Anlage während der Installation nicht stillgelegt werden kann oder soll, aber zusätzliche Messwerte nötig sind, etwa wegen neuer Sicherheitsanforderungen. In solchen Fällen kann ein Wireless-Netzwerk oft in kurzer Zeit errichtet werden. Entscheidend dabei ist, dass nicht so sehr die Funktionen eines einzelnen Geräts im Mittelpunkt stehen, sondern das Gesamtkonzept. Nur so ergibt sich eine belastbare und schlüsselfertige Lösung.

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