Smart Sensors Preiswert Objekte im Raum verfolgen

09.09.2013

Objekte verfolgen und überwachen klingt ein bisschen nach NSA. Die Anwendungen, die Markus Haid am CCASS auf Basis von Intertialsensoren entwickelt, geben der Objektverfolgung aber wieder eine positive Bedeutung.

Haben Sie sich schon einmal Gedanken darüber gemacht, wie Sie die Wege Ihrer Kaffeetasse auf Ihrem Schreibtisch verfolgen könnten? Vermutlich nicht. Dennoch verwendet Professor Markus Haid dieses Beispiel, um die Vorzüge seines Forschungsgebiets zu erläutern. Professor Haid, der an der Hochschule Darmstadt lehrt und das CCASS (Competence Center for Applied Sensor Systems) leitet, beschäftigt sich mit Low-Cost-Inertialsensoren, die Bewegungen in geschlossenen Räumen verfolgen können. „Um Ihre Tasse zu verfolgen, würde beispielsweise eine Kameraverfolgung mit einem Kinect-Sensor der Spielekonsole X-Box ausreichen. Und um es wirklich genau hinzukriegen, würden Sie das Objekt mit Markern ausstatten. Dann könnten Sie beispielsweise mit Hilfe eines Infrarottrackingsystems millimetergenau ihre Tasse auf dem Arbeitsplatz verfolgen“, erläutert Professor Haid den aktuellen Stand der Technik. Die Nachteile liegen aber auf der Hand, wie er weiter ausführt: „Sie benötigen zwei bis drei Infrarot-Kamerabalken, die immer Sichtkontakt mit dem Objekt bzw. Markern haben müssen. Und es wäre ausschließlich auf Ihren Arbeitsplatz beschränkt. Es fehlte jede Flexibilität.“ Hinzu kommt ein Preis von 25.000 bis 60.000 Euro für ein derartiges System - was für die Kaffeetasse natürlich sinnlos wäre, aber auch für viele Anwendungen deutlich zu teuer ist. Mit Inertialsensoren, mit denen Markus Haid sich schon seit über zehn Jahren beschäftigt, lässt sich ein ähnliches Szenario wie oben beschrieben realisieren - mit einigen Vorteilen. „Inertialsensoren brauchen keine zusätzlichen Elemente für die Messung wie etwa eine Lichtschranke oder einen Reflektor, sondern sie funktionieren aus sich heraus“, erläutert Professor Haid das Grundprinzip. „Das heißt: Ich verbinde diese Sensoren mit einem Objekt und messe seinen Zustand.“ Im Fall der Kaffeetasse könnte man den nur wenige Quadratmillimeter großen Sensor an der Tasse anbringen und sie dann von Bewegung zu Bewegung verfolgen. „Da sehen Sie aber auch schon einen Nachteil dieses Systems“, erläutert Markus Haid. „Sie können immer nur relativ messen. Mit einem Kamerasystem können Sie genau die Position bestimmen. Mit einem Inertialsystem messen Sie immer relativ von der Ausgangssituation. Es ist dafür aber sehr preiswert, klein und referenzlos, ist also keiner Abschattung unterlegen.“ Ursprünglich kommen die Inertialsensoren, mit denen am CCASS gearbeitet wird, aus der Airbag-Entwicklung. „Das sind Sensoren, die positive und negative Beschleunigung messen, interpretieren und dann den Airbag auslösen“, so Markus Haid. Er nutzt diese Trägheitssensoren, um Objekte im Raum zu verfolgen. „Wir messen den Bewegungszustand dieser Sensoren und wenn wir beispielsweise die Beschleunigung messen, dann können wir bei zweifacher Integration auf die Geschwindigkeit und Position rückschließen und wissen: Ein Objekt ist von A nach B bewegt worden.“Neben den Beschleunigungssensoren kommen beim CCASS auch Drehratensensoren zum Einsatz. „Drehratensensoren sind ebenfalls Inertialsensoren und arbeiten auch aus sich heraus, messen aber Drehgeschwindigkeiten um Achsen“, erklärt Professor Haid. Mit diesen Sensoren lässt sich beispielweise eine Veränderung der Orientierung messen, auch wenn die Position konstant bleibt. Aber Markus Haid und seine Mitarbeiter sind keine Sensor-Entwickler, da greifen sie auf Standard-Produkte bekannter Hersteller zurück. „Wir bemühen uns um einen guten Marktüberblick, um auf einer aktuellen Plattform immer die aktuellen Sensoren einsetzen zu können“, erklärt er. Die eigentliche Arbeit des CCASS liegt in den Algorithmen, um die Sensoren anwendbar zu machen. „Wir versuchen mit diesen Sensoren in Bereichen zu messen, wo Kameras zu teuer sind oder nicht funktionieren. Dafür entwickeln wir intelligente Algorithmen“, so Professor Haid. „Und das sind immer sehr applikationsspezifische Lösungen, die sehr viel Hintergrundwissen über die Anwendung erfordern.“

Personentracking

Die Zahl der möglichen Anwendungen ist groß: „Unsere Sensoren können immer dann zum Einsatz kommen, wenn drinnen, klein und preiswert navigiert werden soll“, fasst Professor Haid das Einsatzgebiet grob zusammen. Sein erstes Beispiel sind alte Menschen in betreuten Wohnanlagen. „Draußen können Sie die Personen mit GPS tracken. Sobald sie ein Gebäude betreten, ist das nicht mehr möglich. Sie können zwar ein Gebäude mit Kameras, RFID-Sensoren und Lichtschranken ausstatten, aber dann haben Sie im Vorfeld einen sehr hohen Installationsaufwand. Sie können ja nicht jedes Altenheim und jede betreute Wohnanlage so ausstatten.“ Aber auch außerhalb dieses Wohnraums ist ein Tracking möglich, beispielsweise in Bahnhöfen oder Flughäfen. Gerade für Alzheimer-Patienten, die bereits jetzt zum Teil mit GPS im Outdoorbereich getrackt werden, würde sich eine derartige Indoor-Lösung anbieten. Ein weiteres Beispiel sind Feuerwehrleute im Einsatz. „Wir würden da allerdings keine Positionen tracken, sondern nachvollziehen, wohin der der Feuerwehrmann gegangen ist und wie es ihm geht“, erklärt Markus Haid. „Es gibt einen Startpunkt, von dem aus wir die Bewegungen detektieren können. Wir sehen die Orientierung und wir sehen Bewegungsprofile. So können wir auch nachvollziehen, ob jemand liegt, steht oder sich noch bewegt. Und wenn der Sensor beispielsweise an der Brust angebracht wäre, könnten wir auch noch das Heben und Senken des Brustkorbs feststellen.“

Industrie 4.0

Ein wichtiges Thema aus dem industriellen Umfeld ist Tooling, das Tracken von Werkzeugen aus Qualitätssicherungsgründen. „Das ist beispielsweise sinnvoll bei Schrauben in der Fertigung „, erläutert Professor Haid. „Das macht man vor allem dort, wo man nicht für 50.000 Euro Infrarot-Tracking-Systeme installieren kann. Außerdem hat eine Kamera immer den Aspekt der Überwachung und zudem den Nachteil der Abschattung. Noch einen Schritt weiter geht der Einsatz von Inertialsensoren im Industrie-4.0-Umfeld. „Hier ist in Zukunft das zu bearbeitende Objekt schlau und das Arbeitsgerät, also beispielsweise ein Schweiß-Roboter dumm. Das Objekt wird dann dem Werkzeug sagen, wie es bearbeitet werden muss und nicht mher umgekehrt, so wie heute“, führt Markus Haid aus. „Hier wird aber meistens in RFID-Chips gedacht. Meine Idee ist, die Objekte zusätzlich mit einer Sensorik auszustatten, um zu wissen, wo es ist, wie es ihm geht, ob die Bearbeitung ordnungsgemäß ausgeführt wurde.“ Und auch das Smart Home ist vor Professor Haids Sensoren nicht sicher. Inertialsensoren sind in jedem handelsüblichen Smartphone vorhanden - in Verbindung mit einer entsprechenden App könnte individuell das Licht in einer bestimmten Farbe eingeschaltet werden, die gewünschte Musik wird aktiviert oder der elektronische Bilderrahmen eingeschaltet.Und auch im Sport ist Professor Haid aktiv: Im Rahmen eines Forschungsprojektes arbeitet er daran, den Speed Court dreidimensional machen. Der Speed Court ist ein System aus mehreren Matten mit integrierten Sensoren. Hier trainieren Profifußballer, um gezielt Schwachstellen zu erkennen und zu verbessern. Bisher ist das System nur zweidimensional. Damit der Speed Court in Zukunft auch für andere Sportarten wie Tennis, Boxen oder Tanzen genutzt werden kann, hat Professor Haid seine Studierenden 15 Grobkonzepte entwickeln lassen und dem Hersteller des Speed Court vorgestellt.

Industrienahe Forschung

Markus Haid unterscheidet zwei Arten von Projekten: Zum einen Machbarkeitsstudien mit Unternehmen, die schnell eine Lösung brauchen. „Da kann man nicht jahrelang forschen. Der Kunde muss nach sechs bis acht Wochen wissen, ob er auf dem richtigen Weg ist. Ein Mittelständler kann nicht 100.000 Euro ausgeben, um zu wissen, ob etwas machbar ist“, skizziert er die eine Projektart. Zur Haupt-Finanzierung des CCASS dienen Mittelstandsförder-Projekte (ZIM), die es Professor Haid erlauben, drei bis vier Doktoranden zu beschäftigen - ein durchaus erfolgreiches Unterfangen. Hier arbeitet er ebenfalls eng mit der Industrie zusammen, um innovative Produkte mit Sensorik zu ergänzen. Das wird dann sicher nicht mehr die Kaffeetasse auf dem Schreibtisch sein - aber die Anwendungsmöglichkeiten für Inertialsensoren lassen für die Zukunft viele spannende Applikationen erwarten.

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