Reflexe schützen unseren Körper, etwa, wenn wir die Hand von einer heißen Herdplatte zurückziehen. Solche Schutzmechanismen könnten auch für Roboter hilfreich sein. Im Interview erklären Prof. Sami Haddadin und Johannes Kühn von der Munich School of Robotics and Machine Intelligence (MSRM) der Technischen Universität München (TUM), warum „Schläge auf die Finger“ von Testpersonen Grundlagen für die Roboter von morgen schaffen können.
In Ihrer Fachpublikation erschienen in „Scientific Reports“ beschreiben Sie einen Versuchsaufbau, bei dem Menschen buchstäblich eins auf die Finger bekamen - um ihre Reflexe zu untersuchen....
Kühn: Ja so kann man das sagen. Für unsere Studie in Zusammenarbeit mit dem Imperial College London mussten die Reflexe der Versuchspersonen diese gleich vor zwei „Schäden“ schützen: Einerseits vor einem Schlag auf die Hand, andererseits musste beim Zurückziehen von Hand und Arm eine Kollision mit einem Hindernis am Ellbogen vermieden werden. Wir haben dabei die Rückzugsbewegung untersucht und gesehen, dass die Bewegung hochgradig koordiniert abläuft.
Außerdem haben wir festgestellt, dass das vom Menschen antizipierte Schmerzempfinden den Reflex maßgeblich beeinflusst: Wenn ich weiß, dass das Objekt hinter mir einen ähnlichen Schmerz auslösen wird, wie der Schlag auf meine Finger, ziehe ich Arm und Hand anders zurück, als wenn mir bewusst ist, dass das Objekt hinter mir keine Schmerzen verursacht.
Wie kann nun ein solch recht simpel wirkendes Experiment zu der Entwicklung von intelligenten Hightech-Maschinen wie Robotern beitragen?
Haddadin: Der Mensch verfügt über faszinierende Fähigkeiten, man könnte sagen die im menschlichen Körper eingebaute Intelligenz, die für sein Überleben unerlässlich sind. Der Schutzreflex ist ein zentraler Teil. Stellen Sie sich die klassische „Hand auf die heiße Herdplatte“ Situation vor. Ohne nachzudenken, ziehen wir die Hand zurück, sobald die Haut die Hitze spürt. Roboter haben solche Reflexe bislang nicht wirklich. Sie verhalten sich bei drohenden Kollisionen noch meist recht stupide: Sie bleiben stehen und bewegen sich nicht, bis der Mensch eingreift.
Das mag in einigen Situationen ja sinnvoll sein. Würde der Roboter aber beispielsweise bei Kontakt mit einer heißen Herdplatte einfach stillhalten, hätte das offensichtlich fatale Folgen. Deshalb beschäftigen wir uns an der MSRM mit der Entwicklung von autonomen, intelligenten Reflexmechanismen, sozusagen als Teil des zentralen Nervensystems für Roboter. Der Mensch dient uns hier als Vorbild: wie funktionieren seine Reflexe und was können wir daraus für die Entwicklung von intelligenten Robotern lernen?
Welche Schlüsse ziehen Sie aus Ihrem Experiment für die Entwicklung von Robotern?
Kühn: Wir haben einen Einblick erhalten, wie die Reflexbewegung im Detail abläuft: Die Koordinierung des Menschen könnte so interpretiert werden, dass er die Schulter gewissermaßen nach vorne wirft, um das Zurückziehen der Hand zu beschleunigen. Dieses Prinzip könnte auch in der Entwicklung von Reflexbewegungen bei humanoiden Robotern angewendet werden: ein einzelnes Roboterglied könnte gezielt angesteuert werden, um ein anderes zu beeinflussen.
Auch für robotergestütze Prothesen ist genau dieses Wissen hilfreich, da von dieser erwartet wird, dass sie sich „menschenähnlich“ verhält.
Sie sprachen auch davon, dass das „antizipierte Schmerzempfinden“ in Ihrem Versuch eine Rolle spielte. Sollten Roboter ebenfalls Schmerzen antizipieren können?
Kühn: Das wäre ein großer Vorteil, da es dabei helfen könnte, potenzielle Kollisionen zu klassifizieren, also nach ihrer Gefährlichkeit einzustufen - und gegebenenfalls eine Rückzugsbewegung zu planen. Damit ließe sich nicht nur die Sicherheit des Roboters sicherstellen. Wenn der Roboter beispielsweise in der Lage wäre, menschliches Schmerzempfinden zu antizipieren, könnte er in einer für den Menschen gefährlichen Situation sofort einschreiten, um zu verhindern, dass diesem Schmerz widerfährt.
Müssten Roboter dafür lernen, Schmerzen genauso zu empfinden, wie Menschen das tun?
Haddadin: Nein. Unser Schmerzempfinden ist sehr komplex, mit Emotionen verbunden und deshalb nicht mit dem „Schmerzgefühl“ des Menschen zu vergleichen. Roboter sind Werkzeuge, keine Lebewesen. Künstlicher Schmerz ist nicht mehr als ein technisches Signal, das auf unterschiedlichen Sensordaten beruht. An der MSRM haben wir bereits einen ersten, auf „künstlichem Schmerz“ basierenden Reflexmechanismus für Roboter entwickelt. Hier hat ein Roboter im physikalischen Kontakt mit heißen oder spitzen Gegenständen den Arm reflexartig zurückgezogen.
Was sind Ihre nächsten Schritte auf dem Weg zu einem Roboter mit vollentwickeltem Schutzreflex?
Haddadin: Die große Herausforderung unseres Forschungsgebiets zwischen Mensch und Maschine ist ja, dass unser Vorbild, das menschlichen Reflexsystem, in Zusammenhang mit den Mechanismen des sensomotorischen Lernens eines komplexen, neuromechanischen Bewegungsapparats bisher nur sehr rudimentär verstanden ist. Und genau hier liegt die spannende wissenschaftliche Herausforderung: Bei all diesem Unbekannten einerseits die vom Menschen inspirierten Fähigkeiten unserer intelligenten Maschinen kontinuierlich zu verbessern und dabei gewonnene Erkenntnisse wiederum zu nutzen, um die Funktionsweise des Menschen besser zu verstehen. Im Grunde kann man sagen, dass das ja seit Leonardo Da Vinci andauert und auch noch eine ganze Weile so weitergehen wird.