EMV-Prüfnormen haben zum Ziel reale Störmechanismen reproduzierbar nachzustellen. Oftmals überwiegt jedoch vor allem die Reproduzierbarkeit und weniger die realistische Nachbildung von Phänomenen. Zum Verständnis wie Entstörmaßnahmen gezielt wirken, müssen diese Prüfaufbauten verstanden werden. Bei Kenntnis und grober Modellbildung des Prüfaufbaus wird die EMV-Entstörung zu einem gewissen Grad berechenbar.
Prüfaufbau
Bei der leitungsgeführten Störaussendungsprüfung wird der Prüfling an den Versorgungsanschlüssen an Stromversorgungs-Netznachbildungen (AMN = Artificial Mains Network) und an den Netzwerkanschlüssen an asymmetrische Netznachbildungen (AAN = Asymmetric Artificial Network) angeschlossen. Unter Netzwerkanschlüssen versteht man Signalanschlüsse, die an ein Netzwerk angeschlossen sind, wie beispielsweise Ethernet oder den KNX-Bus. Punkt zu Punkt Verbindungen wie USB-Anschlüssen fallen nicht unter die geprüften Schnittstellen.
Die CISPR 16-2-1 sieht verschiedene Möglichkeiten zum Aufbau der Funkstörspannungsprüfung vor. Alle Aufbauten haben gemeinsam, dass die Netznachbildungen die Störspannung gegen eine gemeinsame Referenzmasseplatte, die sich in einem Abstand von 40 cm zum Prüfling befindet, messen. In der Abbildung 1 sieht man durch die vertikale Referenzmasseplatte (40 cm Abstand zum Prüfling) auf den Prüfaufbau. Die Netznachbildungen befinden sich in einem Abstand von 80 cm zum Prüfling. Die Abbildung 2 zeigt die relevanten Distanzen nochmals in zweidimensionaler Ansicht. Alle verwendeten Netznachbildungen sind mit 50 Ω, entweder durch die Impedanz des Messempfängers oder mittels externen Widerstands, abzuschließen
AANs haben eine Impedanz von 150 Ω gegen die Massefläche, AMNs haben eine S-förmige Impedanz Kurve, die bei circa 1 MHz 50 Ω erreicht (siehe Abbildung 3). Die Netznachbildungen messen sowohl Common Mode als auch Differential Mode Störer. Eine Unterscheidung aus dem Ergebnis der Funkstörspannungsprüfung ist nicht möglich.
Schleifenimpedanzen
Soll für den Prüfling ein geeigneter Common Mode Netzfilter entworfen werden, müssen die Schleifenimpedanzen im Prüfaufbau verstanden werden. Die Abbildung 2 gibt einen Überblick über die Impedanzen im Prüfaufbau.
Zur Vereinfachung der Schleifenimpedanzen wird angenommen, dass die Netznachbildung eine Impedanz von 25 Ω (zweimal 50 Ω parallel L + N) für Common Mode Ströme hat. Als Kopplung zwischen Prüfling und der Referenzmasse können verschiedene Fälle auftreten:
Prüfling hat keine weiteren Schnittstellen und koppelt über die Streukapazität. Anhand des Beispiels aus Abbildung 2 ergibt sich somit eine Streukapazität von 22 pF bei einer Koppelfläche des Prüflings von 1 m2. Dies wurde aus der Plattenkondensatorformel hergeleitet.
Der Prüfling wird durch eine Funktionserdung oder dem Einbau in einem metallenen Chassis oder einer leitfähigen Bodenplatte leitfähig direkt geerdet. Beispielsweise: Hutschienengerät wird leitfähig auf geerdete Sammelschiene im Anlagenschaltschrank geklickt.
Der Prüfling hat geschirmte Netzwerkleitungen, die mit einer 150 Ω AAN während der Emissionsprüfung abgeschlossen sind.
Die Betrachtung der Schleifenimpedanz zeigt, dass der Common-Mode-Strom der zum Spannungsabfall über der Netznachbildung je nach Einsatz und Schnittstellen des Prüflings stark schwankende Schleifenimpedanzen durchläuft. Dies bedeutet auch, dass Netzfilter an die Applikation im Prüfaufbau angepasst sein müssen. Mit einer Beispielbetrachtung bei einer Störfrequenz von 150 kHz bei einer Koppelkapazität von 22 pF ergibts sich eine Impedanz von circa 48 kΩ. Schließt man den Prüfling an die Referenzmasse an, so fällt diese Impedanz auf einen sehr geringen Wert, denn die ursprüngliche Koppelkapazität zwischen Prüfling und Schirmkabinenwand wurde kurzgeschlossen – die Stromschleife hat sich somit signifikant geändert.
Bei all diesen Betrachtungen muss berücksichtigt werden, dass es sich um sehr grobe Daumenkalkulationen handelt, um die Effekte der EMV-Prüfung zu erklären und zu verstehen. Ziel ist es für die Kalkulation des Netzfilters die richtige Topologie und passende Größenordnungen an Bauteilen auszuwählen.
Oftmals wird der Anschluss eines sekundärseitigen Gerätes an einen Prüfling in der EMV-Risikobewertung des zu prüfenden Gerätes übersehen. Beispielsweise kann eine USB-Schnittstelle mit einem USB-Stick geprüft werden. In diesem Fall liegt keine galvanische Kopplung zur Referenzmasse vor. Schließt man aber statt einem USB-Stick ein Gerät mit Schutzleiter an den USB-Anschluss an, so wird die Schnittstelle über den USB-Schirm relativ niederimpedant geerdet. Wie im oben gezeigten Beispiel ändert sich somit die Schleifenimpedanz signifikant und die Ergebnisse der Störaussendung können sich stark ändern.
Common Mode und Differential Mode Störern
Da die Ergebnisse der Funkstörspannungsmessung aus einer Überlagerung aus Common- und Differential-Mode-Störern bestehen, muss im EMV-Labor vor dem Filterdesign eine Unterscheidung der Störkomponenten erfolgen. Klassischerweise nutzt man hierzu eine HF-Stromzange und führt die Leitungen durch die Stromzange.
Das Ergebnis am Messempfänger zeigt den Störstrom durch beide Aderpaare als Differential Mode Strom und Common Mode Strom. Achtung: Durch die Impedanzkurvenform der Netznachbildung und der Nichtlinearität der Stromzange können Verzerrungen zwischen Störstrom und Störspannung auftreten. Das Ergebnis im Frequenzbereich zwischen Differential Mode und Common Mode bleibt aber aussagekräftig, da die Relation jeweils stimmt. Bei der Messung mit Stromzange ist es wichtig, dass diese Unterscheidung im Impedanzsystem der Funkstörspannungsmessung durchgeführt wird. Führt man die Messung am Labortisch durch, fehlt das Masse-Bezugsystem und damit fehlen die Koppel-Impedanzen des normativen Aufbaus. Dadurch ändern sich die Common-Mode-Ströme und das Messergebnis weicht von der normativen Messung ab.
Filterdesign
Sind der Aufbau der Funkstörspannungsprüfung und die daraus resultierenden Impedanzen verstanden und sind die Störströme in Common Mode und Differential Mode unterschieden, kann nach der Applikation Note ANP015 von Würth ein Filter entworfen werden. In folgendem Abschnitt wird die Wirkung eines Filters im Gesamtsystem anhand eines Netzteils betrachtet.
Entstehung von Common Mode Störern
Common Mode Störer entstehen vor allem in Netzteilen mit galvanischer Trennung durch die Streukapazität des Trafos (Flyback Übertrager). Die Leistungselektronik schaltet schnelle Taktflanken und erzeugt so eine sich schnell ändernde Spannung (dV / dt). Durch die Koppelkapazität zwischen Primär- und Sekundärseite koppeln so Common-Mode-Störungen in das System nach Abbildung 2. Die Störquelle ist über die parasitäre Koppelkapazität des Trafos zur Sekundärseite des Netzteiles verbunden und generiert so Common-Mode-Störungen. Ein gängiger Weg zur Reduktion dieser Common-Mode-Störer in der Schaltung ist der Einsatz von Kondensatoren zwischen Primär-und Sekundärseite des Trafos. Hierbei werden meist spannungsfeste Y-Kondensatoren genutzt, deren Kapazität laut Daumenregel einen Faktor 100 höher sein sollten als die Streukapazität des Trafos. Eine geringe Streukapazität des Trafos reduziert die Kapazität der benötigten Kondensatoren von Primär- nach Sekundärseite, senkt die Einkopplung des Common-Mode-Störstroms und reduziert somit auch den gesamten Filteraufwand. Ähnliche Effekte sind auch bei Motor – Inverter-Systemen zu beachten – Stichwort Motorstreukapazität.
Kapazitive Schirmplatte / Chassis
Aus der Diskussion über Common-Mode-Schleifenimpedanzen nach Abbildung 2 geht hervor, dass bei Prüflingen mit großer Fläche die Koppelkapazität trotzdem klein ist und sich dadurch eine sehr große Schleifenimpedanz ergibt. Das Erhöhen der Impedanz des Filters ist daher nicht zielführend. Vielmehr sollte man die Störung im Netzteil halten und eine Rückstromschleife über das Chassis oder eine kapazitiv gekoppelte „Schirmung“ schaffen. Ist die Schleifenimpedanz hingegen schon sehr niedrig, beispielsweise weil eine geschirmte Schnittstellenleitung angeschlossen ist, so kann die Impedanz Erhöhung mit einer Common-Mode-Drossel (CMC) die Störungen sehr effektiv reduzieren. Die Abbildung 5 zeigt die Konfiguration aus einem Filter vor dem Prüfling mit einer Koppelplatte oder einem Chassis.
Die Distanz zwischen Filterplane und Elektronik ist deutlich geringer als die Distanz der 40 cm Koppelkapazität zur Referenzmasse. Der Störstrom wird also auf das Blech fließen und wird dann im Filter über die Y-Kondensatoren zurückgekoppelt. Der Kreis des Common-Mode-Störstroms schließt sich somit über den Filter – der Störstrom wird an der Netznachbildung vorbeigeführt. Im Gerät selbst steigt der Störstrom an, denn die Schleifenimpedanz sinkt – daher ist im Gerät mit höheren Störungen zu rechnen, allerdings wird die Umgebung nicht mehr gestört. Um eine erfolgreiche Entstörung mittels EMV-Filter zu gewährleisten, sollten die Filterbauelemente nach den im nächsten Abschnitt folgenden Designempfehlungen aufgebaut werden.
Platzierung der Bauteile
Da durch den Filter die Schleifenimpedanz kontrolliert wird, sollten die Bauteile möglichst effektiv platziert werden, um übersprechen oder zusätzliche parasitäre Effekte möglichst gering zu halten. Abbildung 6 zeigt die wichtigen Punkte beim Aufbau eines Netzfilters.
Die Filterkomponenten sind wie im Bild dargestellt über Drähte angeschlossen – dies soll verdeutlichen, dass keine leitenden Flächen oder Leiterbahnen unter die Filterbauteile gezogen werden sollen. Dies verhindert ein Überkoppeln des Filters durch die Störung. Im Bild Hintergrund und unterhalb der elektronischen Baugruppe ist in grau das Chassis angedeutet. Dieses bildet den Rückstrompfad für die Störströme, welche dann über die direkt angeschlossenen Bolzen über die Y-Kondensatoren zurück in die Schaltung fließen. Um die Streuinduktivität der Kondensatoren möglichst gering zu halten, sollten diese direkt und auf kürzestem Weg mittels Bolzen zum Chassis verbunden werden. Bei mehrstufigen Filtern benötigt jede Y-Kondensator Stufe einen eigenen Verbindungsbolzen, um ein Überkoppeln der abgeleiteten Störungen des ersten Kondensatoren Paares zu vermeiden. Der Ableitstrom führt zu einem HF-Spannungsabfall im Stehbolzen, der sich wiederum in die nächste Stufe Y-Kondensatoren einkoppeln würde. In Richtung Netz wird die letzte Common-Mode-Choke immer mit einem X-Kondensator abgeschlossen, um so mögliche durch Magnetfelder in die Common-Mode-Choke des Filters eingekoppelte differenziellen Störer kurzuschließen. Zusätzlich werden differenzielle Störer der Elektronik mittels Streuinduktivität der Common-Mode-Choke gefiltert.
Hinweis: Die Nutzung des Chassis als Referenz funktioniert nur, wenn dieses auch störungsfrei ist. Ist das ganze Gehäuse, und damit die Referenzmasse schon mit einem hohen Störpotenzial versehen, weil beispielsweise die getakteten Leistungshalbleiter zur Kühlung angeschraubt sind, können die Störungen über die Y-Kondensatoren zurückgekoppelt werden – eine Detailbetrachtung zur Lösungsfindung ist dann erforderlich.
Hat ein Gerät mehr als nur einen Netzanschluss, so müssen die anderen Schnittstellenfilter gegebenenfalls auch auf das Chassis bezogen werden und Leitungsschirme flächig (keine Pig-Tail-Ausführung) mit den Chassis verbunden werden.