Messtechnik & EMV Rote Karte für Fehlentscheidungen

12.02.2013

Fehlentscheidungen gehören zum Fußball wie Ball oder Elfmeter. Mit moderner Torlinientechnik will die FIFA jetzt bei der Entscheidung „Tor oder nicht Tor“ den Schiedsrichter unterstützen.

Drin oder nicht drin? Spätestens seit dem berüchtigten Wembley-Tor beim Endspiel der Fußball-Weltmeisterschaft 1966 ist das eine Frage, über die sich die Gemüter der Fußball-Fans immer wieder erhitzen. Damals überwand der englische Nationalspieler Geoff Hurst den deutschen Torwart Hans Tilkowski mit einem Schuss aus kurzer Distanz. Der Ball prallte von der Unterkante der Latte auf den Boden auf und wurde dann von dem deutschen Verteidiger Wolfgang Weber ins Toraus geköpft. Ob der Ball im Tor war, konnte keiner klar erkennen. Der Schweizer Schiedsrichter Gottfried Dienst entschied schließlich auf Tor, Deutschland verlor das Spiel. Erst 40Jahre später ergab eine Studie eines 35-mm-Films, der während des Spiels aufgenommen wurde, dass der Ball nicht im Tor war. Dass eine derartig umstrittene Situation immer wieder passieren kann, zeigte zuletzt die Europameisterschaft 2012: Im Spiel England gegen Ukraine rettete der britische Nationalspieler John Terry den Ball auf der Linie - oder doch erst hinter ihr?

FIFA zertifiziert zwei Systeme

Der Schiedsrichter Viktor Kassai verweigerte dem Tor der Ukrainer jedenfalls die Anerkennung - und sorgte mit dieser umstrittenen Entscheidung für Diskussionen. Damit lieferte Kassai unfreiwillig den Steilpass für die Entscheidung des Fußball-Weltverband FIFA, künftig auf Technikunterstützung bei der Frage „Tor oder nicht Tor“ zu setzen. Der Verband hat dazu zwei Verfahren der so genannten „Torlinientechnik“ zugelassen: Das System GoalRef, das Forscher des Fraunhofer-Instituts für Integrierte Schaltungen IIS entwickelt haben, sowie das bereits im Tennis erprobte, kamera-basierte System von HawkEye Innovations.

Ball im Kamera-Visier

Steve Carter, Managing Director von Hawk-Eye Innovations, sagt dazu: „Nach jahrelanger Entwicklungs- und Testarbeit sind wir davon überzeugt, dass Hawk-Eye Schiedsrichtern in strittigen Torsituationen die Entscheidungsfindung erleichtern kann. Das wird Einfluss auf die Ergebnisse von Ligaspielen und internationalen Begegnungen haben.“ Das Hawk-Eye-System basiert auf mindestens vier, meist aber sechs oder mehr Hochgeschwindigkeitskameras, die von Sony geliefert werden (der Konzern hatte Hawk-Eye Innovations im Jahr 2011 übernommen). Die Kameras werden um das Spielfeld platziert, zum Beispiel auf dem Stadiondach, und nehmen beide Torräume ins Visier. Mit bis zu 1.000 Bildern pro Sekunde überwachen sie die Flugbahn des Balls, sobald er sich in der Nähe der Torlinie befindet. Das System ist dabei in der Lage, den Ball auch dann zu identifizieren, wenn nur ein kleiner Teil von ihm sichtbar oder er verdreckt ist. Die von den Kameras gelieferten Daten werden in einer zentralen Recheneinheit verarbeitet und die Position des Balls im Verhältnis zur Torlinie millimetergenau analysiert. Dazu reicht es, wenn nur zwei der installierten Kameras den Ball im Blick haben. Wenn das System erkennt, dass der Ball die Torlinie überschritten hat, schickt es diese Information in weniger als einer Sekunde an eine „Uhr“ am Handgelenk des Schiedsrichters. Außer einer sofortigen und definitiven Aussage kann Hawk-Eye auch Video-Replays liefern, die die Richtigkeit der vom System getroffenen Entscheidung belegen. Das System GoalRef der Fraunhofer-Forscher arbeitet dagegen nicht mit Kamera-Technik, sondern mit einem funkbasierten Sensorsystem. „Die Technik funktioniert ähnlich wie der Diebstahlschutz im Kaufhaus“, erläutert René Dünkler, Sprecher des GoalRef Projekts, das System.

Magnetfeld bestimmt Position

Zehn Antennen, hinter Pfosten und Querlatte liegend, erzeugen und überwachen ein schwaches, niederfrequentes magnetisches Feld. Sobald der Ball in die Nähe des Tores gelangt, wird durch dünne Spulen im Ball auf Grund der Induktion ein zweites Magnetfeld erzeugt. Peter Knap, CEO des dänischen Ball-Herstellers Select: „Die Herausforderung war es, einen Ball zu entwickeln, der sogar einem Schuss von Ronaldo standhält und gleichzeitig mit dem intelligenten Tor kommuniziert.“ Die Wechselwirkung zwischen dem Erregerfeld im Tor und dem induzierten Feld beim Ball kann mit Hilfe von Detektionsspulen am Tor erfasst werden. Durch Messung und Interpretation der �?nderungen des Magnetfeldes im Tor lässt sich exakt bestimmen, ob sich der Ball hinter der Linie befindet oder nicht. Den Schritt der Verarbeitung übernimmt ein Computer mittels einer Software des Fraunhofer IIS. Damit wird ein zuverlässiges und eindeutiges Ergebnis ermittelt. „Man kann sich GoalRef als einen unsichtbaren Vorhang vorstellen, der hinter Querlatte und Torlinie gespannt ist. Sobald der Ball diesen �??Vorhang‘ komplett passiert, wird ein Tor erkannt“, sagt Ingmar Bretz, Projektleiter von GoalRef. Diese Information sendet das System automatisch über verschlüsselte Funksignale in Echtzeit an die Schiedsrichter. Spezialuhren am Arm des Unparteiischen zeigen dann das Ereignis visuell und mittels Vibration an.

Besser als das menschliche Auge

Laut FIFA soll die Torlinientechnik spätestens zur Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien eingesetzt werden. Noch sind einige Fragen zu klären, zum Beispiel zum Punkt der Kosten. Doch grundsätzlich ist die Reaktion der Fußball-Welt auf die Torlinientechnik positiv: So hat sich unter anderem Lutz Wagner, in der Schiedsrichterkommission des DFB der Koordinator für Basisarbeit und Regelumsetzung, deutlich für Hightech als Hilfe für die Referees ausgesprochen. „Drin oder nicht drin, das kann die Technik einfach besser entscheiden als das menschliche Auge, das immer auch fehlerbehaftet ist“, so Wagner laut DFB.

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