Welche Vision haben Sie bei Bäumer in Bezug auf Industrie 4.0 und Servitization?
Hauck:
Was Maschinen tun, hat sich kaum geändert, aber das Sammeln und Verarbeiten von Informationen hat sich komplett verändert. In den letzten 10 bis 20 Jahren gab es einen Übergang von traditionellen Maschinenbauunternehmen zu IT-Unternehmen. In der Vergangenheit war der Hotline-Service in der Regel kostenlos und hat uns viel Zeit gekostet. Das ist ein Problem, vor dem praktisch jedes alteingesessene Maschinenbauunternehmen steht. Irgendwann muss man erkennen, dass der Verkauf der Maschine in Ordnung ist, aber mehr sollte man nicht kostenlos anbieten. Heutzutage arbeiten viele Unternehmen wie Bäumer an einer Strategie, Einnahmen aus Servicepaketen zu generieren, um Kunden bestmöglich zu bedienen. Ich bin davon überzeugt, dass dies die Zukunft sein wird.
Welchen Herausforderungen in Bezug auf Industrie 4.0 und Servitization mussten Sie sich stellen?
Hauck:
Es ist eine Herausforderung, schnell herauszufinden, was die individuellen Fragen und Anforderungen jedes Kunden sind. Wir haben kleine Kunden, die einfach nur eine Stand-alone-Maschine wollen, die problemlos produziert, und wir haben Kunden, die komplette Schneidlinien samt MES-System geliefert bekommen wollen. Gleichzeitig müssen wir dafür sorgen, dass unsere Mitarbeiter die unterschiedlichen Kundenerwartungen kennen. Man kann nicht davon ausgehen, dass sich alle Kunden in nur eine Richtung entwickeln werden. Wir erleben die ganze Bandbreite an Kundenausrichtung, d.h. nicht 100 Prozent des Marktes werden nur Groß-Anlagen kaufen.
Neuenhausen:
Bereits 2016 wurde der Bedarf an digitalen Dienstleistungen bei Bäumer erkannt. Im Jahr 2019 haben wir unser erstes Service- und IoT-Portal gelauncht. Leider halfen die meisten der verfügbaren Funktionen unseren Kunden nicht wirklich weiter und ich konnte meine Kollegen nicht davon überzeugen, es zu nutzen. Für sie war es zu schwierig zu bedienen. Sie hatten zu viele Probleme, im Servicefall schnell auf die Maschine zuzugreifen.
Dann erfolgte der Wechsel zur aktuellen Lösung auf Basis der Ixon Cloud?
Neuenhausen:
An diesem Punkt wurde uns klar, dass wir auf eine andere Lösung umsteigen mussten, die so intuitiv bedienbar wie möglich sein sollte. Wenn Kunden und Kollegen die Software gerne verwenden, wird sie auch häufiger verkauft. So begannen wir mit Ixon Cloud zu arbeiten und konnten damit schnell ein Servicepaket für unser Sophie-System einführen. Der interne Aufwand für die Inbetriebnahme und Einrichtung einer Remote-Verbindung wurde um 50 Prozent reduziert. Die Kosten für das erste Jahr der Gewährleistung bei unseren Maschinen sind bereits um über 30 Prozent gesunken. Unsere Kollegen nutzen nun wieder gerne den Fernzugriff.
Steigerte das auch die interne Akzeptanz der Servitisierung?
Hauck:
Die größte Veränderung in der Organisation, als wir mit digitalen Dienstleistungen begannen, war für uns die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Disziplinen. Vor Jahren haben wir mit Elektrikern und Mechanikern begonnen, aber jetzt ist eine weitere Disziplin hinzugekommen: Die Software-Spezialisten. Sie müssen vom ersten Tag an zusammenarbeiten und sich gegenseitig verstehen. Abgesehen davon war nicht viel Veränderung nötig. Unsere Mitarbeiter wissen alle, dass die Digitalisierung wichtig ist. Ich verstehe natürlich die Frage – auch von Shareholdern – wo man die dadurch erzielten Mehr-Erlöse sehen kann. Aber man kann für die fortschreitende Digitalisierung nicht unmittelbar einen bestimmten ROI ermitteln. Wir müssen jetzt investieren, weil die Digitalisierung wichtig ist. Es geht um den Ruf des Unternehmens. Vielleicht werden wir in einigen Jahren den ROI für das, was wir gerade erst begonnen haben, erhalten. Eine ROI-Ermittlung, wie bei der Anschaffung von Maschinen, wäre zu kurz gegriffen. Bevor unsere Kunden viel Geld für unser Sophie-Paket bezahlen, wollen sie natürlich sicher sein, dass es sich auch lohnt. Das ist einer der Gründe, warum wir die vorherige Lösung übersprungen haben und zu Ixon Cloud gewechselt sind. Wir sind mit dieser Lösung zufrieden. Die Dienstleistungen sind großartig, die Reaktionszeit ist sehr gut und das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt.
Nutzen Kunden bereits das Bäumer Servicepaket?
Hauck:
Unser Kunde Ikano, der Matratzenhersteller von Ikea, hat sehr früh erkannt, was er mit Daten machen kann und hat sich bereits für unser Software- und Dienstleistungspaket Sophie entschieden. Sie sammeln nun Daten aus dem gesamten Herstellungsprozess.
Dudziński:
Vor etwa zehn Jahren habe ich zum ersten Mal von Industrie 4.0 gehört. Damals konzentrierten wir uns darauf, unsere Produktion zu automatisieren, zu „robotisieren“ und IT-Tools zu implementieren. Wir hielten Daten in verschiedenen Systemen pro Abteilung unserer 300 Meter langen Produktionslinie. Das machte es uns schwer, die Daten abzugleichen und die Rückverfolgbarkeit zu gewährleisten. Sophie von Bäumer ist ein System, das uns hilft, transparenter und effizienter zu produzieren. Alle Daten sind jetzt an einer zentralen Stelle verfügbar, was die Übersichtlichkeit für alle erhöht. Es ist viel einfacher, Nachforschungen anzustellen, auch bereits während der Produktion. Wir können im Falle eines Problems direkt eingreifen und nicht erst nach der Produktion. Außerdem können wir die Produktionskosten und den Verbrauch von Rohstoffen genauestens berechnen. Früher hatten wir eine sichere Marge, aber jetzt produzieren wir mit einem Minimum an Abfall, was uns eine Menge Geld spart. Ein Beispiel dazu: Sophie ermöglicht durch intelligentes 3D-Vermessen der Schaumstoffblöcke die Minimierung von Abfall, das heißt 1 cm weniger Verschnitt über die gesamte Länge aller Schaumstoffblöcke spart uns bei Vollauslastung im Jahr knapp 1 Million €. Außerdem können wir nach Bedarf produzieren, die Qualität unserer Produkte hat sich verbessert, und unsere Produktionszeit ist von fünf auf drei Tage gesunken.
Welche Ratschläge haben Sie für andere Maschinenbauer?
Neuenhausen:
Setzen Sie Prioritäten und gehen Sie Schritt für Schritt vor. Versuchen Sie nicht, eine Lösung zu entwickeln, die viele verschiedene Bedürfnisse abdeckt. Konzentrieren Sie sich auf eins. Holen Sie sich frühzeitig das Feedback Ihrer Kunden ein und versuchen Sie sich zu verbessern, oder hören Sie rechtzeitig auf, bevor Sie zu viel Zeit und Geld investieren. Zudem brauchen Sie Mitarbeiter, welche sich ausschließlich auf die Digitalisierungsprojekte konzentrieren und diese zusammen mit dem Kunden vorantreiben.
Hauck:
Suchen Sie sich einen professionellen Partner. Man kann andernfalls sehr schnell viel Zeit, Energie und Geld verschwenden, wenn man versucht es selbst zu machen, oder, wenn man den falschen Dienstleister wählt. Es gibt im Grunde drei Schlüssel zum Erfolg. Erstens: Kenne die Werkzeuge, die du verwendest! Sie müssen zum Beispiel wissen, wie man eine SPS programmiert, wie man das IIoT-Portal einrichtet und wie man damit umgeht. Zweitens: Kenne den Kunden! Ihre Kunden haben unterschiedliche Spezifikationen, wie die Maschine ist oder wie ein Schaltschrank gebaut wird. Drittens: Lebe im Prozess des Kunden und kenne die Technologie! Sie wissen genau, was der Kunde mit der Maschine macht. Wenn Ihre Ingenieure diese drei Punkte genau kennen, ist das ein hundertprozentiger Gewinn.
Worauf konzentrieren Sie sich künftig bei Bäumer?
Neuenhausen:
Für die Zukunft von Bäumer konzentrieren wir uns auf fünf Digitalisierungssäulen: Vernetzte Systeme, intelligente und effiziente Maschinen, beste Betreuung des Portfolios über die Lebensdauer, individuelle Lösungskompetenz auf Basis des Standard-Produktportfolios sowie Portfolio-Erweiterung und externe Wertschöpfung.