Klingt doch idyllisch: Kupferdreh, ein Stadtteil im Südosten von Essen mit kleinstädtischem Flair. Dort also sitzt die Kraftwerksschule (KWS), die viele in der Branche immer noch "Kraftwerkerschule" nennen. "Selbst jüngere Leute sagen oft noch so", wundert sich Uwe Möller, Projektleiter internationale Aktivitäten und langgedienter Betriebsrat. "Ein Namenswechsel ist echt schwierig, der braucht eine ganze Generation, bis er sich wirklich durchsetzt", meint er fast schon -resignierend.
Hier im Deilbachtal lernen in jährlich über 400 Kursen Tausende von Teilnehmern, wie sie mit den gewaltigsten Energieerzeugungsmaschinen umgehen, die das Land zu bieten hat. Von einer "Kathedrale der Technik", höher als der Kölner Dom, redet Dr. Volker Meyer, der KWS-Experte für Simulationstechnik, wenn er beim Rundgang durch die Schulungsräume auf das Braunkohlekraftwerk mit optimierter Anlagentechnik (BoA) der RWE zu sprechen kommt - je Block 1100 MW. Wer solche Giganten steuert, lädt ähnlich viel Verantwortung auf sich wie der Pilot eines Jumbos - und lernt sein Handwerk daher an ähnlichen Schulungsinstrumenten - den Simulatoren.
Seit 1977 entwickelt und betreibt die KWS solche Kraftwerkswarten zu Trainingszwecken. Mittlerweile bietet sie ein Simulatortraining für drei Typen an: fossil befeuerte Kraftwerke, Gas- und Dampfkraftwerke sowie Industriekraftwerke. Die KWS gehört zur VGB-Gruppe, die aus der 1920 gegründeten Vereini-gung der Großkessel-Besitzer hervorging, "nach den Richtlinien des VGB" arbeitet und helfen will, die Betriebssicherheit, Umweltverträglichkeit, Verfügbarkeit und Wirtschaftlichkeit von Anlagen zur Strom- und Wärmeerzeugung zu heben, wie die Web-Site des VGB vermerkt.
Nicht zu verwechseln ist die KWS übrigens mit dem 1987 aus ihr entstandenen und ebenfalls zur VGB-Gruppe gehörenden Simulatorzentrum der Kernkraftwerksbetreiber ein paar Hausnummern zuvor, das für die Schulung des Schichtpersonals von Kernkraftwerken an "Full-scale-Simulatoren" zuständig ist und aus zwei Gesellschaften besteht. "Wir bilden zwar auch in Kerntechnik aus, aber nur die Fachtheorie", grenzt Möller die KWS von den auf Atomkraftwerke spezialisierten Nachbarn (KSG-Kraftwerks-Simulator-Gesellschaft und Gesellschaft für Simulatorschulung) ab.
Atomkraft als Initialzündung
Atomkraft war jedoch so etwas wie die Initialzündung für den Simulatorbau: "Man hat im Zusammenhang mit Kernkraftwerken gelernt, wie sinnvoll es ist, komplexe technische Prozesse zu simulieren", so Möller, der im Zuge des Ausbaus auch schon einen Umzug aus der Innenstadt von Essen mit-erlebt hat. "Seit 1986 betreiben wir die Simulatoren für fossilbefeuerte Kraftwerke hier im Haus."
Auch im Umgang mit den älteren Kraftwerks-Exemplaren sucht man heute die "Knopfbedienung" vergeblich, wie sie noch am vormaligen Standort in der Esse-ner Klinkestraße üblich war. Die Entwicklung ging inzwischen eindeutig zur Bildschirmbedienung. Neue Anforderungen gibt es dabei ständig in Sachen Leittechnik. So erhielt erst im vergangenen Jahr der KWS-Simulator für Gas- und Dampfkraftwerke die gängige SPPA-T3000 von Siemens. Dazu mussten die Leittechnikcodes des bestehenden Simulators für Gas- und Dampfkraftwerke vom nicht mehr unterstützten TXP in die Befehle der neuen Generation übersetzt werden. "Bei den älteren Simulatoren war die Leittechnik noch in Software funk-tionsgleich nachgebildet", erinnert Möller sich. "Für die neuen Simulatoren steht Original-Leittechnik zur Verfügung. Das ist zwar viel aufwendiger, aber realitätsnäher und daher so gewünscht."
Trotzdem: Perfekte Genauigkeit in der Simulation würde den Aufwand ins Unermessliche treiben, ohne wirklich erforderlich zu sein. "Bestimmte Bereiche müssen die Wirklichkeit quantitativ sehr exakt nachbilden, andere müssen nur funktional richtig wiedergeben", skizziert Dr. Meyer die Anforderungen.
Feuchte Hände beim Absturz
Das Resultat ist offensichtlich mehr als ausreichend für praktische Zwecke: "Das Training ist so realitätsnah, dass manche Mannschaften aus Angst um ihr Kraftwerk feuchte Hände kriegen, wenn mal etwas schief läuft", freut sich Dr. Meyer. "Das Tolle ist natürlich: Dann kann man im Schulungsraum in Ruhe analysieren, was passiert ist und wie ein solcher Fall vermieden werden kann." In der Realität wären dagegen eventuell ernste Schäden an Komponenten oder zumindest ein enormer Verdienstausfall entstanden, bis das Team so ein Kraftwerk nach Stunden wieder ans Netz bekommt.
Das ist auch der Grund, warum sich eine derartige Schulung für die Kraftwerksbetreiber rechnet, obwohl "Simulatorschulung das Teuerste ist, was Sie so kaufen können", wie Dr. Meyer zuspitzt. Geld verdienen darf die KWS damit aber nicht, denn sie ist als gemeinnütziger Verein organisiert, also ohne Gewinnerzielungsabsicht aktiv. Der Verein zählt zwei Dutzend fördernde und rund 200 ordentliche Mitglieder, deren Mitgliedsbeiträge sich nach der ehrwürdigen Währung "Dampfdauerleistung" bemessen: 415.000 Tonnen pro Stunde kommen da rechnerisch zusammen, auch dank einiger Betreiber von Laufwasserkraftwerken, für die ein Umrechnungsfaktor gilt.
Von den über 70 Mitarbeitern der KWS sind rund 30 Ingenieure für die Ausbildung zuständig, rund 250 externe Dozenten aus dem Netzwerk der Mitgliedsunternehmen verstärken die Ausbilder-Crew. "Wir sind sehr stolz, dass wir sehr nahe an den Bedürfnissen der Wirtschaft und Industrie arbeiten", sagt Uwe Möller.
Die Ausbildungsinhalte mussten sich schon in Folge der Liberalisierung des Strommarktes ständig ändern. Die Zeiten, in denen ein Kraftwerksmeister ein reiner Techniker war, sind vorbei - er müsse heute auch wirtschaftlich denken können, weiß Mölller. So kostenbewusstes Handeln sei zum Beispiel während einer Hochpreisphase nötig, um im Falle einer kleinen Störung weiterhin Strom zu liefern. Die Rechnung geht auf, wenn der schließlich erzielte Gewinn den riskierten Bagatellschaden an Anlagenteilen deutlich übersteigt.
Erneuerbare im Programm
Auch die erneuerbaren Energien erfordern ein Umdenken. Man schaue sich neue Gebiete an bis hin zum Smart Grid, wobei aber die Netzperspektive nicht im Mittelpunkt stehe. Warum auch, dafür gibt es Spezialisten wie etwas in Duisburg den Spin-off der dortigen Universität: DUtrain bildet Strom- und Gasnetzbetriebsführer auf einem Stand-alone-Simulator aus, etwa um den Netzwiederaufbau nach Großstörungen zu üben.
Seit zwei Jahren arbeitet die KWS nun intensiv am Aufbau von Kursen für erneuerbare Energien und hat für dieses Jahr zum ersten Mal neben dem prall gefüllten konventionellen Kursprogramm ein schmales "grünes" Heft für die Erneuerbaren herausgebracht. Was die Fossil-Spezialisten zu diesem Thema in die Waagschale werfen könnten, ist nicht auf den ersten Blick klar. "Wir haben die Erneuerbaren relativ lange sträflich links liegen lassen", gibt Möller zu - vielleicht nicht verwunderlich angesichts einer Mitgliederstruktur im Verein, die erneuerbare Energien lange Zeit sehr skeptisch beurteilt hat.
Inzwischen gehe man das Thema "sehr energisch" an, insbesondere seit aus den Reihen der Vereinsmitglieder sogar konkrete Bedürfnisse erwachsen. Das habe zu einem umfassenden Ansatz geführt: "Wir sind der erste Anbieter, der ein Rundumpaket macht", sagt Möller. So ist zum Beispiel beim "Servicemonteur für Windenergieanlagentechnik" eine Off-shore-Komponente dabei, die Helikoptertraining, Tauchrettungstraining, Seenotrettungstraining und ähnliche Maßnahmen einschließt und damit weit über die eigentliche Energietechnik hinausgeht.
Die raue Umgebung schafft ganz neue Auswahlkriterien: Mit dem Sicherheitstraining zu beginnen, habe sich bewährt. Sonst kann sich nach der fachspezifischen Ausbildung herausstellen, dass die angehenden Offshore-Monteure Höhenangst haben oder sich nicht aus einer Rettungsgondel befreien können. "Solche Leute kannst du nicht auf die Anlage rausschicken", so Möller.
Weitere Informationen
www.kraftwerksschule.de
www.simulatorzentrum.de
www.dutrain.de