Ich bin überzeugt davon, dass wir es schaffen, im Jahr 2020 rund 38 Prozent unseres Stroms durch Wind, Sonne, Wasser und Biomasse zu erzeugen. Und das, ohne die Versorgungssicherheit zu gefährden“, sagte der Baden-Württembergische Umweltminister Franz Untersteller Anfang 2012 bei der Bekanntgabe der Ziele und Vorhaben beim Ausbau der erneuerbaren Energien. In Folge wurden viele Maßnahmen in die Wege geleitet: So zum Beispiel ein neues Landesplanungsgesetz und der Windenergieerlass, der für alle am Bau einer Windenergieanlage beteiligten Parteien als „praxisorientierte Handreichung und Leitlinie“ dient; oder der Potenzialatlas für erneuerbare Energien in Baden-Württemberg, ein zunächst landesweites Solar- und Freiflächenkataster für Photovoltaik, das im Internet zu finden ist. In einem zweiten Schritt soll der Atlas auch die Windkraft-Standorte in einem Suchraumkataster erfassen. Erste Ergebnisse des Potenzialatlas erwartet die grün-rote Landesregierung noch 2012. Auch ein Klimaschutzgesetz hat sie in die Wege geleitet und Eckpunkte definiert.
Ambitionierte Ausbau-Ziele
Die Ziele für die Erneuerbaren speziell in der Windenergie sind ambitioniert. So soll der heimische Windstrom 2020 einen Anteil von zehn Prozent der Stromerzeugung decken - derzeit liegt sein Anteil bei knapp einem Prozent. Um das Zehn-Prozent-Ziel zu erreichen, sind laut Windenergieerlass vom 9. Mai dieses Jahres rechnerisch 1200 neue Windenergieanlagen mit einer Leistung von je 3 MW nötig.Bei der Photovoltaik geht eine Tendenz hin zu größeren Projekten. Zum Beispiel bei den Energiegenossenschaften (siehe auch S. 48) wie Dr. Michael Roth, Berater beim Genossenschaftsverband beobachtet: „Auch wenn die Photovoltaik die größte Gruppe darstellt, werden hier kaum noch kleinere Projekte kommen, sondern eher größere Anlagen auf Konversionsflächen.“ Wie viele und welche Energiegenossenschaften gefragt sind, ist im Kasten auf Seite 61 aufgeführt. Auch Unternehmen engagieren sich bei der Photovoltaik. Beispiele dafür sind Helukabel oder die Lapp-Gruppe, die PV-Anlagen auf Verwaltungs- und Produktionsgebäuden oder Logistikzentren bauen oder gebaut haben und zudem an allen Standorten weltweit eine CO 2-neutrale Energiebilanz anstreben. Den bisher größten Anteil regenerativ erzeugten Stroms leistet die Wasserkraft - sie deckt rund 6,4 Prozent (etwa 5TWh) des Stromverbrauchs im Ländle und ist schon weitgehend ausgebaut. Für die Wasserkraft, aber auch die Biomassenutzung sieht Prof. Dr. Frithjof Staiß, geschäftsführender Vorstand des Zentrums für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW), allerdings geringere Ausbaupotenziale, wie er anlässlich der Präsentation einer Studie zum Potenzial der Erneuerbaren Anfang des Jahres sagte [1]. Mit einer Stromerzeugung von knapp 9 TWh sei in diesen Bereichen bereits eine gewisse Sättigung erreicht. Für die Biomasse wird laut Studie eine wichtige Aufgabe zukünftig in der Systemstabilisierung liegen, indem Biomasseanlagen bedarfsgerecht Strom erzeugen und einspeisen. Ein Beispiel für den Ausbau der Bioenergie liefern die zahlreichen vom Umweltministerium geförderten Bioenergiedörfer, die ihre Wärmeversorgung überwiegend aus Biomasse decken, aber auch in Kombination mit anderen erneuerbaren Energien. Mitte 2012 waren 43 Bioenergiedörfer in Betrieb, fünf im Bau und 28 in Planung. Doch können die erneuerbaren Energie allein die Lücke im Strommix von Baden-Württemberg nicht schließen, wenn 2022 die Kernkraft komplett abgeschaltet wird - derzeit liegt ihr Anteil bei rund 48 Prozent. Hinzu kommt, dass viele Kohlekraftwerke über 40 Jahre alt sind und der Druck steigen wird, auch diese abzuschalten. Die entstehende Lücke sollen konventionelle Kraftwerke, speziell flexiblere Gaskraftwerke füllen - wie auch die ZSW-Energieprognose für 2020 zeigt. Was fehlt, sind passende Geschäftsmodelle oder Rahmenbedingungen für einen wirtschaftlichen Betrieb der als systemrelevant gehandelten Gaskraftwerke.
Herausforderung Gastransport
Zur fehlenden Rentabilität der Gaskraftwerke eröffnen sich nun aufkommende Schwierigkeiten beim Gastransport im südlichen Bundesland. So kam es während der Kälteperiode Anfang Februar 2012 zu einem Transportengpass, der enorme Herausforderungen an die Kapazitätsregelung stellte. In diesem Punkt entwickelt sich allmählich ein Dilemma wie Dr. Thomas Gößmann, Sprecher der Geschäftsführung der Terranets BW sagt: „Die Schwierigkeit ist, dass die Netze auf die Spitzenlast ausgelegt werden müssen, die in den vergangenen Jahren gestiegen ist, aber nur an wenigen Tagen im Jahr auftritt. Im Gegensatz dazu nimmt der Gasverbrauch seit Jahren jährlich um etwa ein Prozent ab.“ Doch damit nicht genug: „Immer mehr Stadtwerke bauen ihre Kugel- und Röhrenspeicher ab, da sie sich im Rahmen der Regulierung nicht mehr rechnen. Die Speicher dienen zur Spitzenkappung. Stehen sie nicht mehr zur Verfügung müssen die Spitzen aus dem Netz gedeckt werden“, sagt Gößmann und weist gleich auf eine weitere Herausforderung bei der Kapazitätsregelung hin: „Ein weiterer Trend ist, dass die in der Gasbranche üblichen unterbrechbaren Verträge immer weniger werden.“ Bei einem Engpass kann damit die Gaslieferung für Unternehmen unterbrochen werden, die zum Beispiel für bestimmte Produktionsprozesse nicht auf eine durchgehende Gasversorgung angewiesen sind oder auf einen bivalenten Brenner zurückgreifen können, der auf Öl umgestellt werden kann. „Heute geht jeder davon aus, immer und zu jedem Zeitpunkt, Gas in jeder Menge zu bekommen“, erläutert Gößmann diese Entwicklung. Eine Lösung wären flexiblere Verteilnetze, die automatisiert und ferngesteuert schnell mit abschaltbaren Kapazitäten auf Engpässe reagieren können. Doch die technischen Möglichkeiten hierfür sind noch nicht geschaffen. Für eine verbesserte Gasversorgung im Raum Stuttgart ist die Nordschwarzwaldleitung von Au am Rhein bis Leonberg in Planung - der erste Abschnitt bis Ettlingen wurde im Juli 2012 genehmigt. Diese Leitung könnte auch die benötigten Kraftwerke versorgen wie Gößmann sagt: „Wir haben Kapazitätsanfragen für Gaskraftwerke, die wir mit der Nordschwarzwaldleitung oder einer Alternative bedienen würden.“ Investitionsentscheidungen für Leitungen sowie für Gaskraftwerke stehen allerdings noch aus. Eigenen Angaben zufolge prüft der Energiekonzern EnBW den Bau von flexiblen Gaskraftwerken auch in Baden-Württemberg. Doch die Bedingungen dafür müssen günstig sein, besonders bei den Konditionen der Brennstoffbeschaffung und der Möglichkeit zur Anbindung an ein Fernwärmenetz.
Bedenken bei der Versorgungssicherheit
Die Unklarheit, wie die steigende volatile Einspeisung ausgeglichen werden soll, beunruhigt besonders energieintensive Unternehmen. Zum Beispiel die Wieland-Werke, die zur Herstellung von Halbfabrikaten und Sondererzeugnissen aus Kupfer und Kupferlegierungen nicht nur viel Energie benötigen, sondern auch auf geringe Spannungsschwankungen angewiesen sind. Aus deren Sicht gefährdet die Energiewende nicht nur in Baden-Württemberg, sondern in ganz Deutschland die Versorgungssicherheit, und steigende Energiepreise belasten zudem die Wettbewerbsfähigkeit. „Allen Beteiligten muss klar sein, dass die Energiewende nur mit der Industrie funktioniert und keinesfalls gegen sie“, warnt Ulrich Altstetter, Mitglied des Vorstands der Wieland-Werke. „Es besteht dringender Handlungsbedarf.“ Im eigenen Unternehmen haben Investitionen in energieeffiziente Technik zum Beispiel am bayerischen Standort Vöhringen rund 18 Millionen Kilowattstunden Energie in den vergangenen vier Jahren gespart. Ein Lösungsansatz für die Versorgungssicherheit insbesondere in Süddeutschland wäre aus Sicht der EnBW, eine „strategische Reserve“ für den Erzeugungsmarkt zu definieren. Das heißt, Kraftwerke in Bereitschaft zu halten, die ansonsten nicht wirtschaftlich betrieben werden können und die für die Bereitstellung ihrer Kapazität ein Entgelt erhalten. Auch wenn die EnBW und andere Kraftwerksbetreiber hierzu in engem Kontakt mit den Übertragungsnetzbetreibern und der Bundesnetzagentur stehen, ist eine Entscheidung dazu noch nicht abzusehen.Bis dahin wird im kleinen Maßstab viel umgesetzt sein. Laut EnBW fragen Industrie-, Gewerbe- und Privatkunden wie auch Stadtwerke und Kommunen immer stärker nach Energielösungen und Konzepten. Andere Unternehmen haben schon gehandelt. So hat zum Beispiel die M+W Group schon 1998 beim Bau ihre Zentrale in Stuttgart auf thermische Solarkollektoren, Photovoltaikmodule in der Fassade und Blockheizkraftwerke gesetzt und bis heute damit eigenen Aussagen zufolge rund 15 Millionen Kilowattstunden fossiler Energie gespart. Erfahrungen vom eigenen Firmensitz seien in vielen internationalen Kundenprojekte eingeflossen. Ebenfalls 1998 hat sich Mann+Hummel zum umweltfreundlichen Handeln verpflichtet und den ersten Standort nach der damals noch jungen Umweltnorm ISO 14001 zertifiziert. Zertifikate können heute eigenen Angaben zufolge alle Standorte weltweit vorweisen. Eine energieeffiziente Produktion hat EBM-Papst in Mulfingen verwirklicht [2]. Der Spezialist für energieeffiziente Ventilatoren gehört zu den fünf aus Baden-Württemberg stammenden Unternehmen im Zusammenschluss „Klimaschutz-Unternehmen“ vom Bundesumweltministerium und dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag. Bisher gehören 19 Unternehmen zu diesem Zusammenschluss.