Fachbeitrag Smart Grid und Smart Market

11.12.2012

Die Energiewende treibt den Umbau der Energiesysteme voran, doch bislang blicken alle Marktakteure in eine unklare Zukunft. Die Bundesnetzagentur bemüht sich um die Klärung von Begriffen, skizziert eine Vision der Energieversorgung von morgen und stellt diese zur Diskussion. Wie kann die Kopplung von „intelligenten“ Verteilnetzen und Unbundling-konformen Marktplätzen gelingen?

Die von der Politik formulierten Ziele stellen die Energiebranche vor große Herausforderungen: Bereits bis 2020 soll der Anteil erneuerbarer Energien für Wärme und Strom von aktuell 25 % auf mindestens 35 % gestiegen sein. Das hat gravierende Auswirkungen auf das Energiesystem: Infrastruktur und Marktprozesse müssen sukzessive den neuen Erfordernissen angepasst werden.

Zum einen wird das volatile Einspeisen der erneuerbaren Energien regelmäßig den aktuellen Strombedarf überschreiten. Dadurch kommt es vermehrt zum vergütungspflichtigen Abschalten von Erzeugungseinheiten. Andererseits werden für jene Zeiträume, in denen die Erneuerbaren den Bedarf nicht decken können, konventionelle Kraftwerke vorgehalten werden müssen, deren Benutzungsstundenzahl immer weiter sinken wird. Die Netze müssen für die Aufnahme, Übertragung und Verteilung des Stroms aus erneuerbaren Energien ertüchtigt und ausgebaut werden.

All dies führt zu wachsenden Kosten im Gesamtsystem. Schon heute sorgen steigende Strompreise für Haushaltskunden und Industrie zunehmend für Kritik. Von der Forderung nach hoher Versorgungssicherheit will andererseits niemand abrücken. Ohne ein gravierendes Umsteuern läuft die Energiebranche Gefahr, sich auf einen Pfad zu begeben, den niemand gutheißen kann. Entweder geht die heute von den Konsumenten als selbstverständlich wahrgenommene Qualität der Stromversorgung verloren, oder die Preise für Energie steigen weiter stark an.

Erneuerbare nehmen noch nicht am Markt teil

Noch sind die erneuerbaren Energien nicht optimal in den Markt integriert. Die direkten Kosten des volatilen Einspeisens werden willkürlich über die EEG-Umlage auf die Stromkunden verteilt. Für energieintensive Unternehmen gibt es die Möglichkeit, sich von der Umlage zu befreien. Die indirekten Kosten des volatilen Einspeisens werden über die Netznutzungsentgelte auf die Stromkunden abgewälzt.

Diese Kosten entstehen durch Leistungsspitzen und Lastflussumkehr im Netz sowie durch Regelenergie - in Zukunft aber eventuell auch durch das reine Bereitstellen von Kraftwerkskapazität. Auch hier gilt, dass Großverbraucher und Einspeiser von erneuerbaren Energien die Entgelte nicht zu zahlen brauchen.

Ein solches System bietet keine Anreize, die Gesamtkosten des Systems zu senken. Auf der Erzeugungsseite müssen erneuerbare Energien zu garantierten Preisen ins Netz aufgenommen werden, wozu dieses an vielen Stellen ausgebaut werden muss. Auf der Verbraucherseite wird die Energie zum Einheitspreis entnommen, unabhängig von Erzeugungs- und Netzsituation. Immerhin gibt es zum Vermeiden von Regelenergie neue Ansätze in der Forschung, wie zum Beispiel durch die Feldversuche der E-Energy-Initiative der Bundesregierung. Hier versucht man, das volatile Dargebot an erneuerbarer Erzeugung und den Strombedarf durch Anreize besser in Einklang zu bringen. Anstatt Regelenergie in Anspruch zu nehmen oder Erzeugungsanlagen abzuschalten, wird die vorhandene Flexibilität zum Verschieben der Last bei den Verbrauchern aktiviert über Demand Side Management und Demand Response.

Damit lassen sich zwei Ziele erreichen: Der Bedarf an konventionell erzeugter Regelenergie und an Reserveleistung sinkt. Zugleich steigt der Anteil an erneuerbaren Energien im System, da nicht mehr so häufig abgeschaltet werden muss. Hierdurch können allerdings auch wieder neue Probleme durch Lastspitzen in den Netzen entstehen, die einen weiteren kostentreibenden Netzausbau erfordern.

Solchen Problemen wiederum könnte man mit variablen oder gar dynamischen Netzentgelten begegnen, wenngleich diese zeitweise gegen die Effekte des Demand Side Management arbeiten und dessen Wirkung schmälern. Engpässe, die durch neue Einspeiser im Netz entstehen, können durch vorbeugenden Ausbau oder - in gewissen Grenzen - durch eine intelligente Nutzung des Netzes mittels Marktmechanismen vermieden werden, so wie sie die Bundesnetzagentur (BNetzA) in ihrem Positionspapier vorschlägt [1]. Klar ist: Ein wirtschaftliches Optimieren des Gesamtsystems muss Erzeugung und Netzkosten gemeinsam berücksichtigen - und zwar kleinteiliger und dynamischer als es heute der Fall ist.

Verteilnetz bestimmt Marktstruktur

Was muss verändert werden? Eine intelligente Nutzung erfordert zunächst einmal Kenntnisse über die Netzbelastung und entsprechende Steuerungsmöglichkeiten - im Netz, aber auch bei den Verbrauchern. Viele Merkmale eines Smart Grids trifft man heute schon in den Übertragungsnetzen an. Im Verteilnetz hingegen sind smarte Technologien in der Regel noch wenig ausgeprägt, da solche Informationen dort bislang weder eingesammelt noch verteilt werden.

Benötigt werden ferner neue Marktplätze mit geeigneten Produkten. Mit Blick auf die Netze definieren die Netzbetreiber solche Produkte, da nur sie Kapazitätsengpässe und Produkte kennen, die Flaschenhalssituationen vermeiden helfen. Insofern muss ein Smart Market die Struktur der Netze abbilden, damit Marktteilnehmer und Netzbetreiber für die Engpasszonen geeignete Produkte handeln können. Ein einfaches Beispiel für Engpasszonen zeigt die Grafik: An einigen Punkten im Netz können Produkte (P+, P-) für zwei Engpasszonen angeboten werden, an anderen Punkten nur Produkte für genau eine Zone. Wesentlich komplexer wird das Betrachten bei vermaschten Netzen, da sich dort je nach gewählter Entlastungsstrategie die Zonen ändern können.

Systemdienstleistungen von Netzbetreibern

Soll der Netzbetreiber sich am Smart Market als Marktteilnehmer betätigen, so kann er dort nur Produkte nachfragen, die im Sinne der Kapazitätsoptimierung seines Netzes Engpässe vermeiden und damit letztlich den Netzausbau. Produkte wie das Verlagern von Lasten erzeugen dabei ihren Wert. Sie vermeiden zu bestimmten Zeiten das Überschreiten von Netzkapazitäten oder das Rückspeisen von dezentral eingespeistem Strom, oder liefern benötigte Blindleistung.

Die Kosten für diese Produkte muss der Netzbetreiber auf die Netzentgelte umlegen können. Man benötigt dafür allerdings einen regulatorischen Rahmen, der die Genehmigung von Netzentgelten mit Zukauf von externen Systemdienstleistungen ermöglicht. Da die Notwendigkeit ihres Einsatzes in Netzengpässen begründet liegt, können entstehende Kosten nicht auf einzelne Verursacher umgelegt werden, sondern müssen von all jenen getragen werden, die über den Engpass versorgt werden.

Eine solche Lösung wäre zumindest sachgerechter und für Netzbetreiber ein Anreiz, sich als engagierter Dienstleister zu profilieren. Zugleich bietet sie Netznutzern die Möglichkeit, einen Beitrag zum Reduzieren des Netzausbaus zu leisten. Natürlich bleibt immer zu prüfen, ob ein Netzausbau nicht doch die wirtschaftlichere Lösung ist. Denn der Einsatz von Produkten aus einem kleinteilig strukturierten Smart Market birgt finanzielle und technische Risiken, da es keine Gewähr dafür gibt, dass am Markt immer ausreichend Liquidität zur Verfügung steht. Wenn sich kein Anbieter findet, muss der Netzbetreiber gleichwohl wieder auf das Abschalten von Anlagen zurückgreifen.

Lieferanten oder Händler im Smart Market

Da jede geänderte Aus- und Einspeisung den Bilanzkreis eines Lieferanten betrifft, muss auch dieser in das Vermarkten des Produktes einbezogen werden. Dabei ist zu klären, wie mit Bilanzkreisabweichungen und eventuellen Ertragsausfällen beim Lieferanten umgegangen wird, wenn Produkte den Energieverbrauch verändern. Wünschenswert ist daher, dass Lieferanten sich in der Marktrolle des Aggregators engagieren. Sie könnten die vielen kleinen Flexibilitäten bei Endkunden im Verteilnetz zu größeren Produkten bündeln und dessen Vermarktung übernehmen.

Der Smart Market als Teil des intelligenten Energiesystems sollte nicht der Regulierung unterliegen. Er kann nicht per Gesetz oder Verordnung quasi aus dem Nichts entstehen. Vielmehr bedarf es innovativer Marktplayer, die sich der Herausforderung annehmen, ein neues Marktsegment zu erschließen. Dabei ist das aktive Unterstützen durch die Verteilnetzbetreiber unerlässlich. Deren Bereitschaft, an den neuen Marktplätzen mitzuwirken, muss allerdings durch regulatorische Anreize gefördert werden. Heute gibt es für Netzbetreiber kaum einen Anreiz, ihr Verhalten zu ändern. Sprich, dass sie nicht mehr auf den üblichen Netzausbau setzen, sondern Systemdienstleistungsangebote in Anspruch nehmen und dafür das smarte Verteilnetz als Infrastruktur zur Verfügung stellen.

Auf den Weg machen

Gerade im Abwägen und Ausbalancieren dieser beiden Optionen wird die große Herausforderung liegen: Ist es besser, das Netz im Hinblick auf zukünftige Anforderungen auszubauen, in naher Zukunft aber nicht optimal auszulasten? Oder soll man auf den Smart Market setzen? Damit könnte man den Netzausbaubedarf zumindest mittelfristig reduzieren.

Der Schlüssel wird vermutlich nicht in Entweder-oder-Szenarien liegen, sondern in pragmatischen intermediären Lösungen. Auf den Weg machen sollte sich die Branche allerdings alsbald.

Weitere Informationen

[1] BNetzA: Smart Grid und Smart Market - Eckpunktepapier der Bundesnetzagentur zu den Aspekten des sich verändernden Energieversorgungssystems

[2] Martin Pöppe: Smart Market - Konzept und Nutzen; Energy 2.0-Kompendium 2012, S. 84-87

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