Verbindungstechnik Steckverbinder-Babylon

02.07.2012

Den richtigen Stecker für eine neuentwickelte Anwendung zu finden, ist ein mühseliges und zeitraubendes Unterfangen. Das gilt in besonderem Maße für die vielfältigen, oft funktions-kritischen Einsatzgebiete von Steckverbindungen, von der Industrie über Computer und Medizin bis hin zum Automobil.

Es gibt Millionen unterschiedlicher Applikationen und Hunderttausende unterschiedlicher Steckerprodukte. Die Vielfalt ist zwar erklärbar und praktisch unvermeidlich - ein Ladestecker für ein E-Mobil kann nun mal nicht gleich aufgebaut sein wie ein Telefonstecker -, doch verschärfen Überlappungen, durchaus im Sinne einer Kompatibilität und Vielseitigkeit, ebenso wie herstellerspezifische Anpassungen die unübersichtliche Ausgangslage zusätzlich und tragen nicht gerade zu einer klaren Strukturierung bei. Wie gesagt und bekannt: Natürlich gibt es Normen für Steckverbinder, doch ihre Zahl, ihre Definition und Untergliederung ist Legion. Zu jedem „Steckgesicht“ gehören verschieden große und breite Kontakte beiderlei Geschlechts, mit zahlreichen Polzahlen und -reihen, Anschlussarten, Kontaktbestückungen und Kontaktoberflächen, die noch durch applikationsspezifische Anforderungs- und Qualitätsstufen erweitert werden. Nehmen wir als beliebig herausgegriffenes Beispiel für verzweigte Vielfalt die Norm EN/IEC60603-2 („VG-Leiste“, früher DIN41612). Sie erfasst Steckverbinder zur mehrpoligen Niederspannungsverbindung von Leiterplatten für Frequenzen unter 3 MHz; in Teil 2 wird die Bauartspezifikation für qualitätsbewertete indirekte Steckverbinder für gedruckte Schaltungen, Rastermaß 2,54mm (0,1 Zoll), mit gemeinsamen Einbaumerkmalen zusammengefasst. Allein diese spezielle Steckverbinderklasse besteht aus insgesamt 13 verschiedenen Grundbauformen sowie unzähligen, meist herstellerspezifisch abgeleiteten Versionen. Alle werden in 19-Zoll-Racks nach der Norm DIN 41494 zur Verbindung zwischen den Einschubkarten, meist im Europakartenformat, und der dahinter im Gestell untergebrachten Backplane eingesetzt. Diese stellt die elektrischen Verbindungen zwischen den einzelnen Einschüben her. Die Polanzahl der Stecker reicht von 20 bis 160Pins. Auf Grund der hohen Polzahl werden sie unter anderem für Busse, etwa den VMEbus, eingesetzt. Die Stecker können unterschiedlich konfiguriert sein, beispielsweise mit voreilenden Kontakten, die Anschlusspins in Einpresstechnik oder auch als Lötanschluss. Darüber hinaus unterscheidet die Norm mehrere wesentliche Ausführungen: die Bauformen B und C umfassen 2- und 3-reihige Leiterplattenverbinder mit 30 bis 160 Polen und einer maximalen Strombelastbarkeit von 2 A pro Pin. Weit verbreitet ist die Steckleiste C64 mit 2 x 32 parallelen Kontakten, während diebaugleiche C96 eine zusätzliche mittlere Kontaktreihe aufweist. Die Bauformen D und E haben bis 48 Pole mit einer maximalen Strombelastbarkeit von 6 A pro Pol und werden hauptsächlich mit Wire-Wrap-Anschlüssen in der Telekommunikation eingesetzt. Dagegen findet die zweireihige Bauform H mit 11 oder 15 Kontakten und einer Strombelastbarkeit von 15 A pro Pin überwiegend in Netzteilen zur elektrischen Energieversorgung der Baugruppen eines Racks Anwendung. Die Spannungsfestigkeit dieser Bauform beträgt bis zu 3 kV. So viel zur „Einheitlichkeit“ innerhalb einer einzigen Norm.

Schnittstellen-Standardisierung

Neben den Steckern spielt aber auch die Standardisierung der Schnittstellen eine wesentliche Rolle für die Steckverbinder-Auswahl; sie steigert die Komplexität noch erheblich. Zunächst müssen der Signalfluss und die Signalisierung (die messbaren physikalischen Größen) festgelegt werden und anschließend die Kontaktbelegung der Signale bei einem definierten Steckverbinder. Das gilt ebenso für Kupfer wie für Lichtwellenleiter oder Funk: Sind es im einen Falle Kontaktnummer beziehungsweise Glasfaser-Kerndurchmesser und Moden, oft abhängig von der Übertragungslänge, so sind es im anderen Trägerfrequenzen und Modulationsarten. Wählen wir als anschauliches Beispiel für eine Standardschnittstelle „FibreChannel“(FC) aus dem Bereich der Speichernetzwerke, die für serielle, kontinuierliche Hochgeschwindigkeits-Übertragung großer Datenmengen und zur Ablösung des alten SCSI-Busses konzipiert wurde. Neben LWL- gibt es für kürzere Distanzen auch Kupfer-basierte Schnittstellen, und alles entwickelt sich ständig dynamisch weiter. Daneben sind FC-Daten auch über Ethernet (Fibre-Channel-over-Ethernet), über Infiniband oder über Internet Protocol (IP) übertragbar, was die Zahl der möglichen Übertragungsvarianten zusätzlich stark nach oben treibt.Der Fibre-Channel-Protokoll-Stack ist ähnlich demOSI- und TCP/IP-Modell in Schichten unterteilt - in diesem Falle sind es fünf. Relevant ist in diesem Zusammenhang die unterste Schicht (Physical Layer) FC-0, in der die physikalische Verbindung, die FC-Übertragungsmedien (LWL, Koax- und STP-Kabel) mit ihren Parametern und Anschlüssen sowie die Datenraten spezifiziert sind. Die vollständige Beschreibung der für alle Interface-Standards in Frage kommenden Steckverbinder und deren Signalbelegung käme einer Sisyphusarbeit gleich.

Von der Anwendung zum Stecker

Man könnte, um eine saubere Strukturierung zu erreichen, auch von bekannten Steckverbindern ausgehen und Rückschlüsse ziehen, wofür diese eingesetzt werden können. Wobei die Auswahl von Anwendung, Umgebungsbedingungen (Schutzklassen wie IP67) oder mechanischen Eigenschaften sowie dem Medium - Kupfer, LWL oder Funk - abhängt. Bei PCs, Notebooks, Pads und Smartphones haben sich USB (neueste Version 3.0), DVI für Videodaten, HDMI für Audio und Video sowie DisplayPort für Bild- und Tonsignale durchgesetzt. Hinzu kommen runde, unpolarisierte Steckverbinder sowie FireWire (IEEE 13294) vor allem in derVideotechnik, aber auch zum Anschluss externer Massenspeicher oder von Komponenten der Unterhaltungselektronik. Unter diese Betrachtung fallen auch die 3- bis 5-reihigen D-Sub-Steckverbinder (DIN 41642) mit bis 104 P‘die RJ-(Western-)Stecker und Buchsen. Diese sind meist als Modularstecker aus der Telekommunikation und Netzwerken bekannt. In Deutschland werden ungeschirmte vollbestückte achtpolige (8P8C) Modularstecker umgangssprachlich auch als ISDN-Stecker, geschirmte als Ethernet-Stecker bezeichnet. Betrachten wir ein anderes Anwendungsgebiet: Was unterscheidet einen Fahrzeugsteckverbinder von seinen Geschwistern in der Industrieautomatisierung, der Unterhaltungselektronik oder der Telekommunikation? Wohl in erster Linie die hohen Zuverlässigkeits-Anforderungen. Neben hohen Temperaturen, Vibrationen und vielerlei Verschmutzung sind sie bereits bei der Montage einer rauen Behandlung ausgesetzt, und sie müssen auch in schwierigen Einbauverhältnissen praktisch störungsfrei steck- und lösbar sein. Das hat zu sehr spezifischen Lösungen geführt. Grundsätzlich sind drei Arten zu unterscheiden: Wire-to-Wire-Steckverbinder (sowohl männlich als auch weiblich mit einem Kabelsatz verbunden, so genannte Inline- Steckverbinder),Board- to- Wire-Steckverbinder, bei denen meist die männliche Seite („PCB-Header“) auf der Leiterplatte montiert ist, etwa zum Anschluss von Motorsteuergeräten. Und Gerätestecker: Dabei ist eine Steckerseite (meist die männliche) integraler Bestandteil eines „Geräts“, so eines Sensors.Es bleibt dabei: Die Steckverbinderwelt ist unvorstellbar vielschichtig sowie unablässig in Bewegung. Laufend kommen neue Anwendungen hinzu, für die es noch keine passende Verbindung gibt. Wobei deren Volumina nicht selten zu gering sind, um die erforderlichen Werkzeugkosten für Stanz- und Spritzwerkzeuge zu amortisieren und Modifikationen existierender Produkte an den Montageautomaten scheitern. Zuweilen bleibt nur eine Neukonzeption nach vorhandenen Standards, die womöglich sub-optimal ist, für die aber wenigstens zu vernünftigen Preisen ein Steckverbinder zur Verfügung steht.

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